Es fand sich am Abend in der Dämmerung eine stille Stunde zum Aussprechen. Die Vettern trieben sich noch außen um, die Halle war leer. Heinz, hatte sich in eine Fensternische gestellt und war gewiß, daß Natalia ihm bald Gesellschaft leisten werde. Er täuschte sich nicht.
Als sie zu ihm trat, stand er sogleich auf, reichte ihr die Hand, hielt sie fest und sagte: Ich erwartete Euch – hört mich freundlich an.
Es mochte in dem Tone seiner Stimme etwas liegen, das seine Beklommenheit unwillkürlichen Ausdruck gab. Jedenfalls schien sie in der Art, wie er sie anredete, etwas Auffallendes zu finden, das sie sich erklären müßte. Was hatte er ihr zu sagen? Wenn endlich –! Es wurde ihr heiß ums Herz, das Blut wallte plötzlich. Sie drückte seine Hand und sah ihn mit einem Blick an, der ganz glückselige Erwartung war. Ich höre, Lieber, hauchte sie leise.
Der Friede ist längst geschlossen, begann er, die Gefangenen sind vom Herrn Hochmeister ausgelöst – meines Bleibens kann hier nicht länger sein –
Ihre Hand zuckte, ihre Augen richteten sich starr auf seinen Mund, das ganze Gesicht schien wie gelähmt. Eine solche Wirkung seiner Anzeige hatte er nicht vorausgesetzt; sie erschreckte ihn.
Auch Ihr seid hier nur Gast, fuhr er milde ablenkend fort. Wie lange kann's dauern, so kehrt Ihr mit Eurer Mutter in die Heimat zurück. Es zieht uns dahin, wo das Feld unserer Tätigkeit ist, und ich denke dem Herrn Hochmeister in Preußen noch nützlich sein zu können. Darum ist's am besten, ich nehme raschen Abschied und stelle mich ihm zur Verfügung.
Sie schien aus ihrer Betäubung zu erwachen. So starr der ganze Körper noch eben gewesen war, so zeigte sich jetzt plötzlich jeder Muskel in Bewegung. Die Brust wogte stürmisch, der Atem flog. Nein – nein – preßte sie zwischen den Lippen vor –, es darf nicht sein!
Es muß sein, antwortete er, und darum lieber heut als morgen. Ich bin mit Eurer Hilfe wieder ein gesunder Mensch geworden, habe meine frühere Kraft zurückerlangt und will mich nicht länger als ein unnützes Geschöpf füttern lassen. Es ist nichts, was mich hier hält, und mich treibt's zu männlichen Taten.
Nichts, was Euch hier hält? zitterte ihre Stimme.
Habt Ihr mich doch selbst frei erklärt, soll ich mich nun nicht als ein freier Mann beweisen dürfen?
Sie entriß ihm ihre Hand und schlug damit nach der seinigen. Das ist abscheulich! rief sie. Habt Ihr mir's darum abgelistet?
Seid gütig, bat er. Ich habe Euch nichts abgelistet – es war Euer guter Wille, mir die Freiheit zu schenken. Und ich glaubte mit diesem Geschenk auch nichts zu empfangen, als die freundliche Versicherung meiner Wohltäterin, daß sie anerkenne, der Gefangene sei gelöst und habe gegen sie keine sonderliche Pflicht. Euer Sklave war ich auch vorher nicht, und wär ich's gewesen – so hätte ich mich selbst befreit.
Oh, wie doppelzüngig Ihr seid! eiferte sie. Wovon sprecht Ihr? Ich weiß es nicht mehr. Die Worte haben fremden Sinn, Ihr strebt fort von hier – schon lange, lange! Jetzt verstehe ich alles. Wohin zieht es Euch? Nach Preußen zum Hochmeister? Hahaha! Seid ehrlich: wohin gedenkt Ihr zu gehen?
Er zögerte mit der Antwort.
Seid ehrlich! wiederholte sie, und die Augen blitzten zornig.
Ich will Euch das nicht vorenthalten. Zunächst wohl nach – Danzig.
Nach Danzig! Ah, dann weiß ich, was Euch dorthin zieht. Gewannet Ihr Euch nicht dort im Ritterspiel einen Ring und habt Ihr ihn nicht zum Andenken getragen in Buchwalde und als Ihr ins Feld zogt? War's nicht Eure erste Frage hier, wo der Ring sei? Habe ich nicht Euren Schlaf belauscht und Eure Lippen den Namen Maria hauchen gehört? Maria – Maria! das ist's, was Euch von hier forttreibt – das ist's, was Euch dorthin zieht.
Sie hatte diese Worte mit wilden Gebärden begleitet und hastig herausgestoßen. Nun schien sie mit den Blicken noch weiter zu sprechen, sie zuckten über ihn hin wie Dolche.
Ihr sagt die Wahrheit, entgegnete er; ich liebe das Mädchen, dessen Namen Ihr nennt.
Ihr sollt nicht! zischte sie. Welchen Anspruch hat sie an Euch? Ihr wart ihr ein Toter. Und ihr wäret ein Toter. Ich habe Euch zum Leben erweckt – mir gehört Euer Leben. Habt Ihr das nicht eingestanden? Habt Ihr mich's nicht wissen lassen mit Blick und Wort, daß ich die Eure sei? Leugnet es, wenn Ihr könnt. Erniedrigt mich, wenn Ihr den Mut habt! Sie faßte seine Arme und suchte ihn an sich zu ziehen. Ich habe dich an meine Brust gedrückt, ich habe dich geküßt, und du hast es gelitten. Warum hast du es gelitten, wenn du mich nicht liebtest? Aber du liebtest mich! Nein, ich lasse dich nicht fort – du darfst nicht gehen – zu ihr nicht gehen! Mir gehörst du in Ewigkeit.
Er machte sich los, ergriff ihre Hände und bedeckte sie mit Küssen. Verzeih, bat er, verzeih, wenn ich dich täuschte. Täuschte ich mich doch selbst. Du warst so schön, so gütig, und mein Herz – was sage ich dir? Nein, du wirst mir nicht glauben, was ich auch sage, du wirst mir nicht verzeihen. Wäre mein Herz frei gewesen – Aber schon als ich dich zum erstenmal sah – du weißt es ja, es war in Banden. Und ich konnte ihrer nicht ledig werden – sieh daraus, wie stark sie sind. Ich bitte dich, laß uns in Frieden voneinander Abschied nehmen. Du hast meine leiblichen Wunden geheilt, schlage nicht tiefere Wunden meinem Gemüt. Laß mich nicht scheiden mit dem quälenden Gedanken, ich wäre besser gestorben, ehe ich in deine Gefangenschaft kam!
Sie schüttelte das lockige Haupt. Die Liebe hat die Wunden geheilt, die du hierher brachtest. Nimmst du nun die Wunden mit, so sieh zu, ob sie heilbar sind. Und sind sie's nicht, dann hast du nicht Liebe um Liebe eingetauscht. Aber nein, ich lasse dich nicht fort, ich gebe dir keinen Abschied. Mit Gewalt halte ich dich zurück, wenn du nicht gutwillig bleiben willst. Denn du bist mein! Ich habe dich dem Tode abgekauft mit einem Lösegelde – Sie schauderte. Nur du kannst meine Lippen wieder heiligen. Niemand weiß, was du mir schuldig bist. Ich aber – ich – Sie umschlang seinen Hals. Geh nicht, Lieber – verlasse mich nicht!
Er wehrte sie nicht ab. Tiefes Mitleid hatte sein Herz ergriffen. Aber er ermutigte sie auch nicht. Nach einer Weile fühlte er, daß ihre Hände sich lösten, der Körper an ihm schlaff zusammensank. In diesem Augenblick wurden in der Halle Stimmen laut. Die Vettern stürmten lärmend herein. Sie schreckte aus ihrer Ohnmacht auf, warf ihm einen verstörten Blick zu und eilte fort.
Den Rest des Abends beobachtete sie ihn nur von ferne; aber unzweifelhaft gab sie auf jeden seiner Schritte ängstlich acht. Als er nach dem Turm ging und sich vor dem Eintritt noch einmal zurückwandte, glaubte er ihre Gestalt am Brunnen zu erkennen: sie überzeugte sich, daß er den Hof nicht verließ.
Er trat in die Kapelle ein und betete. Dann erst schritt er die Steintreppe hinauf nach seinem Stübchen.
Sogleich warf er sich in Kleidern aufs Bett und deckte sich nur mit einem Wolfspelz zu. Er wollte früh auf sein am andern Morgen.
Noch vor Tagesgrauen erwachte er, durch beunruhigende Träume aufgeschreckt. Noch eine Weile hielt er sich still auf seinem Lager; als sich aber das Fenster von den ersten Sonnenstrahlen erhellte, stand er auf, nahm wehmütigen Abschied von dem Gemach, das ihm lieb geworden war, hüllte sich in einen Mantel und ging leise der Tür zu, um den Kaplan nicht auf sich aufmerksam zu machen.
Als er den Türvorhang zurückschlug und nun das Licht vom Fenster her in den Gang fiel, blitzte ihm von der Treppe her etwas entgegen. Bei genauerem Hinsehen erkannte er einen Eisenhut und die Schulterplatten eines Harnisches. Zugleich vernahm er die tiefen Züge eines Schlafenden.
Seine Augen gewöhnten sich bald an das Dämmerlicht. Es hatte sich jemand auf die oberen Stufen der Treppe gesetzt und auf die oberste mit dem Ellenbogen aufgestützt. Der Körper hatte sich im Schlafe zur Seite gebeugt, und der Kopf lehnte nun gegen die Wand. Im Arm hielt er einen Spieß. So sperrte er die schmale Treppe vollkommen. Wer dieselbe hinabsteigen wollte, mußte ihn notwendig wecken.