Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
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mit ihren schwarzen düsteren Spitzen. Es gab auch etliche Pistolen und ein paar Revolver, selbstherrlich in ihrem Aussehen, als ob sie mehr als ihre Besitzer über explosive Todesarten wüßten. Und es gab sogar, wunderschön in dunklem Walnußholz untergebracht, oben und unten von verblichenem blauen Samt eingerahmt, ein Paar Duellpistolen, deren lange, breite Läufe graviert waren. Der Boden des Kastens war ihrer Form angepaßt. Diese Pistolen kamen aus dem Haus der Barringtons in Glencairn an der Straße nach Millstreet, deren Vater und Großvater in jenen Tagen auf dem Felde der Ehre berühmt gewesen waren, als niemand gewagt hatte, sich als Gentleman zu bezeichnen, der nicht auf seinen Widersacher gefeuert und seinerseits an einem kühlen, nebligen Morgen im Feuer gestanden hatte, während Sekundanten und der Arzt bereitstanden und Flaschen mit Brandy und Kaffee in der Kutsche warteten.

      Ferdy Lynch, der den Kasten von den Barringtons zu uns brachte, setzte ihn geradezu ehrfürchtig auf die auf dem Tisch ausgebreitete Karte, wo er viele Acres bedeckte. Es war klar, daß der arme Junge diese Pistolen für den Hauptfang der Aktion hielt, obwohl sogar mir klar war, daß diese Pistolen für uns sinnlos waren, komplizierte Gegenstände mit Rädchen und geheimnisvollen Vorrichtungen. Mir erschienen sie als hochmütige und bösartige Sendboten aus der Welt, die wir herausfordern wollten, einer Welt, die hundert Pfund für zwei Stück mörderisches Spielzeug vergeuden konnte.

      Ned jedoch nickte Lynch mit mehr Takt und guter Laune zu, als ich ihm zugetraut hätte. »Wirklich schöne Waffen«, sagte er. Lynch hatte, wie einige andere auch, für die Arbeit dieser Nacht sein Gesicht geschwärzt, seine Züge waren rußverschmiert, und wenn er lächelte, dann waren seine starken Zähne weiß wie vom Regen saubergespülter Marmor. Seine war eine der letzten Gruppen, die zurückkehrten, und obwohl das Zimmer immer noch dunkel war und nur von der tropfenden Talgkerze beleuchtet wurde, so wurde es vor dem schmutzigen Fenster doch inzwischen bereits hell. Wir waren alle müde und nicht mehr richtig wach, und als Ned leise den Deckel aus dunklem, glattem Holz über den Duellpistolen zugeklappt hatte, rieb er sich mit den Fingerknöcheln die Augen.

      Er war offensichtlich mit der Arbeit dieser Nacht zufrieden, und dazu hatte er auch allen Grund. Nach Bobs Buchführung hatten wir die Kolonne von Kilpeder bewaffnet, mit Gewehren, Schrotflinten, Revolvern, und hatten noch ein oder zwei Armvoll Waffen übrig für neue Rekruten, die sich uns vielleicht anschließen würden. Wie sich später herausstellen sollte, war unseres vielleicht das erfolgreichste Unternehmen des Aufstandes von 1867, und zweifellos war das der Grund, warum es so oft in der erbärmlichen Kneipendichtung späterer Jahre auftauchte, zusammen mit Clonbrony Wood und O’Neills Schlacht unten an der Küste und der wilden Schießerei, die Crowley kurze Zeit später in Limerick veranstalten sollte. Damals jedoch, während der ganzen langen Nacht, kam es uns überhaupt nicht wunderbar vor. Vielleicht, weil Ned so gelassen blieb und seine Gruppen losschickte, wie man Straßenarbeiter losschickt, die eine Straße reparieren sollen. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, daß wir anderen alle wirklich keine Ahnung hatten, worauf wir uns eingelassen hatten, und uns blind darauf verließen, daß ein Soldat aus Amerika die Fäden und Zügel großer Strategie in Händen hielt.

      Die allerletzte Gruppe, die zurückkehrte, war die von Matty Brennan, eine kleine Abteilung, denn zwei seiner Jungs, zwei Brüder, hatten sich davongemacht, als sie auf dem Rückweg an ihrer eigenen Farm vorbeigekommen waren. »Na, und da kann man ihnen wirklich keinen Vorwurf machen«, sagte Matty entschieden, »wo sie doch den Rauch von ihrem eigenen Herd sehen konnten und wußten, daß ihr alter Vater auf sie wartete.« Bob nickte und lud Matty zu einem Napf von Laffans Brei ein, den Laffan seltsamerweise selber kochte, statt diese Aufgabe seiner Frau anzuvertrauen. Es war sehr guter Brei, heiß und dick, mit dem Geschmack des Morgens. Als er die Näpfe füllte, gab er in jeden eine Eierschale von seinem Whiskey, einen Stich Butter und einen Schluck Milch.

      Ich ging mit meinem Napf nach draußen, um der stickigen, stinkenden Hütte zu entkommen. Jetzt befanden sich nur noch wenige von uns auf dem Hügel, die ganze Nacht hindurch waren Gruppen von Männern aus- und eingegangen, schwitzend und fluchend, hatten auf den Boden gespuckt und es kaum für nötig befunden, ihre Spucke mit ihrem Stiefelabsatz zu zertreten. Ihre Anwesenheit war noch zu spüren, und sie besudelte die Luft. Sie mochten zwar Soldaten der Republik Irland sein, aber Laffans Hütte war in dieser Nacht von der Zeit losgelöst gewesen, und wir hätten allesamt Ribbonmen sein können, oder die Whiteboys des vergangenen Jahrhunderts, Viehhirten und Spalpeensk, die düstere, blutige Rache planten. Zumindest für einige, von den Männern war es in dieser Nacht nicht so sehr darum gegangen, die Kolonne von Kilpeder zu bewaffnen, sie hatten den Großgrundbesitzern eins auswischen wollen, zum erstenmal seit vielen Jahren.

      Um die Wahrheit zu sagen, hatte ein Teil von mir es ebenso empfunden. In Gedanken hatte ich einen dunklen Salon gesehen, unsichtbar die eleganten Sessel und Sofas auf ihren zierlichen Beinen, die Ofenschirme mit Petit-point-Stickerei; bedrohlich an der Wand die Scherenschnitte und Portraits von Vätern und Großvätern, kalt, steif, herrisch; Silber und Zinn auf der Anrichte. Rufe, Schläge an die Eingangstür, dann eine neugierige Kerze im Treppenhaus, die Türbolzen entfernt, die Tür zuerst einen Spalt breit geöffnet, dann weit aufgestoßen. Und vor der Tür, in der kalten Nachtluft, in der Welt, die immer fremd ist, wenn man ihr um Mitternacht begegnet und gerade aus dem Schlaf gerissen worden ist, Matty Brennan und seine Männer, dunkle Kleider und geschwärzte Gesichter. Ohne ein Wort dringen sie in die Halle ein. Für den Hausbesitzer ist es ein ererbter Alptraum: mordlustige Bauern, die sich aus vom Nebel verhüllten Mooren erhoben haben. Nicht Matty Brennan, der anständigste und sanfteste Mann, den man im Umkreis von hundert Meilen finden kann, sondern eine Moorkreatur, schlimmer noch als die, die sich hinter ihm zusammendrängen. Und Matty Brennan seinerseits sieht nicht Samuel Soundso von Gut Diesunddas, schlicht, sorglos, gutmütig, sondern einen Großgrundbesitzer, der allen Grund zur Angst hat, der um seinen Salon voller Goldbronze-Uhren und Petit point und prahlerischer Erbstücke fürchtet. In all diesen Jahren waren düstere Leidenschaften in uns am Werk, die später in den Tagen des Landkrieges wieder aufbrachen. Ich selber kann mich am wenigsten davon freisprechen.

      Die Welt des Morgens vor Laffans Hütte jedoch war über solche Sorgen erhaben. Sie alle lagen irgendwo hinter dem verschlungenen Strang von Boreens, hinter den Weiden, die noch vollgesogen waren vom leichten Regen der Nacht. Keine andere Hütte war zu sehen, und als ich Gewehren und Revolvern meinen Rükken zukehrte, schien ich ganz Irland für mich zu haben. Alle Dunkelheit war weggeblichen worden, und die Landschaft lag in nasses, perlfarbenes Licht gebadet da. Es ließ das harte, rauhe Grün des Grases und die schwarzen, glänzenden Felsen weicher werden. Die Boreen, die von unserer Hütte wegführte, schlängelte sich zwischen Hecken und schlanken Bäumen hindurch, Ebereschen und Brombeeren, blattlos jetzt in diesem Monat vor dem Frühling; Weit weg, zu meiner Linken, lag ein kleines Moor, an das die Nebel sich noch klammerten, hinter dem Moor jedoch traf unerwartetes Licht auf das blasse Silberband eines Baches. Und, am weitesten entfernt, immer noch dunkel, weit im Westen, lagen die Derrynasaggarts, die uns vor dem Meer schützten. Es war eine lautlose Welt – kein Brachvogel schrie, kein schneller Flügelschlag störte den tiefhängenden, wolkenreichen Himmel.

      Für kurze Zeit Herr über eine menschenlose Welt, stand ich da, ich weiß nicht, wie lange, sicher einige Minuten, lang genug jedenfalls, um meinen Porridge von der Luft abkühlen zu lassen. Wie oft kommt es vor, daß man das Universum für sich hat, und wie leicht ist es zu erlangen, wenn man lange genug mit dem Zubettgehen wartet oder aufsteht, ehe die anderen sich gerührt haben! An diesem Morgen jedoch, und vielleicht, weil wir die Nacht auf diese Weise verbracht hatten, fühlte ich mich von Geheimnissen bedrängt und war äußerst verwundert über unser einsames Unternehmen. Wer waren wir, fragte ich mich, mit welchem Recht tobten wir durch die Nacht, plünderten wir Häuser aus und brachten wir Gewehre an uns, mit denen wir Polizisten und Rotröcke erschießen wollten? Und wer waren sie, die im Land hin- und hermarschierten und uns für eine Königin und ein Parlament in einem fernen Land unterworfen hielten? Die Antworten lagen irgendwo in dem Anblick, der sich mir hier bot und der Irlands Aussehen und Wesen ausmachte, der die Sinne so beeindruckte wie ein in der Dämmerung über das Tal tönendes gälisches Lied, der Anblick eines Torfstechers, der im Abendlicht nach Hause geht, oder die verwitterten Steine einer zerstörten Abtei, die sich vor dem Horizont abhebt. So gehen wir in der Einsamkeit mit uns selber zu Rate, und was dabei herauskommt, sind abgefeuerte Gewehre und Männer, die mit schrecklichen Wunden zu Boden sinken.