Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
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redend und lachend. Bob wirkte weder müde noch schläfrig, er freute sich über das, was wir geschafft hatten, wie ein Schneekönig, und er rieb in der beißenden Kälte des Morgens temperamentvoll seine Hände aneinander.

      »Bei Gott, Hughie«, sagte er zu mir, »du siehst ja aus wie Prinz Hamlet, der wie eine schwarze Krähe auf den zerfallenden Wällen Dänemarks hockt.«

      »Unten im Queen’s College gibt es einen Professor«, erzählte Vincent, »der glaubt, daß Shakespeare Ire war. Wie hätte er denn sonst so große Poesie schreiben können? Ein interessanter Gedanke. Tommy Moore war ein großer Dichter und ein Ire. Der Professor verfügt da wirklich über mächtige Logik.«

      Er hatte seinem Etui aus blutrotem Marokkoleder eine Morgenzigarre entnommen, die er nun mit seinem eleganten kleinen Feuerzeug ansteckte, wobei er die Flamme hin und her bewegte und sanft an der Zigarre zog.

      »Er hat aber keine besondere Zuneigung zu den Iren, dieser Shakespeare«, sagte ich, »wenn er überhaupt an uns denkt. Wilde Krieger mit verfilzten Haaren. Hat Queen’s College das auch bedacht?«

      »Tarnung«, erwiderte Vincent. »Spuren verwischen. Gibt vor, der Sohn eines Gerbers aus Stratford zu sein.«

      »Hör sich einer das an«, sagte Bob. »Ihr beide. Da haltet ihr eine gelehrte Konversation, und hinter euch steht Laffans Hütte, bis zum Dach vollgestopft mit Feuerwaffen.«

      Doch während er das sagte, konnte seine Stimme seine Zufriedenheit nicht verhehlen, und Vincent und ich grinsten uns an, als wir das bemerkten. Ich frage mich, ob Vincent damals die Quellen dieser Zufriedenheit erraten hat, die ich erst lange Zeit später durchschaute. Seit unserem Ritt nach Kerry hatte das Problem mit den Waffen ihm zu schaffen gemacht, und es war eine große Erleichterung für ihn zu wissen, daß wir sie jetzt hatten und daß sie bei Laffan in Sicherheit waren. Aber ich glaube, das war noch nicht alles. Unsere Aktion ist als »Nolans Beute« in die Säge eingegangen, aber es war genau so sehr Bobs Verdienst wie Neds. Bob hatte die Gruppen ausgesucht, hatte ihnen mit Gewalt und Schmeichelei klargemacht, worum es überhaupt ging, hatte ihnen bei ihrer Rückkehr schon an der Tür gratuliert und sie zum Kamin geführt, wo sie von der Kälte der Nacht und der Dunkelheit befreit wurden.

      Vincent ging zu einem von Laffans Grenzsteinen, einem flachen grauen Quader mit Flecken von verblichener weißer Tünche, und betrachtete ihn geistesabwesend, als ob er versuchte, sich an etwas zu erinnern.

      »Jetzt ist der festgesetzte Tag wirklich nahe gerückt.« Dieses eine Mal lag in seinem wohlklingenden Tenor keine Spur von Neckerei.

      »Sehr nah«, sagte Bob und blickte zurück zur Hütte. In diesem Moment kamen die letzten, Ned und Pat Dunphy, gefolgt von Laffan, zu uns heraus.

      Neds schwerer Mantel hing offen und lose von seinen Schultern, und er hatte wie immer die Hände in den Taschen vergraben. Er muß genauso zufrieden gewesen sein wie Bob, aber seine Züge, sein mageres Gesicht und seine tiefliegenden Augen verrieten das nicht. Laffan, ein unordentlicher Mann mit wenig ausgeprägten Zügen, hielt einen Krug in der Hand. Er hatte uns in der Nacht gute Dienste geleistet und würde das auch in Zukunft tun, aber ich mochte ihn nicht leiden. Er bewegte sich zu einer abgehackten und barbarischen eigenen Musik, die diese einsame Gegend, die Gesellschaft von Hasen und Schnepfen für ihn aufspielten.

      »Wir könnten wohl alle einen Schuß davon brauchen«, sagte Ned und nickte zum Krug hinüber, und Laffan zog den Stöpsel heraus und reichte Bob den Whiskey. Bob warf einen überraschten Blick auf Ned, setzte den Krug an den Mund, trank, wischte die Öffnung dann ab und reichte den Krug an Vincent weiter. Als ich an die Reihe kam, nahm ich zuerst einen kleinen, vorsichtigen Schluck, aber es war eins von Laffans besseren Produkten, sanft wie geschmolzene Perlen, und ich gönnte mir einen guten Schluck und dann noch einen, um den ersten herunterzuspülen.

      Wir standen in einem ungleichmäßigen Kreis, wir sechs, und der Augenblick hatte etwas Rituelles, als der Whiskey herumgereicht wurde. Wenn eine Schnepfe oder ein Brachvogel über uns gekreist wären, dann hätten sie uns für klein und unbedeutend gehalten, sechs Männer, die neben einer Hütte standen, während sich in alle Richtungen die endlosen Weiden und Moore hinzogen und sich bis zu den Bergen erstreckten. Unsere Stimmen, die so zuversichtlich und stark schienen, als wir einander auf dem Boden gegenüberstanden, würden im Schweigen der höheren Luftschichten untergehen.

      Ned trank als letzter, nachdem Dunphy ihm den Krug gereicht hatte, den er dann, nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, Laffan zurückgab. Laffan schob den Stöpsel wieder in den Krug, drehte uns den Rücken zu und ging mit schwerfälligen Schritten zurück in die Hütte.

      »Die Männer brauchen zwei lange Durchgänge, um Gefühl für die Waffen zu bekommen«, sagte Ned. »Danach fängt das Exerzieren richtig an. Laß sie kommende Nacht ausruhen, Bob, und bring sie dann in der nächsten Nacht wieder hierher. Danach kann jeder seine Waffe mitnehmen und zu Hause weiter üben, und dann treffen wir uns am Donnerstag in Knockmany wieder. Kannst du dafür sorgen?«

      »Kann ich«, antwortete Bob. »Pat Dunphy und ich können dafür sorgen.«

      »Die meisten von den Jungs haben in dieser Nacht zum erstenmal ein Gewehr angefaßt«, sagte Dunphy.

      »Das war mir durchaus bekannt«, erwiderte Ned. »Ich kann ihnen in einer Stunde alles erzählen, was sie wissen müssen.«

      »Ja, Sir«, sagte Dunphy mit argem Zweifel in der Stimme.

      »Ich geb euch mein Wort«, erklärte Ned. »Wir brauchen Gewehre und Männer, die damit losballern, keine Scharfschützen.«

      Bob, wie ich bemerkte, machte ein ebenso spöttisches Gesicht wie Dunphy, sagte jedoch nichts dazu.

      »Was wir in dieser Nacht geschafft haben, wird in Kilpeder für große Aufregung sorgen«, sagte er.

      »Die Aufregung hat wahrscheinlich schon eingesetzt«, sagte Ned. »Honan von der Polizei wird in den nächsten Stunden alles erfahren, und dann erfährt es der Distriktsinspektor, und diese Herren werden es nach Cork und Dublin drahten. Dann solltet ihr besser zu Hause sein. Du kannst dich schon mal auf Sergeant Honans scharfe Fragen vorbereiten, Hughie.«

      Ned schien das Vorlesen eines Buchkapitels zu beenden und zur nächsten Seite weiterzublättern. Seine Augen blinzelten unter den schweren Brauen zu mir herüber. Es war ein Buch, das nicht neu geschrieben werden konnte. Diese Nacht war unwiderruflich.

      »Was soll ich ihm denn erzählen, Ned?«

      Er zuckte die Schultern. »Er wird dir doch kein Wort glauben. Ich habe gestern abend bei dir gegessen, und dann bin ich weggegangen. Seitdem hast du mich nicht wieder gesehen. Vielleicht verhaftet er dich, vielleicht auch nicht. Ich bezweifle es eigentlich. Bob und Vincent wird nichts passieren. Davon bin ich überzeugt.«

      »Angenehme Neuigkeiten«, sagte Vincent mit kläglicher Stimme, und er und ich tauschten einen Blick. Er hielt immer noch seine Zigarre zwischen den Lippen, aber sie brannte nicht mehr.

      »Sie werden hier den Ausnahmezustand verhängen«, sagte Bob. »Aber das wird eine Weile dauern. Es muß in Dublin beschlossen werden. Bis dahin muß es Haftbefehle und einen begründeten Verdacht und das alles geben.«

      »Sie werden ihn bestimmt verhängen«, sagte Ned. »Das hier kommt zu kurz nach O’Connors Geschichte unten in Kerry, von dem uns nur die Berge trennen. Flicken aus derselben Decke.«

      Vincent und ich, ganz zu schweigen vom armen Dunphy, waren wie Schulkinder, die eine Unterhaltung von Lehrern belauschen, bei der Fragen behandelt werden, die unser Verständnis bei weitem überschreiten. Mir ging es jedenfalls so. Vincent, wie ich beobachtete, verbarg hinter seiner erloschenen Zigarre ein leichtes Lächeln.

      »Um ganz ehrlich zu sein«, sagte Vincent, »ich würde mich außerhalb der Stadt wesentlich sicherer fühlen.«

      Ned zögerte, ehe er antwortete, dann nickte er. »In Ordnung«, sagte er. »Du kannst hier bei mir bleiben, wenn du möchtest. Was Laffan betrifft, kann ich nichts sagen. Aber du nicht, Bob, und Hughie auch nicht. Ich brauche euch an Ort und Stelle, unten in Kilpeder, egal, wie hoch das Risiko für euch auch sein mag.«

      »Darauf