Einen Brief von dem kranken Manne, der im Turm lag und den Tod erwartete, wie der Herr Kaplan sagte. Gott der Gerechte! Hätt' ich Euch doch nicht erkennen können, gnädiger Herr, für den Mann, der den Tod erwartete, so frisch und wohlauf finde ich Euch. Freilich hat sich meine Rückkehr verzögert. Aber man hat mich doch richtig zu Euch gewiesen? Ihr seid der Junker von Waldstein?
Der bin ich. Ihr habt also den Brief abgegeben?
An den gestrengen Herrn Komtur – Heinrich von Plauen soll er genannt sein.
So sehe ich, daß Ihr mich belügt. Heinrich von Plauen heißt der Hochmeister.
Gott soll mich strafen, wenn ich ein Wort Unwahrheit rede, den gnädigen Herrn zu täuschen. Der gestrenge Herr Komtur ist des Herrn Hochmeisters Bruder und heißt wie er. Es sollen noch mehr Brüder und Vettern sein bei den Plauen, die alle denselben Namen haben. Ich weiß nicht, wie sie sich damit zurechtfinden.
Der jüngere Heinrich also hat Johann von Schönfels abgelöst. So ist mein Brief in die besten Hände gekommen. Hat Euch der Komtur nichts an mich aufgetragen?
Ei freilich, gnädiger Herr! Und deshalb kommt der Moses eben. Ich wollt's nicht geben an den Herrn Kaplan, sondern an Euch selbst. Denn wenn ich wieder nach Danzig komme mit meinem Holz und der gestrenge Herr Komtur fragt bei mir an, ob ich's ausgerichtet habe, muß ich mit gutem Gewissen antworten können: Ja.
Ihr habt mir etwas abzugeben? Einen Brief?
Der Jude schüttelte den Kopf und steckte dabei die Hand in die Ledertasche unter seinem langen Rock. Nicht einen Brief, gnädiger Herr, er müßte denn darin sein, ganz klein zusammengelegt. Von dem Herrn Komtur kommt er gewiß nicht, denn der siegelt mit Wachs. Bei dem aber haben Nadel und Fingerhut zu tun gehabt.
Er überreichte ihm das in Leinwand eingenähte Kästchen mit gekrümmtem Rücken und sah ihm dabei listig in die Augen. Überzeugt Euch, gnädiger Herr, daß das kleine Päckchen auf allen Seiten ist unversehrt. Der Moses ist ein ehrlicher Mann.
Heinz drehte den Gegenstand zwischen den Händen hin und her, vergebens bemüht, den Inhalt zu erraten. Es ist alles in Ordnung, sagte er, aber ich verstehe nicht – Seid aufrichtig, Jude! Wer gab Euch das?
So wahr ein Gott im Himmel lebt – der Herr Komtur.
Und Ihr wißt sonst nichts?
Wird der Herr Komtur mir seine Geheimnisse verraten? Hätt' ich sollen wissen, was darin ist, wär's doch nicht so vernäht.
Ihr sagtet, ein Frauenzimmer –
Ich habe nichts gesagt. Was hätt' ich können sagen? Ist's doch mit Augen zu sehen. Macht's auf, gnädiger Herr, dann werdet Ihr klüger sein als der Moses Achacz.
Heinz lachte beklommen. Ihr habt recht. Meinen Dank muß ich versparen.
Oh, gnädiger Herr, es ist schon alles besorgt. Empfehlt den armen Juden dem gestrengen Herrn Komtur, das kann ihm nützlich sein in Danzig und auf den Wegen durch Preußenland. Die Städte lassen uns ungern zum Handel zu – da müssen wir uns stellen in des Ordens Schutz.
Der Junker nickte ihm zu und eilte fort. Er schob das Päckchen unter das Pelzfutter seines Rockes; es war ihm, als ob er es vor neugierigen Augen verstecken müßte. Auf dem Gange nach dem Turm machte er sich allerhand Gedanken darüber. Es kam ihm nun erst wieder in den Sinn, was er hatte schreiben lassen, und das Blut schoß ihm ins Gesicht, als er sich des Auftrages an Maria erinnerte. Nun brannte das Päckchen ihm recht auf der Brust, und das Herz fing heftig an zu schlagen. Er stolperte die dunkle Treppe hinauf und stieß mehr als einmal gegen die Wand.
In seinem Stübchen angelangt, ergriff er ein Dolchmesser und trennte die Fäden mit solcher Hast, daß er sich die Hand verletzte. Er dachte aber nicht daran, das tropfende Blut zu stillen, sondern riß die Leinwand ab und hob den Deckel des Kästchens auf, mit gierigen Augen hineinschauend.
Da lag der Ring mit den blauen Steinen – Marias Ring – sein Ring.
Ein Schwindel faßte seinen Kopf. Er mußte die Schulter gegen die Wand lehnen. Es schwamm ihm vor den Augen, und dann wurden sie plötzlich feucht. Das Vergißmeinnicht vergrößerte sich und erbleichte zugleich in diesem feuchten Nebel; er fühlte einen Stich ins Herz und zuckte schmerzlich zusammen. So stand er lange, das offene Kästchen in der Hand, und von seinem Finger tropfte das Blut zur Erde.
Vergiß mein nicht – vergiß mein nicht, murmelte er mit bebenden Lippen, und ich hatte dein vergessen! Oh, ich bin nicht wert –
Er stellte das Kästchen mit abgewandtem Gesicht hinter sich auf den Tisch und schwang in der andern Hand wütend den Dolch. Ich hatte dein vergessen, rief er wild – ich hatte meine Augen blenden lassen von dem Zauber einer fremden Schönheit – ich hatte mein Herz –
Er griff ungestüm mit der Hand nach dem Herzen, als ob er's aus dem Busen reißen wollte. Dann aber wurde er ruhiger. Nein, nicht das Herz, sagte er wehmütig. Meine Gedanken konnten dich vergessen, aber mein Herz nicht – du warst in meinem Herzen – immer, immer. Ich sah dich nicht, ich hörte dich nicht – aber du warst heimlich bei mir, wie weit ich mich auch verirrte. Oh, verzeih, Geliebteste, Gütigste – verzeih, was ich gegen dich sündigte!
Er fühlte sich erleichtert nach dieser aufrichtigen Selbstanklage und wagte nun wieder nach dem Ringe zu blicken. Er nahm ihn aus seiner Hülle von gezupfter Leinwand, betrachtete ihn mit zärtlichen Blicken und drückte ihn an die Lippen. Als er dieses Spiel eine Weile fortgesetzt und sich dabei recht innig das liebe Mädchen vorgestellt hatte, daß ihm nun Gesicht und Gestalt ganz gegenwärtig waren, kam ihm doch die Frage, wie nur der Ring zu ihr zurückgelangt sein konnte. Ein kleiner Zettel war zur Erde gefallen; er hob ihn auf und las von ungeübter Hand geschrieben: »Maria Huxer«. Jeder letzte Zweifel mußte damit schwinden, daß sie die Zusenderin war. Ah, er hätte es auch ohnedies gewußt, sein Herz gab ihm die Gewißheit. Welche wunderbare, ihm unerklärliche Fügung ihr auch den Ring zugeführt hatte – nun sie erfuhr, daß er lebe, wollte sie ihn nicht zurückhalten. Er sagte lauter und inniger als tausend Worte, daß sie ihn fort und fort liebe.
Er steckte den Ring wieder an den kleinen Finger, der ihn früher getragen hatte, sah auf das Blättchen und sagte immer: Maria – Maria. Er fühlte ein Wohlsein durch den ganzen Körper, eine Freudigkeit und Heiterkeit des Gemüts, wie er sie lange nicht empfunden hatte. Ihm war so leicht, als könnte er sich von der Erde aufschwingen und durch die Luft zu dem geliebten Mädchen eilen, für das Geschenk zu danken.
Er blieb den ganzen Tag im Turm und achtete nicht Hunger noch Durst. Die Nacht schlief er, den Ring am Finger, und hatte die schönsten Träume. Am Morgen kam der Kaplan, nach ihm zu sehen. Das Fräulein sei früh in der Kapelle gewesen, berichtete er, und habe besorgt nach ihm gefragt.
Ängstlich verbarg er den Ring vor ihm. Ehe er ausging, verwahrte er ihn wieder in dem Kästchen und das Kästchen auf seiner Brust. Natalia sollte davon nicht wissen, er wollte seines Glückes ganz im geheimen froh sein, er fürchtete auch, daß sie ihm das Kleinod mißgönnen und wohl gar zu entreißen versuchen werde. Kannte er doch ihre leidenschaftliche Art. Im übrigen fühlte er sich durch sie wenig beunruhigt, der Ring war ihm wie ein Talisman, der gegen jeden Zauber kräftig sein mußte. Ihn verlangte nicht mehr nach ihren Küssen, er konnte ihr ohne Beängstigung in die glänzenden Augen sehen, über gleichgültige Dinge mit ihr sprechen. Er glaubte nun zu begreifen, warum er ihr nicht habe sagen können, daß er sie liebe. Er hatte ihr es sicher nicht gesagt, und es überraschte ihn nun, daß er sich dessen ganz klar wurde.
Das aber ahnte er nicht, daß Natalia gerade dieses Wort erwartet hatte, daß sie ihn zwingen wollte, es auszusprechen, indem sie ihre Leidenschaft bezwang, die ihm unverdient schon zu weit entgegengekommen war. Nun verstand sie ihn gar nicht mehr. Sie bemerkte die Wunde an seinem Finger und wollte wissen, wie er sie sich zugezogen habe. Er habe sich mit dem Dolch verletzt, sagte er, ganz zufällig. Warum spielt Ihr auch mit dergleichen, warf sie ihm neckisch vor. Oder war's Ernst? Wolltet Ihr Euch wohl gar ans Leben, weil ich Euch gestern die Freiheit gegeben habe? Er sah sie verwundert an. Habt Ihr mir die Freiheit gegeben? Nein, das waret Ihr doch nicht. Sie faßte