Nun mußte sie sich doch entschließen, langsam an seiner Seite zurückzureiten. Es schien ihr verdrießlich zu sein, denn sie verhielt sich ganz stumm und gab mehr als notwendig auf den Zügel acht. Er ließ sie nicht aus dem Auge, und das war ihr vielleicht unbequem. Diesmal ist dafür gesorgt, sagte er schalkhaft nach einer Weile, daß Ihr mich neben Euch leiden müßt. Es bleibt Euch nichts übrig, als mir Rede zu stehen.
Sie senkte den Kopf und biß die Lippe. Das bemerkte er, nicht aber, daß unter dem Schein der langen Wimpern die Augen lebhafter blitzten. Ich hoffe, entgegnete sie, sich über den Hals des Pferdes beugend und den lahmen Fuß besichtigend, daß der Junker von Waldstein nicht unedelmütig einen Zufall benutzen wird, der gegen mich Zwang übt.
Ihr täuscht Euch, sagte er, indem er dicht an sie heranlenkte. Ich habe wirklich die größte Lust, so unedelmütig zu sein und diesen sehr glücklichen Zufall zu nützen, um mir Gewißheit über etwas zu schaffen, das mich schwer beunruhigt. Seit vielen, vielen Tagen ist dies wieder die erste Minute, in der ich mit Euch allein bin.
Sie lächelte. Ich werde Euch nicht hindern können zu sprechen und also hören müssen. Ob ich aber antworte … Es kommt darauf an, was Ihr mir zu sagen habt, Junker.
Mein Himmel! Was kann ich Euch anders zu sagen haben, als daß ich Euch gar nicht mehr verstehe? Wie waret Ihr so mild und gütig, solange Ihr mich mit Eurem Besuch im Turmstübchen beglücktet! Und jetzt –
Ihr wartet wohl gar noch jetzt dort auf mich? fiel sie hastig ein und sah ihn mit einem herausfordernden Blick an.
Er schüttelte den Kopf. So übermütig sind meine Hoffnungen nicht. Aber Ihr seid so verändert –
Ihr seid's ja auch.
Ich?
Nun – Ihr seid gesund.
So müßte ich wahrlich wünschen, noch krank zu sein, wenn mir die Gesundheit so schweren Verlust bringt.
Sie zog spöttisch die Lippe. Den schweren Verlust, eine Krankenpflegerin entbehren zu müssen.
Aber welche Krankenpflegerin! Wenn ich an die letzten glücklichen Tage zurückdenke –
Soll ich Euch noch immer wie einen Kranken behandeln, da Ihr's doch nicht seid?
Ihr macht mich krank, wenn Ihr so mit dem Gesunden umgeht. Was soll ich glauben, Natalia, was fürchten? Ich erkenne Euch gar nicht wieder.
Und doch bin ich gerade, wie ich immer war, bevor ich diesen Notdienst verrichtete. Es ist so meine Art zu sein. Fragt Euch doch, ob Ihr mich so nicht kennengelernt habt, als Ihr nach Buchwalde kamt. Und anders haben mich auch die Vettern nie gesehen. Gefalle ich Euch nun nicht, wie ich bin, wenn ich mich ganz ehrlich nach meiner angeborenen Art zeige, so mag ich Euch auch nicht gefallen, wenn Ihr an das bekümmerte Mädchen denkt, das an Eurem Krankenbette saß und mitleidig Eure Wunden pflegte. Ich müßte immer argwöhnen, daß Ihr Euch nur eines schuldigen Dankes entledigen wollet, den ich viel zu stolz bin, zu fordern oder anzunehmen.
Nein, nein, rief er, das ist es nicht! So erklärt sich mir nicht dieses Unerklärliche. Ich weiß ja, daß es Euch unendlich schwer werden mußte, Eure Freiheit einzuschränken und Euch monatelang bei mir einzuschließen. Aber gerade weil Ihr mir dieses Opfer brachtet, weil ihr's so mutig und heiter brachtet, daß es Euch selbst Freude zu bereiten schien … Nein, nein, Natalia, das war kein karger Notdienst, und Ihr fürchtet im Ernst nicht, daß ich mich Euch nur zu Dank verpflichtet fühle. Hat sich mir nicht Euer Herz eröffnet? Habt Ihr mir nicht in jener letzten Stunde die Gewißheit gegeben, daß ich –
Schweigt! fiel sie herrisch ein, und flammende Röte übergoß ihr Gesicht.
Ich schweige nicht, fuhr er leidenschaftlich erregt fort, ich kann nicht schweigen. Wer das erlebt hat … Nein, mit einem Mindern kann er sich nicht mehr begnügen! Noch jetzt, wenn ich auf jener Stelle mit mir allein bin und die Augen schließe, ist mir's, als ob eine weiche, schlanke Gestalt sich an mich schmiegt, als ob ihr heißer Atem mich anweht, ihre Lippe meinen Mund berührt – Natalia, gib mir die Seligkeit wieder, die du mich – ach, nur einen flüchtigen Augenblick – an deiner Brust kosten ließest!
Er beugte sich seitwärts und umfaßte ihren Leib, sie mit Leidenschaft an sich reißend. Heftig erschrocken stieß sie ihn zurück. Ihr habt geträumt! rief sie ihm zu.
So wollt Ihr, daß es ein Traum gewesen sei! sagte er mit stockendem Atem. Ich aber habe die Gewißheit, daß ich wachend genoß, was so wonnig kein Traum gewähren kann.
Siehe nun, wie arm und elend du mich machst, wenn du mir erst so viel gabst und mir nun alles nimmst. Sei mein, Natalia – sei mein!
Wieder streckte er den Arm aus, sie zu umfassen. Aber sie wehrte ihn mit einer heftigen Gebärde ab. So nicht! antwortete sie mit zitternder Stimme. So in Ewigkeit nicht! O Gott – verdiene ich das? Weil ich einen Augenblick vergaß – Nein, es soll ein Traum gewesen sein. Und nicht eher sollt Ihr mich an ihn erinnern, bis einmal – Was sage ich Euch? Seht Ihr denn nicht, was mich zwingt? Fühlt Ihr nicht, daß ich gebannt bin? Was gelte ich Euch, wenn Ihr mich nach dieser Gabe schätzt! Vergeßt – ich bitte Euch, vergeßt – und dann kehrt zu mir zurück – wenn Euch das Herz treibt.
Sie wandte ihm das Gesicht ab und suchte ihr Pferd zu rascherer Gangart zu nötigen. Auf dem Hügel vor ihnen tauchten die Vettern auf, sie hielten Umschau nach den beiden Flüchtigen und näherten sich nun rasch. Heinz fühlte sich innerlich erkältet und sah finster auf den Sattelknopf nieder. Er verstand nicht, was sie von ihm begehrte, was sie ihm in Aussicht stellte. Er wußte nur, daß auch jetzt seine Hoffnung getäuscht war, sie in seine Arme schließen, an seine Brust ziehen zu dürfen. Sie wollte nicht an das erinnert sein, was seine Leidenschaft aufs tiefste erregt hatte.
Ihr seid grausam, Herrin, sagte er mit kaum verhaltenem Verdruß. Er betonte das Wort »Herrin« scharf.
Natalia bemerkte es. Warum nennt Ihr mich so, fragte sie, zum erstenmal so?
Weil Ihr mir sonst eine gütige Freundin waret, antwortete er, jetzt aber die stolze Herrin zeigt. Wie eine Herrin wendet Ihr mir Gunst zu und verwerft Ihr mich. Ich soll verstehen lernen, daß ich Eurer Willkür unterworfen – ich soll wissen, daß ich auch außerhalb des Turmes Euer Gefangener bin!
Sie schien zu erschrecken. Fühlt Ihr's so? fragte sie mit unsicherer Stimme, Gott weiß, daß solcher Zwang meinem Herzen fremd ist. Was könnte ich durch ihn gewinnen? Ihr nennt mich stolz, und ich bin es, weil ich es sein – muß. Was wäre ich Euch, wenn ich – oh, Ihr seid blind!
So glaubt Ihr's, weil Ihr mich an der Kette leitet! rief er.
Sie kämpfte mit sich. Nach einer Weile sagte sie: Ihr sollt mir zu nichts verpflichtet sein, nicht zu Dank, nicht zu Gehorsam. Wenn Ihr's denn hören wollt: Ich gebe meinen Gefangenen frei!
Er hob sich im Sattel. Ihr gebt mich frei, Natalia?
Meinen Gefangenen. Sie lächelte dabei schelmisch. Die Kette rasselt nicht mehr. Seht nun zu, ob Ihr frei seid.
30. DIE FLUCHT
Die Vettern kamen mit lautem Zuruf herangesprengt. Heinz konnte nichts erwidern. Sie bat einen von ihnen um einen Tausch der Pferde, schwang sich rasch ab und auf und jagte in wilder Hast dem Schlosse zu, dem Junker überlassend, den Unfall zu erklären. Ein Teil der Gesellschaft folgte ihr ohne Eile; die andern beschlossen, auch ohne sie der Wolfsfährte noch weiter nachzureiten.
Als Heinz nach dem Hofe zurückgekehrt war und sein Pferd an der Stalltür abgab, traf ihn ein Jude an, den er bisher im Holzgarten gesehen zu haben sich nicht erinnerte. Er näherte sich mit tiefen Verbeugungen und hob den Zipfel seines Mantels auf, um ihn zum Zeichen der Unterwürfigkeit zu küssen. Wer seid Ihr und was wollt Ihr? fragte der Junker mürrisch.
Ich