Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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wurde verboten, Lebensmittel nach der Stadt zu bringen. Konnte er sie auch nicht völlig absperren, so belästigte er doch in empfindlicher Weise ihren Verkehr.

      Nun kam die Ratswahl. Der Komtur ließ ansagen, daß er das seit einigen Jahren übliche Verfahren, wonach der Rat sich aus wenigen Familien selbst ergänzte, nicht dulden werde. Es solle in allem nach der Kulmischen Freiheit verfahren werden, die in wesentlichen Punkten außer Gebrauch gesetzt worden. Danach hätte die ganze Gemeinde den Rat zu küren. Er schickte zu den Älterleuten und auf die Herbergen und ließ die Leute belehren, daß ihnen Unrecht geschehe, auch in den Klosterkirchen seine Briefe verlesen.

      So hoffte er, sich unter dem niederen Volk einen Anhang zu verschaffen und den übermütigen Rat zu schädigen. Aber er fing nur wenige. Die Herren stellten vor, man wolle später die alten Briefe einsehen, wenn man seines Gutes gesichert sei. Wer von den Handwerkern denn Willens und imstande sei, die Beschwerden und großen Kosten des Amtes zu tragen? Ganz offenkundig sei es dem Herrn Komtur nur darum zu tun, den Schoß von der Stadt zu erpressen; wer nun mit seiner Hilfe in den Rat gesetzt werde, müsse ihn wohl bewilligen, um ihm einen Gegendienst zu leisten. Dann möge man nur getrost lieber gleich in den Säckel greifen.

      Dieser Grund leuchtete ein. Die Gemeinde hielt sich ganz ruhig bei der Ratswahl, die nach früherer Gewohnheit in der großen Ratsstube vor sich ging, und rief Beifall, als der Sekretarius sodann auf der Treppe erschien und die Namen der Gewählten vorlas. Die Bürgermeister Letzkau und Hecht blieben im Amte; in den sitzenden Rat waren neben ihnen lauter Männer aufgenommen, die verläßlich schienen und sich schon bewährt hatten.

      Dem Komtur wurde eine einfache Anzeige gemacht. Statt seine Genehmigung zu erbitten, lud man ihn auf nächsten Sonntag in der Pfarrkirche ein, der Vereidigung der gewählten Ratsherren und Schöppen beizuwohnen. Das war neuer Hohn. Zur Überraschung der Bürger ritt er wirklich mit etlichen aus seinem Kapitel und zahlreichen Knechten in die Stadt und erschien in der Marienkirche. Aber nur, um laut Einspruch zu erheben gegen die Gewalttätigkeit des Rats, die Wahl für null und nichtig zu erklären und die Vereidigung der Gewählten zu verbieten. Ein Tumult wurde nur dadurch abgewandt, daß Pfarrer Tiedemann die Orgel spielen ließ. Die Feierlichkeit hatte dann ungehindert ihren Fortgang.

      So war der Streit zu einer Höhe angewachsen, daß kein Teil mehr auf eine friedliche Lösung rechnen mochte. Der Komtur verschärfte seine Zwangsmaßregeln, zog Mannschaften von den Außenhöfen ins Schloß und rüstete mit Eifer. Beim Hochmeister führte er Klagen über die Unbotmäßigkeit der Stadt und rechtfertigte sein scharfes Vorgehen. Die Bürger dagegen machten sich auf einen Überfall gefaßt, verrammelten die Tore nach der Schloßseite, führten außerhalb starke Schanzen auf und wechselten im Harnisch auf den Wallgängen und Türmen. Der Rat aber schrieb an den Herrn Hochmeister und führte Beschwerde über den Komtur, der die Stadt bei ihren Rechten und althergebrachten Gewohnheiten nicht lassen wolle, gegen ihre obersten Beamten beleidigende Worte brauche und allein schuld sei an aller dieser Schälung. Wenn wir Ew. Gnaden etwas pflichtig sind, schloß das Schreiben, so wollen wir Ew. Gnaden das nicht vorenthalten. Aber wir wissen uns dessen aus unseren Briefen nicht Bescheid, die wir vorzulegen bereit sind. Wären wir irrig, so wollen Ew. Gnaden deshalb mit uns nicht richten, sondern uns gestatten, die Sache anheim zu geben den Gebietigern und dem ganzen Lande. Sollte der Herr Komtur uns aber bis dahin zwingen, Gewalt mit Gewalt abzuwehren, so verwahren wir uns deswegen im voraus vor aller Verantwortlichkeit. Denn unseres Rechtes wollen wir uns nimmer begeben um Drohung. Bitten also Ew. Gnaden, solches dem Herrn Komtur ernstlich zu verweisen und uns in unseren Rechten zu schützen.

      Arnold Hecht schnippte mit den Fingern in die Luft, als der Stadtschreiber dieses wohlgefügte Skriptum hohem Rat zur Genehmigung vortrug. Es verschlägt soviel wie ein anderes, sagte er leichthin.

      Auf seinen Antrag erhielt der Büchsenmeister Befehl, schleunigst noch einige Feldschlangen für die Außenschanzen gießen zu lassen. Daß aber die Kugeln nicht vor dem Schloßgraben niederfallen! setzte er mahnend hinzu und lachte, daß sich der runde Bauch schüttelte.

      Es ziemt sich wohl eher, die Dinge ernst zu nehmen, verwies Letzkau. Hoffentlich kommt es nicht zum Kampf.

      Hecht zuckte die Achseln. Wie der Herr Komtur will! Es scheint ihn doch zu gelüsten, sich's beweisen zu lassen, daß unsere Sackträger und Schiffskinder derbe Fäuste haben!

      29. DER GEFANGENE

       Inhaltsverzeichnis

      In dem Turmstübchen des Schlosses Sczanowo ging nicht mehr die Sorge und der Kummer aus und ein.

      Des Königs Leibarzt hatte die böse Krankheit gebannt. Schon nach wenigen Tagen war die Entzündung der Wunde beseitigt, und die Heilung begann von innen her ganz regelmäßig. Das Tränkchen wirkte belebend, erfrischend, kräftigend. Es war, als ob sich neues Blut durch des Junkers Adern ergoß; er sagte, daß er's recht vom Herzen her strömen fühle. Die Augen glänzten wieder, die Mattigkeit wich aus den Gliedern, Speise und Trank mundeten. Wäre die Hilfe nicht von einem Juden gekommen, der Kaplan hätte an ein Wunder geglaubt. Nun schüttelte er mitunter bedenklich das geschorene Haupt, ob man nicht bei so rascher Besserung die der Seele schädliche Einwirkung eines Zaubermittels zu befürchten habe, hielt auch seine Zweifel nicht zurück.

      Macht Euch keine unnützen Gedanken, Pater Stanislaus, riet Natalia. Alles Gute kommt von Gott. Läßt er's durch einen Juden geschehen, der überdies ein rechter Teufel ist, so ist's nur ein Wunder mehr. Wir aber wollen dafür dankbar sein und seine Wege nicht meistern.

      Der Kaplan entgegnete nichts darauf, schlug aber jedesmal, wenn er ans Bett trat, ein Kreuz über dem Kranken und betete eifrig in der Kapelle unter ihm, alle bösen Geister zu verscheuchen.

      Unermüdet setzte das Mädchen die zärtliche Pflege fort. Nach einigen Wochen konnte er aufstehen. Sie trug Decken und Mäntel von weichem Pelzwerk herbei, ihn warm einzuhüllen. Dann stand sie hinter dem Stuhl und stützte seinen Kopf. Er versuchte zu gehen, aber die Knie zitterten. Legt Euren Arm um meine Schulter, sagte sie, und schont mich nicht. Ihr sollt sehen, daß ich kräftig genug bin, Euch zu führen. Der Kaplan wollte diesen Dienst auf sich nehmen, aber sie litt es nicht.

      Erst leitete sie ihn nur wenige Schritte auf und ab, dann weiter und weiter bis in die Fensternische hinein. Ihn erfreuten die helle Februarsonne, der blaue Himmel, die weite Landschaft. Ein Lehnstuhl wurde dorthin gesetzt; er konnte nun ausruhen und eine Weile dem Treiben im Holzgarten auf der Uferhöhe zuschauen. Ist Euch nicht kalt? fragte sie und faßte seine Hand. Seid Ihr nicht müde? Wollt Ihr nicht Euren Wein trinken?

      Wie in einer Gruft hatte Heinz monatelang gelegen; nun konnte er sich gar nicht trennen von diesem Platz am Fenster, der einen Ausblick in die Welt erlaubte. Es war ihm ein interessantes Schauspiel, die Bauern mit ihren Schleifen ankommen und abfahren, die Brettschneider arbeiten, die Juden eifrig hin und her laufen und mit komischheftigen Gebärden Befehle austeilen zu sehen. Bald kannte er jeden von den Leuten in den weißen Schafspelzen, jedes ihrer struppigen Pferde. Ich möchte wohl auch einmal auf dem Schlitten sitzen und mitfahren in den Wald, äußerte er seufzend. Ob ich wohl noch eine Axt schwingen könnte?

      Seid nur hübsch folgsam, antwortete sie, so mögt Ihr's bald erproben.

      Er wollte nun nicht mehr zulassen, daß sie den ganzen Tag ihm Gesellschaft leiste. Er wisse ja doch, daß sie sich gern im Freien bewege, reite und jage, und wolle es nicht zu verantworten haben, daß sie sich seinetwegen Entbehrungen auflege, da ihm doch in ihrer Abwesenheit nichts begegnen könne, als daß er sich langweile. Das sollt Ihr eben nicht, sagte sie darauf; wer sich langweilt, kommt auf schlechte Gedanken, und ich möchte gern, daß es immer freundlich in Euch aussehe.

      Ihr wollt, daß ich immer nur an Euch denke, scherzte er.

      Sie senkte die Augen und schlug sie gleich wieder auf. Das wäre mir das Unliebste nicht, entgegnete sie lächelnd.

      Der Kaplan verstand das Schachspiel. Er mußte es sie lehren, und sie konnte nun stundenlang geduldig Heinz gegenübersitzen und aufmerken, daß die Figuren sich richtig bewegten und ihr kein Vorteil entgehe. Er war kein