Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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sie, daß er nun so gar nichts darauf zu antworten wußte, da er ihr doch etwas Freundliches hätte sagen können. Er schien's aber kaum zu wissen, daß sie von ihm fort und zu den Vettern trat. –

      Das Wetter änderte sich plötzlich. Der Wind schlug nach Süden um, der Himmel reinigte sich von Wolken, die Sonne brannte heiß wie in manchem Jahre noch nicht im Mai. Bald erwärmte sich die Luft, der Schnee schmolz auf den Dächern und Feldern, in breiten Rinnen ergoß sich überall das Wasser in den Strom, auf dem die Eisdecke stündlich dünner wurde.

      Nach fünf oder sechs solchen warmen, sonnigen Tagen brach dann ebenso unvermittelt in einer Nacht ein furchtbarer Sturm von Westen los. Man hörte es von der Weichsel her krachen und knallen, als ob Hunderte von Geschützen in Tätigkeit wären. Als Heinz am Morgen aus dem Fenster sah, war der Fluß hoch angeschwollen; gewaltige Eisschollen trieben auf den schwarzgrauen Fluten, verdrängten einander, türmten sich hoch auf, zerschellten, schoben sich am Ufer in die Höhe. Es war ein furchtbarer Anblick. Nordwärts lag wahrscheinlich die Decke noch fest und wollte dem Andrang nicht sofort weichen. Wie gewaltige Mauerbrecher kamen die Schollen mit rasender Eile angeschwommen und warfen sich gegen die Eisberge. Einen Augenblick schien Stillstand einzutreten, der Strom zurückzustauen. Dann in der Ferne ein furchtbarer Krach, ein Ächzen und Stöhnen, ein Pfeifen und Gurgeln – der Widerstand war gebrochen, eine neue Wasserstraße durch das Eis gerissen. Und wieder setzte sich die Masse vorwärts in Bewegung, erst geschlossen, dann in gelösten Teilen, endlich in kleinen, schwimmenden Inselchen vergleichbaren Schollen. So ging's einige Tage fort, bis der Strom von Eis frei war. Die Juden hatten ihre liebe Not, die Flöße zusammenzuhalten, die am Ufer des Flusses lagerten und nun durch das anstauende Wasser vom Boden abgehoben wurden. Die Balken wurden durch Baststricke miteinander verbunden, aber sie zerrieben sich bei dem fortwährenden Auf- und Abtauchen an vielen Stellen und konnten dann nur schwer ersetzt werden. Auch war auf die Anker achtzugeben, die der mächtigen Strömung nicht überall widerstehen konnten und sich mitziehen ließen.

      Die ganze Bauernschaft von Sczanowo war aufgeboten. Mit langen Stangen bewaffnet standen die Leute auf den schwankenden Holztafeln und hielten von denselben die anschwimmenden Eisschollen ab. Hatten sie sich zu fest zusammengeschoben, so sprangen sie wohl auch hinauf und suchten in einiger Entfernung die Straße frei zu machen.

      Setzte sich die Decke dann wieder in Bewegung, so hatten sie Mühe, wieder das Land zu erreichen. Einige waren auch nicht so glücklich und trieben mit den Schollen fort. Man machte davon nicht einmal so viel Aufhebens, als wenn Stämme vom Floß abgerissen und von den Wellen entführt wurden. Die Leute würden eine Strecke weiter sicher zusammengestautes Eis antreffen und dann den Übergang nach dem Ufer finden, von dort aber zu Fuß zurückkehren.

      Alle diese Arbeiten wurden mit wildem Geschrei ausgeführt; man schien den Sturm übertoben zu wollen. Die Juden, deren Eigentum in Gefahr war, liefen ängstlich hin und her, baten, ermunterten, schimpften und fluchten in polnischen und hebräischen Lauten. Für den Zuschauer war's ein bewegtes Bild, und es fehlte zu keiner Stunde an Zuschauern. Herren und Damen aus dem Schlosse fanden sich auf der Uferhöhe ein, sich das aufregende Schauspiel nicht entgehen zu lassen. Am Abend hatte man dann reichlichen Stoff zur Unterhaltung.

      Auch Heinz fehlte dort nicht. Stundenlang konnte er die Brust dem Sturm bieten und auf das bunte Getriebe hinabschauen. Es war ihm eine Lust, zu sehen, wie die vereinte Menschenkraft das zerstörende Element zwang und ableitete. Mitunter gesellte sich Natalia zu ihm, aber er benutzte jetzt die Gelegenheit schlecht, sie allein zu sprechen. Sie hielt sich auch wohl an seinem Arm, wenn der Sturm heftig heranbrauste, aber er faßte nicht ihre Hand, wie er gekonnt hätte, sondern zeigte auf den Strom hinaus und sprach von den Dingen, die ihnen vor Augen lagen. Am liebsten hätte er selbst eine Stange ergriffen und sich tätig bewiesen. Und einmal, als die Not am höchsten war, tat er's auch wirklich und trug das Beste dazu bei, daß ein Eisberg, der das Floß auseinander zu reißen drohte, wieder zum Schwimmen gebracht wurde.

      Heinz hatte bei alledem seine eigenen geheimen Gedanken. Moses Achacz, mit dem er gern sprach, hatte ihm gesagt, daß das Holz für Danzig bestimmt sei; er selbst begleitete es dorthin. Nun lag es ihm immer im Sinn, daß auch er diese Fahrgelegenheit, so unbequem sie auch wäre, benutzen könnte. Er holte Moses darüber aus und fand ihn nicht abgeneigt, noch eine Hütte auf dem Floßholz bauen zu lassen. Doch riet er ihm, zu warten, bis in der besseren Jahreszeit die zweite Holztracht abgelassen werde, die man fester zusammenfügen und zur Aufnahme einer Getreideladung einrichten wollte. Sie würde von den geschnittenen Brettern eine Bodenlage und auch ein Dach erhalten, unter dem sich eine Kajüte herstellen lasse. Heinz wollte sich's noch überlegen, bat ihn zugleich aber, für seine Aufnahme auf dem ersten Floß die nötigen Vorbereitungen zu treffen und indessen niemand etwas von seinem Vorhaben zu verraten.

      Er hatte gar nicht mehr nötig zu überlegen, sein Entschluß stand schon fest. Fort von Sczanowo! Nach Danzig! rief er sich tausendmal im stillen zu. Er beschäftigte sich in Gedanken bald nur noch mit der Reise und sehnte den Tag heran, wo der Strom sich genügend beruhigt haben werde, sie zuzulassen. Kaum bemerkte er flüchtig, daß er von Natalia scharf beobachtet wurde. Er wich ihr gern aus; ihr Anblick war ihm immer ein Vorwurf, den das Herz empfand. Aber er glaubte nicht ihr, sondern Maria verschuldet zu sein – außer für das, was sie dem Kranken Liebes getan hätte.

      Er sah nicht, daß sein plötzlich so ganz verändertes Benehmen auch bei ihr eine Veränderung bewirkte. Sie hatte sich in einem Augenblick, der einen raschen Wechsel von Schmerz und Freude herbeiführte, hinreißen lassen, Heinz ihre leidenschaftliche Neigung zu erkennen zu geben. Du weißt nun alles! hatte sie ihm zugerufen, und wie konnte er nach dem, was vorgefallen war, an ihrer Liebe zweifeln? Jetzt aber erwachte ihr Mädchenstolz: es war ihr gewiß, daß sie von diesem Augenblick an nicht mehr die Suchende, sondern die Gesuchte sein müsse. Absichtlich stellte sie sich ihm fern, um ihm volle Freiheit zu lassen, seinem Herzen zu folgen; sie wollte ihm den Weg nicht abgekürzt haben, er sollte nicht glauben, daß sie ihm ohne eigene Bemühung gehöre, daß er einer Werbung in aller Form überhoben sei. Das deutsche Wesen, das ihr angeboren war, machte sich hier mit ganzer Stärke geltend, aber nur in ihrer Empfindung, nicht im Ausdruck derselben. Zu ihrem Schrecken erkannte sie, daß sie ihm täglich fremder und gleichgültiger wurde. Ihre Leidenschaftlichkeit arbeitete nun gegen sich selbst. Sie hatte schlaflose Nächte, Tage voll Herzensqual. Oft erschien sie mit bleichen Wangen, tiefliegenden und vom Weinen geröteten Augen. Und er fragte nicht einmal, was sie bekümmere. Sie mußte sich gestehen, daß ihre Voraussetzungen irrig gewesen seien, das Ziel sich immer mehr entferne. Konnte er sie wirklich so sehr verkennen? Nahm er den Schein für Wahrheit? Glaubte er, daß er ihrem Herzen jetzt weniger galt? Es war ein harter Kampf zwischen Liebe und Stolz, aber die Liebe siegte. Nun warf sie alle Rückhaltung fort, gab sich ihm wieder, wie es ihr ums Herz war. Das gütige Mädchen, das ihn in der Krankheit pflegte, war oft an seiner Seite und suchte zärtlich zu ergründen, was in seiner Seele vorgehe. Er aber blieb zerstreut und verpaßte jede Gelegenheit, sich ihrer Hingebung zu versichern. Ihre Nähe schien ihn nur zu ängstigen.

      Das Holzfloß lag zur Abfahrt fertig. Eine weite Strecke zog es sich am Ufer hin, in viele aus verbundenen Stämmen bestehende Tafeln gegliedert, die durch Baststricke lose aneinander gehalten wurden. Die an beiden Enden und in der Mitte zeigten sich etwas fester gezimmert, auch mit Brettern belegt. Es standen darauf Buden von Strauch und Stroh zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und zu Schlafstellen für die Bemannung. Die Leibeigenen, die als Flößer dienen sollten, waren von dem Grafen schon ausgewählt und den Juden übergeben: sämtlich mit Pelzmützen, Schafspelzen und Bastsandalen bekleidet, richteten sie sich auf dem Fahrzeug ein. Moses Achacz meldete dem Junker, daß am andern Morgen die Reise angetreten werden solle.

      Heinz hatte sich nur immer in die Ferne geträumt; daß er vorher Abschied zu nehmen habe, war ihm kaum eingefallen. Und doch hatte er, ohne recht zu wissen warum, alle Vorbereitungen heimlich betrieben, als gälte es Flucht. Nun die Entscheidung so nahe trat, war auch wirklich sein erster Gedanke: fort ohne Abschied! Es beschlich ihn die Furcht, daß man ihn zurückhalten könne; er mußte sich's gestehen, daß Natalia doch noch herzlichen Anteil an ihm nehme und die Abreise zu verhindern suchen werde. Das gerade machte aber schleunige Flucht zu einer Gewissenssache.

      Dann aber konnte sich seine Ehrlichkeit doch nicht mit diesem versteckten Handel abfinden. Wenn er fortlaufe