19.
Übrigens, meine Brüder, ist es wahnwitzig zu sagen, es habe, ich will nicht sagen Judas, sondern ein beliebiger Mensch mehr Verdienst aufzuweisen gehabt als der, von welchem es heißt: „Unter den von Weibern Geborenen ist kein Größerer aufgestanden als Johannes der Täufer“157. Nicht ihm also wird irgend ein Diener, sondern die Taufe des Herrn wird, auch wenn sie ein schlechter Diener spendet, der Taufe selbst des dienenden Freundes vorgezogen. Höre, wie der Apostel von falschen Brüdern redet, die aus Neid das Wort Gottes predigten, und was er von ihnen sagt: „Ich freue mich darüber und werde mich auch ferner freuen“. Denn sie verkündeten Christus, aus Neid zwar, aber doch Christus158. Nicht wie, sondern wen, betrachte. Wird dir aus Neid Christus gepredigt? Siehe auf Christus, meide den Neid. Ahme nicht dem schlechten Prediger nach, ahme dem guten nach, der dir gepredigt wird. Christus also wurde von einigen aus Neid gepredigt. Und was ist der Neid? Ein verabscheuungswürdiges Laster. Gerade durch dieses Laster wurde der Teufel zu Fall gebracht, ihn stürzte tief hinab die verderbliche Pest; und an dieser litten gewisse Prediger Christi, und doch läßt sie der Apostel predigen. Warum? Weil sie Christus predigten. Wer aber neidig ist, haßt, und wer haßt, wie heißt es von dem? Höre den Apostel Johannes: „Wer seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder“159. Siehe, nach Johannes wurde getauft, nach einem Mörder wurde nicht getauft, weil Johannes seine Taufe gab, der Mörder aber die Taufe Christi gab. Dieses Sakrament ist so heilig, daß es nicht befleckt wird, auch wenn es ein Mörder spendet.
20.
Ich verwerfe nicht den Johannes, sondern ich glaube vielmehr dem Johannes. Was glaube ich dem Johannes? Was er durch die Taube gelernt hat. Was hat er durch die Taube gelernt? „Dieser ist es, welcher tauft im Heiligen Geiste.“ Wohlan also, Brüder, haltet dies fest, präget es euren Herzen ein. Denn wenn ich heute eingehender darlegen wollte, warum durch die Taube, so reicht die Zeit nicht aus. Denn daß die zu erlernende Sache, welche Johannes an Christus nicht kannte, obwohl er Christus bereits kannte, dem Johannes durch die Taube mitgeteilt wurde, dies habe ich, wie ich glaube, eurer Heiligkeit dargelegt; aber warum diese Sache durch die Taube angezeigt werden mußte, würde ich, wenn es kurz erklärt werden könnte, gerne sagen. Allein weil noch lange darüber zu reden wäre und ich euch nicht belästigen möchte, so wird, wie ich durch eure Gebete unterstützt wurde, das gegebene Versprechen zu erfüllen, durch fortgesetzte fromme Bemühung und gute Gebete euch auch das noch klar werden, warum Johannes das, was er am Herrn kennen lernte, daß nämlich „er es ist, welcher tauft im Heiligen Geiste“ und daß er keinem seiner Diener die Macht zu taufen überließ, nur durch die Taube kennen lernen sollte.
6. Vortrag.
Einleitung.
Sechster Vortrag.
Über dieselbe Stelle des Evangeliums. Warum Gott den Heiligen Geist in Gestalt einer Taube habe zeigen wollen. Joh. 1, 32―33.
1.
] Ich gestehe eurer Heiligkeit, ich habe gefürchtet, diese Kälte möchte euch kaltsinnig machen, so daß ihr nicht hierher kämet; allein weil ihr durch diesen starken und zahlreichen Besuch bewiesen habt, daß ihr im Geiste warm seid, so zweifle ich nicht, daß ihr auch für mich gebetet habt, damit ich tue, was ich schuldig bin. Denn ich hatte versprochen, im Namen Christi heute darzulegen ― da der Mangel an Zeit kürzlich eine eingehendere Erklärung verhinderte ―, warum Gott den Heiligen Geist in Gestalt einer Taube zeigen wollte. Damit dies erklärt werde, ist der heutige Tag für uns angebrochen, und ich sehe, daß ihr euch in Hörbegierde und andächtiger Gesinnung zahlreicher eingefunden habt. Eure Erwartung erfülle Gott durch unsern Mund. Denn aus Liebe seid ihr gekommen, aber was habt ihr geliebt? Wenn uns, auch das ist gut; denn wir wollen von euch geliebt werden, aber wir wollen es nicht in uns. Weil wir euch also in Christus lieben, so liebet auch ihr uns in Christus, und unsere Liebe seufze füreinander zu Gott, denn das ist das Seufzen der Taube.
2.
Wenn es also das Seufzen der Taube ist, das wir alle kennen, die Tauben aber in Liebe seufzen, so höret, was der Apostel sagt, und wundert euch nicht, daß der Heilige Geist in Gestalt einer Taube gezeigt werden wollte; „denn um was wir bitten sollen“, sagt er, „wissen wir nicht, der Heilige Geist selbst aber ist Fürsprecher für uns mit unaussprechlichen Seufzern“160. Wie nun, Brüder, werden wir sagen, daß der Geist seufzt dort, wo er vollkommen und ewig selig ist mit dem Vater und dem Sohne? Denn der Heilige Geist ist Gott wie der Sohn Gottes Gott und der Vater Gott ist. Dreimal habe ich gesagt: Gott, aber ich habe nicht gesagt: drei Götter; denn eher noch dreimal Gott als drei Götter, weil der Vater und der Sohn und der Heilige Geist ein Gott ist; das wißt ihr ganz gut. Der Heilige Geist seufzt also nicht in sich selbst bei sich in jener Trinität, in jener Seligkeit, in jener Ewigkeit seines Wesens, sondern in uns seufzt er, weil er unser Seufzen bewirkt. Und es ist nichts Geringes, daß uns der Heilige Geist seufzen lehrt, denn er erinnert uns daran, daß wir Pilger sind, und lehrt uns nach dem Vaterland verlangen, und eben dieses Verlangen ist es, in dem wir seufzen. Wem es wohl ist in dieser Welt oder vielmehr wer glaubt, es sei ihm wohl, wer aus Lust an fleischlichen Dingen, im Übermaß zeitlicher Güter und eitler Glückseligkeit aufjauchzt, hat die Stimme eines Raben; denn die Stimme des Raben ist krächzend, nicht seufzend. Wer aber weiß, daß er in der Bedrängnis dieses sterblichen Lebens sich befindet und fern vom Herrn pilgert161, noch nicht die uns verheißene ewige Seligkeit besitzt, sondern erst in Hoffnung darauf lebt, um sie in Wirklichkeit zu erhalten, wenn der Herr in sichtbarem Glanze kommen wird, nachdem er zuerst verborgen in Niedrigkeit gekommen war: wer das weiß, seufzt. Und solange er deswegen seufzt, seufzt er gut; der Geist hat ihn seufzen gelehrt, von der Taube hat er seufzen gelernt. Denn viele seufzen in irdischer Unglückseligkeit; entweder durch Verluste entmutigt, oder mit Krankheit beladen, oder in Gefängnissen eingeschlossen, oder in Ketten gebunden, oder von den Meereswogen hin- und hergeworfen, oder von Nachstellungen der Feinde umringt seufzen sie, aber sie seufzen nicht mit dem Seufzen der Taube, sie seufzen nicht aus Liebe zu Gott, sie seufzen nicht im Geiste. Wenn darum solche von ihren Bedrängnissen befreit sind, jubeln sie mit lauter Stimme, und es zeigt sich dann, daß sie Raben sind, nicht Tauben. Mit Recht wurde aus der Arche ein Rabe entlassen, und er kehrte nicht zurück; es wurde eine Taube entlassen, und sie kehrte zurück; diese beiden Vögel sandte Noe aus162. Er hatte dort einen Raben, er hatte dort auch eine Taube; diese beiden Gattungen enthielt die Arche; und wenn die Arche die Kirche vorbildete, so seht ihr eben, daß die Kirche in der Sintflut dieser Welt beide Gattungen enthalten muß, den Raben und die Taube. Welche sind die Raben? Die das Ihrige suchen. Welche die Tauben? Die das suchen, was Christi ist163.
3.
Darum also hat er, als er den Heiligen Geist sandte, ihn auf zweierlei Weise sichtbar gezeigt, durch die Taube und durch das Feuer: durch die Taube über dem Herrn bei der Taufe, durch das Feuer über den versammelten Jüngern. Denn als der Herr nach der Auferstehung nach vierzigtägigem Verkehr mit seinen Jüngern in den Himmel aufgestiegen war, sandte er ihnen am Pfingstfeste den Heiligen Geist, wie er versprochen hatte. Der Geist also kam damals und erfüllte jenen Ort, und nachdem zuerst ein Brausen vom Himmel her entstanden war, als ob ein gewaltiger Wind wehte, wie in der Apostelgeschichte zu lesen ist, da „erschienen ihnen zerteilte Zungen wie Feuer, das sich auf jeden von ihnen niederließ, und sie fingen an, in Sprachen zu reden, wie der Heilige Geist es ihnen auszusprechen verlieh“164. Dort sahen wir eine Taube über