5. Vortrag.
Einleitung.
Fünfter Vortrag.
Nochmals über die Stelle: „Und ich erkannte ihn nicht“ usw. Joh. 1, 33.
Was Johannes Neues erfahren habe durch die Taube.
1.
Nach dem Willen des Herrn sind wir zu dem Tage unseres Versprechens gelangt; er wird auch dies verleihen, daß wir zur Einlösung eben dieses Versprechens gelangen. Dann nämlich ist das, was wir sagen, sowohl uns wie euch nützlich, wenn es von ihm ist; was aber vom Menschen ist, ist Lüge, wie unser Herr Jesus Christus selbst gesagt hat: „Wer Lüge redet, redet von dem Seinigen“120. Niemand hat von dem Seinigen etwas, außer Lüge und Sünde. Wenn aber der Mensch etwas von Wahrheit und Gerechtigkeit hat, dann ist es von jener Quelle, nach der wir in dieser Wüste seufzen müssen, damit wir, daraus gleichsam durch einige Tropfen benetzt und auf dieser Pilgerschaft inzwischen getröstet, um nicht auf dem Wege zu erliegen121, zu seiner Ruhe und Sättigung kommen können. Wenn also „wer Lüge redet, von dem Seinigen redet“, so redet, wer Wahrheit redet, aus Gott. Wahrhaft ist Johannes, die Wahrheit ist Christus; wahrhaft ist Johannes, aber jeder Wahrhafte ist durch die Wahrheit wahrhaft; wenn also Johannes wahrhaft ist und der Mensch nur durch die Wahrheit wahrhaft sein kann, durch wen war er dann wahrhaft, wenn nicht durch denjenigen, der gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit“122? Es könnte also weder die Wahrheit gegen den Wahrhaften noch der Wahrhafte gegen die Wahrheit aussagen. Den Wahrhaften hat die Wahrheit gesandt, und deshalb war er wahrhaft, weil er von der Wahrheit gesandt war. Wenn die Wahrheit den Johannes gesandt hatte, dann hatte ihn Christus gesandt. Aber was Christus zugleich mit dem Vater tut, das tut der Vater, und was der Vater zugleich mit Christus tut, das tut Christus. Weder tut der Vater etwas getrennt vom Sohne, noch tut der Sohn etwas getrennt vom Vater: unzertrennlich ist die Liebe, unzertrennlich die Einheit, unzertrennlich die Majestät, unzertrennlich die Macht, gemäß den Worten, die er selbst sprach: „Ich und der Vater sind eins“123. Wer also sandte den Johannes? Wenn wir sagen, der Vater, reden wir die Wahrheit; wenn wir sagen, der Sohn, reden wir die Wahrheit; deutlicher aber drücken wir es aus, wenn wir sagen: der Vater und der Sohn. Den aber der Vater und der Sohn sandte, hat der eine Gott gesandt, da der Sohn gesagt hat: „Ich und der Vater sind eins“. Wie also kannte er den nicht, von dem er gesandt wurde? Er sagte ja: „Ich kannte ihn nicht, aber der mich gesandt hat, im Wasser zu taufen, der sprach zu mir“. Ich frage den Johannes: Der dich gesandt hat, im Wasser zu taufen, was sprach er zu dir? „Über welchen du den Geist herabsteigen siehst, wie eine Taube, und auf ihm bleiben, der ist es, welcher tauft im Heiligen Geiste.“ Das, o Johannes, sprach zu dir der, welcher dich gesandt hat? Ohne Zweifel dies. Wer also hat dich gesandt? Vielleicht der Vater. Wahrhaft ist Gott der Vater, und die Wahrheit ist Gott der Sohn; wenn der Vater ohne den Sohn dich gesandt hat, dann hat dich Gott ohne die Wahrheit gesandt; wenn du aber deshalb wahrhaft bist, weil du die Wahrheit redest und aus der Wahrheit redest, dann hat dich der Vater nicht ohne den Sohn gesandt, sondern der Vater und der Sohn haben dich zugleich gesandt. Wenn also auch der Sohn dich gesandt hat zugleich mit dem Vater, wie kanntest du den nicht, von dem du gesandt wurdest? Den du in der Wahrheit gesehen hattest, der hat dich gesandt, damit er im Fleische anerkannt würde, und gesprochen: „Über welchen du den Geist herabsteigen siehst, wie eine Taube, und auf ihm bleiben, der ist es, welcher tauft im Heiligen Geiste“.
2.
Hat Johannes dies gehört, damit er den erkenne, den er nicht kannte, oder damit er den vollständiger erkenne, den er bereits kannte? Denn hätte er ihn gar nicht gekannt, so würde er nicht zu ihm, als er an den Fluß kam, um sich taufen zu lassen, gesagt haben: „Ich muß von Dir getauft werden, und Du kommst zu mir?“124 Er kannte ihn also. Wann aber ist die Taube herabgestiegen? Erst als der Herr getauft war und aus dem Wasser stieg. Aber wenn der, welcher ihn gesandt hat, sprach: „Über welchen du den Geist herabsteigen siehst, wie eine Taube, und auf ihm ruhen, der ist es, welcher tauft im Heiligen Geiste“, und er ihn noch nicht kannte, sondern ihn erst beim Herabkommen der Taube erkannte, die Taube aber dann herabkam, als der Herr aus dem Wasser stieg, Johannes aber schon damals den Herrn erkannt hatte, als der Herr zu ihm an das Wasser kam, so erhellt daraus für uns, daß Johannes den Herrn in einer Beziehung kannte, in anderer noch nicht kannte. Wenn wir es aber nicht so verstehen, war er ein Lügner. Wie war er wahrhaft, da er, ihn erkennend, sagt: „Du kommst zu mir, um Dich taufen zu lassen, und ich muß (doch) von Dir getauft werden“? Ist er wahrhaft, da er dies sagt? Und wie hinwieder ist er wahrhaft, da er sagt: „Ich kannte ihn nicht, aber der mich gesandt hat, im Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Über welchen du den Geist herabsteigen siehst, wie eine Taube und auf ihm bleiben, der ist es, welcher tauft im Heiligen Geiste“? Erkannt wurde der Herr durch die Taube, aber nicht von dem, der ihn überhaupt nicht kannte, sondern von dem, der an ihm etwas erkannte, etwas aber nicht. Es ist also unsere Sache, zu untersuchen, was Johannes an ihm noch nicht kannte und durch die Taube erst kennen lernte.
3.
Warum ist Johannes zu taufen gesandt worden? Dies habe ich, wie ich mich erinnere, so gut ich konnte, eurer Liebe bereits gesagt. Wenn nämlich die Taufe des Johannes zu unserem Heile notwendig war, dann müßte sie auch jetzt noch in Übung sein. Denn nicht werden jetzt die Menschen nicht selig oder jetzt nicht mehrere selig, noch auch war damals das Heil ein anderes als jetzt. Wenn Christus sich geändert hat, dann hat sich auch das Heil geändert; wenn aber das Heil in Christus ist, und Christus derselbe ist, ist auch das Heil für uns dasselbe. Aber warum wurde Johannes zu taufen gesandt? Weil Christus getauft werden mußte. Warum mußte Christus getauft werden? Nun, warum mußte Christus geboren werden? Warum mußte Christus gekreuzigt werden125? Wenn er nämlich gekommen war, den Weg der Demut zu zeigen und sich selbst zum Weg der Demut zu machen, so mußte er in allem verdemütigt werden. Auf diese Weise würdigte er sich,* seiner* Taufe Ansehen zu verschaffen, damit die Diener erkennen möchten, mit welcher Freudigkeit sie zur Taufe des Herrn eilen sollten, da er selbst sich nicht weigerte, die Taufe des Dieners zu empfangen. Denn Johannes erhielt die Vergünstigung, daß sie seine Taufe genannt wurde.
4.
Dies beachte und unterscheide und wisse eure Liebe. Die Taufe, welche Johannes empfing, ist die Johannes-Taufe genannt worden; er allein empfing einen solchen Vorzug; keiner der Gerechten vor ihm, keiner nach ihm empfing eine Taufe, welche die seinige hieße. Freilich hat er sie* empfangen*, denn aus sich könnte er nichts; denn wenn jemand aus sich redet, redet er Lüge von dem Seinigen126. Und woher empfing er sie, wenn nicht vom Herrn Jesus Christus? Von dem empfing er die Gewalt zu taufen, den er nachher taufte. Wundert euch nicht; denn so hat Christus dies an Johannes getan, wie er ein gewisses Etwas an seiner Mutter getan hat. Von Christus nämlich heißt es: „Alles ist durch ihn geworden“127; wenn alles durch ihn geworden ist, dann ist auch Maria durch ihn geworden, von welcher nachher Christus geboren wurde. Eure Liebe gebe acht: Wie er Maria schuf und durch Maria geschaffen wurde, so gab er dem Johannes die Taufe und wurde von Johannes getauft.
5.
Deshalb also empfing er die Taufe von Johannes, um durch Annahme des Niedrigeren von dem Niedrigeren zum Höheren die Niedrigeren aufzufordern. Aber warum ist nicht er allein von Johannes getauft worden, wenn Johannes deshalb gesandt wurde, daß durch ihn Christus getauft würde, damit er dem Herrn d. i. Christus den Weg bereite? Auch das haben wir bereits gesagt, allein wir wollen es nochmals erwähnen, weil es für die gegenwärtige Frage notwendig ist. Wenn nur unser Herr Jesus Christus mit der Taufe des Johannes getauft worden wäre ― behaltet, was wir sagen; nicht so viel soll die Welt vermögen, daß sie aus euren Herzen tilge, was dort der Geist Gottes geschrieben hat; nicht so viel sollen die Dornen der Sorgen vermögen, daß sie den Samen ersticken, der in euch ausgesät wird; denn warum sind wir gezwungen, dasselbe zu wiederholen,