Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
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erwiderte Bob mit der Hand an der Klinke. »Aber es ist ein verdammt trauriger erster Akt. Kommen Sie gut nach Hause, Captain Reilly.« Seine Stiefel polterten die enge Treppe hinunter, und er überließ es mir, den beiden höflichere Worte zu sagen.

      In dieser Nacht teilten wir bei Jeremiah Brick ein Bett, und bei Bricks herrschte eine klägliche Stimmung, da Mrs. Brick nur an Jeremiahs Abwesenheit denken konnte und durch Natur oder Erfahrung nur wenig imstande war, die Ereignisse zu begreifen, die ihn verschlungen hatten. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, uns am Morgen Tee und ein anständiges Frühstück vorzusetzen und uns mit ihrer scharfen Zunge zu beglücken. Ich hatte sie vorher zwei-oder dreimal getroffen und sie für ein harmloses, friedliches Geschöpf gehalten. Darin hatte ich mich restlos getäuscht. Sie war eine Xanthippe.

      Als Bob und ich unseren Tee und unser mit Butter bestrichenes Brot zu uns nahmen, stand sie mit in die Hüften gestemmten Händen neben uns, wild entschlossen, unsere Verdauung zu ruinieren. »Der arme Jerry irrt durch die Hügel oder liegt dort tot, oder sie werden ihn an einem Strick durch die Straßen führen, wie diese Burschen gestern. Aber Martin Timoney sitzt bequem in seinem Wirtshaus, da könnt ihr sicher sein, und heute abend werdet ihr beide wohlbehalten in Kilpeder sein. Ich verstehe wirklich nicht, wie ihr es über euch bringen könnt, etwas zu essen, ihr beiden.«

      »Es war nett von Ihnen, uns etwas vorzusetzen«, sagte ich.

      »Das geschieht nicht euch zuliebe, darauf könnt ihr Gift nehmen«, sagte sie. »Ich dachte bloß, daß irgendeine anständige Frau in den Bergen für den armen Jerry dasselbe tut. Ihr habt euch eingebildet, ihr könntet mit der britischen Armee fertigwerden, was, und Gott möge euch vergeben, ihr unwissenden Kinder. Sie strömen nur so in die Straßen von Killarney, kräftige gutaussehende Burschen, die wissen, wie man mit Kanonen und Gewehren umgeht.«

      »Bisher sind noch keine Kanonen eingesetzt worden«, widersprach ich, der ewige Pedant.

      »Mein eigener Bruder ist bei den Munster Fusiliers, ein Corporal ist er, und wenn die Munsters hergeschickt werden, dann machen sie mit euch allen kurzen Prozeß.«

      »Und zweifellos auch mit Jerry«, sagte ich, und durch diese Kriegslist konnte ich eine kurze Unterbrechung ihrer Tirade erreichen.

      »Die Priester haben euch alle vom Altar herunter verurteilt«, sagte sie dann, »und trotzdem bezeichnet ihr euch selber als Iren.«

      Bob hatte nichts gesagt, sondern sich mit seinem Frühstück beschäftigt. Nun schob er seinen Teller zurück. »Da haben Sie recht, Mrs. Brick. Ich möchte wirklich wissen, warum Jerry jemals in diese verzweifelte Sache hineingeraten ist, wo er doch zu Hause bleiben und den Frieden an Ihrem Kamin genießen könnte.« Ironie war bei ihr vergeudet.

      Aber als wir unsere Pferde gesattelt hatten und aus dem Stall führten, wartete sie in der offenen Tür auf uns. Sie hatte sich einen von Jerrys Mänteln zum Schutz gegen die Kälte des Morgens über die Schultern geworfen.

      »Kommt gut durch die Berge«, sagte sie. »Ihr seid brave Burschen, ihr beide.«

      »Jerry wird zu Ihnen zurückkommen«, sagte Bob und legte die Hand an seinen Hut. »Haben Sie keine Angst.«

      »So Gott will«, sagte sie. »Und Gott möge euch schützen.«

      Jerry kam tatsächlich zu ihr zurück, wenn auch nur für eine Woche. Dann wurde er von der Polizei geholt, in Tralee vor Gerieht gestellt und ins Millbank-Gefängnis in England geschickt, wo er zwei Jahre absitzen mußte. Als er entlassen wurde, war sein Mietstall längst bankrott, denn der Landadel von Killarney und die respektablen Geschäftsleute wollten nichts mit einer Fenier-Familie zu tun haben. Die Finger seiner rechten Hand waren verkrümmt und verknotet, manche sagen, von seiner Arbeit im Gefängnis, während andere behaupten, der Knüppel eines Wärters habe sie zerschmettert.

      Wir hatten einen stillen Ritt zurück nach Hause, denn wir waren beide nicht in Konversationslaune. Mehrmals fragte ich Bob, was er von dem, was wir gehört und nicht gehört hatten, hielte, aber er wollte nicht antworten. Dann jedoch, als wir an der Flesk entlangritten, zog er die Zügel an und betrachtete den rasch dahinfließenden silbrigen Bach. »Wie Reilly uns so richtig gefragt hat, Hughie, wo zum Henker sind die verdammten Gewehre?«

      »Er hat die Falschen gefragt«, antwortete ich.

      »Nicht wahr?« meinte Bob zustimmend. »Er sollte diese Frage Dublin und New York und Manchester stellen.«

      Er hätte genauso gut Wien oder Timbuktu sagen können, für mich waren all diese Orte weit entfernte Punkte auf der Weltkarte im Klassenzimmer. Doch dort saß Bob, ein Ladengehilfe, rittlings auf einem geliehenen Pferd und teilte die Wörter aus wie Karten aus einem abgegriffenen Spiel.

      »6. März«, sagte er, »der festgesetzte Tag, und um das zu erfahren, mußten wir bis nach Kerry reiten. Verdammte Yanks.« Dann berührte er die Flanke des Pferdes mit seiner Ferse.

      Diesmal sahen wir patrouillierende Soldaten, insgesamt sechs, zu Pferde. Sie ritten über einen Kamm zu unserer Rechten, etwa eine Meile von uns entfernt, einer hinter dem anderen, während die Mittagssonne ihre scharlachroten Röcke beschien. Wir ritten in unserem gemütlichen Tempo weiter und hatten doch Angst, sie könnten jeden Moment über uns hereinbrechen. Doch obwohl sie uns so gut sehen konnten wie wir sie, kamen sie uns nicht näher, und so ritten wir eine halbe Stunde lang nebeneinander.

      »Sie werden zu Tausenden geprägt«, sagte Bob, »wie die winzigen Grenadiere und die Kavallerie, die du in den Schaufenstern der Spielzeugläden von Cork City sehen kannst.«

      An diesen Burschen war jedoch nichts Winziges. Die Soldaten, die durch die Straßen von Killarney geschlendert waren, hatten ein beeindruckendes Zeugnis abgelegt vom physischen Standard, der in den Regimentern Ihrer Majestät gepflegt wird, und diese sechs Dragoner hatten etwas Heraldisches, als sie sich als Silhouetten vor dem Bergkamm abhoben.

      Aus Killarney zurück in unser eigenes Kilpeder zu kommen war, an diesem Tag zumindest, wie der Übertritt aus einer Welt in eine andere. Die Schläfrigkeit der Stadt, die wir so oft in unserem jugendlichen Temperament und unserer Ungeduld verflucht hatten, erschien uns nun als Segen. Ein Farmer kam uns mit Esel und Karren entgegen und berührte seinen formlosen schwarzen Hut mit der Hand, als er den Schulmeister erkannte, oder vielleicht eine erhabenere Persönlichkeit, Dennis Tullys Gehilfen. Er war alt, hatte ein Gesicht wie ein verschrumpelter Apfel und war im alten Stil angezogen, mit Kniehosen und langen Wollstrümpfen. Wir ritten an Saint Jarlath und dem Pfarrhaus vorbei, dann an meinem Haus und der Schule. Bei der Wache war nichts von Sergeant Honan zu sehen, Constable Belton jedoch stand am Tor und plauderte mit zwei Kollegen, und alle drei wirkten völlig entspannt. Kräftige Bauernburschen in zu engen Uniformen, absolut nicht bedrohlich, anders als die rotröckigen Soldaten auf dem Kamm oberhalb der Flesk.

      Als wir die Wache jedoch passiert hatten, beugte Bob sich zu mir herüber und sagte: »Die beiden gehören nicht zu Honans Männern. Sie kommen von draußen.« Ich blickte mich zu ihnen um, so unauffällig, wie es mir überhaupt möglich war, und auch ich konnte keinen der beiden erkennen. »Diese Irren in Kerry!« sagte ich. »Ihretwegen ist die Wache in Kilpeder verstärkt worden.«

      »Irgend etwas ist jedenfalls schuld dran«, sagte Bob und rieb sich den Mund mit dem Handrücken.

      »Was soll denn sonst der Grund sein?« fragte ich. »Bisher herrschte hier ein angenehmes Gleichgewicht zwischen uns und den Peelern. Jetzt ist es zerstört.«

      Bob ließ seine Faust sinken und lächelte mich an, und wir ritten langsam über den Marktplatz zum Stall.

      Und ebenso langsam schlenderten wir zurück zu meinem Haus in der Chapel Street. Die Steinfalken der Ardmorschen Tore hatten ihre blicklosen Augen auf uns gerichtet. Die Stadt wirkte jetzt etwas weniger freundlich, und das Schlimmste von allem war mein Gefühl, daß Bob und ich, und nicht die Polizisten, hier das mißtönende Element waren.

      Es war ein Gefühl, das immer stärker wurde, als wir das Haus betraten, Ned war in der Küche gewesen, aber unsere Schritte riefen ihn sofort herbei. Einen Moment lang schien er der Hausvater zu sein und Bob und ich die Besucher. Das Feuer im Wohnzimmer war erloschen, und die Luft