»Das ist Captain Eugene Reilly«, stellte Timoney vor. »Er ist mit John O’Connor hergekommen.«
Reilly saß an einem runden Tisch aus Schwarzeiche, und Timoney lud uns durch eine Geste seines Stockes ein, uns ebenfalls dorthin zu setzen. Dann ließ er sich selber auf einen der Stühle fallen, legte einen Stock neben seinem Stuhl auf den Boden und saß uns dann gegenüber, wobei seine beiden Hände auf dem Knauf des anderen Stockes ruhten.
»Ned Nolan hat uns von Ihnen und Colonel O’Connor erzählt«, begann Bob höflich. »Ned Nolan ist unser Kommandant in Kilpeder.«
»Das weiß ich«, erwiderte Reilly. »Aber ich kann mich durchaus nicht an Nolan erinnern. Im Moment gibt es hier zu viele von uns. Unter wem hat Nolan gedient? Bei Meagher gab es einen Nolan, aber der hieß Eugene mit Vornamen.« Seine Stimme klang, anders als Neds, nur nach Yankee, mit schwerem Akzent und doch nasal.
Bob schüttelte den Kopf. »Er hat es uns erzählt, aber ich kann mich nicht erinnern. Er hat in Tennessee und Virginia gekämpft.«
»Es war eine Zahl und ein Name«, sagte ich. »Das Siebte New Yorker, oder so.«
»Egal«, meinte Reilly. Er hatte die Hände mit den Handflächen nach unten in seine Hosentaschen geschoben, eine Angewohnheit, die er mit Ned teilte. »Nun ja, Jungs«, sagte er dann, »außer den Hügeln gibt es wenig Ähnlichkeiten zwischen Kerry und Tennessee. Die Schlacht von Kerry wird niemals in die Annalen der Kriegsgeschichte eingehen.«
»Was ist passiert, um Gottes willen?« fragte Bob. »Deshalb hat Ned Hugh und mich doch hergeschickt. Er hat mir den Befehl erteilt, mit Colonel O’Connor zu sprechen.«
Martin Timoney lachte amüsiert und blickte Reilly an. »Colonel O’Connor?« fragte er.
»John O’Connor ist auf der Flucht«, sagte Reilly. »Er ist bei Freunden außerhalb von Sneem so ziemlich in Sicherheit. Aber auf allen Straßen nach Iveragh gibt es Armee- und Polizeipatrouillen. Im Moment habe ich deshalb das Kommando in Killarney. In Kerry ist alles vorbei, Jungs. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.«
»In Kilpeder wissen wir nichts davon, was hier passiert ist«, sagte Bob mit seiner trügerischen Geduld. »Die Eganjungs halten sich dort versteckt. Ihr habt in Cahirciveen losgeschlagen und die Polizeiwache übernommen, und dann die Station in Keils, und dann habt ihr irgendwo zwischen hier und Sneem gegen die Polizei gekämpft. Mehr wissen wir nicht in Kilpeder.«
»Gegen die Polizei gekämpft«, wiederholte Timoney mit angeekelter Stimme. »Bei Gott, das haben sie. Und sie haben die ganze verdammte Armee über uns hereinbrechen lassen. Seid ihr durch Killarneys Straßen gegangen?«
»John O’Connor hat einen Aufstand in Cahirciveen organisiert«, sagte Reilly. »O’Connor. Nicht ich. Und mehr kann ich euch auch nicht sagen. Er hat mir Bescheid gegeben, daß der Aufstand angefangen hätte und daß ich unsere Jungs bereit machen sollte. Am nächsten Tag habe ich dreißig von ihnen unter Jeremiah Brick losgeschickt, und nur sieben von ihnen sind bisher nach Killarney zurückgekehrt.« Und dann zog er eine Hand aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. »Ich kann euch mehr erzählen als die Egans, aber nicht soviel, wie Nolan sicher wissen möchte.«
»Habt ihr keinen Hunger, Jungs?« fragte Timoney.
»Ob ich Hunger habe, fragst du?« erwiderte Bob. »Kerry rebelliert und wird geschlagen und ist für uns verloren, und du fragst, ob ich Hunger habe!«
»Kerry ist allerdings verloren«, sagte Reilly. »Da hast du wirklich recht.«
Bob schüttelte den Kopf. »Hugh und ich begreifen ja nicht einmal, wieso die verdammte Armee hier sein kann. Über die Straße von Macroom sind keine Truppen bewegt worden.«
»Sie sind bei Limerick Junction nach Süden abgeschwenkt«, erklärte Reilly. »Ein General namens Horsford hat sie hergeschickt. Sir Alfred Horsford, und der ist wirklich ein feiner, tatkräftiger General. Er hat hier eine Inspektion durchgeführt. Ich habe ihm vom Fenster aus zugeschaut, er stand mit seinem Adjutanten auf der Straße. Er ist ein kleiner hitziger Bursche mit gewaltigem Schnurrbart. Er hat alles herbefohlen, was in Limerick Junction aufzutreiben war – Ausflugskarren, Möbelwagen, feine Kutschen. Kerry ist abgeriegelt.«
»Sieht so aus«, meinte Bob.
»Wieso habt ihr denn keinen Hunger?« fragte Reilly. »Ich könnte allerdings keinen Bissen mehr herunterwürgen. Ich bin schon seit drei Tagen in diesem Zimmer, und die Damen Timoney stopfen mich mit Schinken und Brathähnchen und Fleischpasteten voll. Ich glaube, sie wollen mich für den Jahrmarkt mästen.«
Bei Menschen kann man sich nie auskennen. Auf den ersten Blick hatte ich aus irgendeinem Grunde eine Abneigung gegen Reilly gefaßt, aber ich hatte ihn falsch beurteilt. Da saß er, wie Ned in Kilpeder, vom Himmel herunter in ein fremdes Land gefallen, all seine großen Pläne ruiniert, versteckt in einem Zimmer über einer Gastwirtschaft, ohne andere Ablenkungen als die Mahlzeiten und ab und zu den Anblick eines britischen Offizieres mit rotem Rock und kriegerischem Kavallerieschnurrbart. Aber er hatte nicht mehr Nerven als ein Eiszapfen und trotz unserer Grobheit sogar eine gewisse Sympathie für Bob und mich.
Schließlich brachte Dennis’ Frau, eine dünne, kleine Person mit schmalem Gesicht und raschem, nervösem Lächeln, ein großes Tablett mit Schinken und kaltem Huhn. Dick geschnittenes Brot, eine Schüssel Butter und eine Kanne Tee. Ich beschmierte mir zwei Schnitten mit Butter und legte Schinken dazwischen, tat dann dasselbe für Bob, als ich sah, daß er keine Anstalten machte, sich dem Essen zu nähern, und goß Tee für uns beide ein.
»Jetzt stehen auf beiden Seiten von Kilpeder britische Truppen«, sagte er. »In Cork, und jetzt hier in Killarney.« Diese düstere Tatsache war mir noch nicht klar gewesen.
»Stimmt«, erwiderte Reilly. »Und das war schon die ganze Zeit so. Ob westlich von euch in Kerry oder im Norden macht kaum einen Unterschied. Die Männer von Kilpeder glauben doch sicher nicht, den Kampf allein ausfechten zu können. Worauf es ankommt, ist, daß sich alle Zirkel am Sechsten erheben, die Briten können nicht überall zugleich sein. Was hier passiert ist, hat uns in Kerry zurückgeworfen, euch anderen kann es aber nicht schaden.«
Bob und ich sahen einander an, und ich weiß noch, wie er das Schinkenbrot mit beiden Händen hielt.
»Am Sechsten?« fragte ich.
»Natürlich am Sechsten«, antwortete Reilly.»Das große Rätsel für mich ist, warum John O’Connor in Cahirciveen so voreilig gehandelt hat.« Als er uns anblickte, erst den einen und dann den anderen, hatte er ein neues kleines Rätsel zu verdauen, aber dieses löste er gescheit genug. Er hatte einen Fuchskopf, dreieckig und kompakt, mit wachsamen, tiefliegenden Augen. »Nolan weiß Bescheid. Hat er es euch nicht gesagt?«
»Gewissermaßen schon«, antwortete Bob trocken. »Er nennt es den festgesetzten Tag. Captain Nolan neigt nicht sehr zur Konversation.« Nun biß er in sein Schinkenbrot, und ich war seinetwegen verlegen. Er war trotz allem unser Vizekommandant. Aber ich hatte nur wenig Gefühl, das ich für Mitleid hätte verwenden können. Der festgesetzte Tag, wie wir ihn nach Neds Beispiel fromm nannten, war also wirklich nur noch wenige Wochen entfernt. und diese Tatsache hatten wir nicht unter fröhlichen Bedingungen erfahren. Ich tröstete mich mit meinem Schinkenbrot und wünschte, ich säße in meiner eigenen Küche.
Das kleine, kahle Zimmer wurde nun dunkler, und keine Lampe oder Kerze wurde angezündet. Martin Timoney, mit seinem riesigen Bauch, und der kühle, zähe Reilly saßen im Schatten. Unten auf der Straße brüllten Männer einander an, vielleicht Soldaten oder Leute aus der Stadt oder vielleicht Leute vom Land. Bob erhob sich und ging zum Fenster.
»Wir haben dem Adel einen Schrecken eingejagt«, sagte Timoney. »Bei Gott, wenn John O’Connor und seine Burschen auch sonst nichts geschafft haben, das ist ihnen immerhin gelungen. Wißt ihr, wer jetzt mit all den Protestanten im Eisenbahnhotel eingepfercht ist? Die Familie des ›Befreiers‹. Die O’Connells von Derrynane und von Killarney. Und da gehören sie auch hin, bei Gott, diese verdammten Whigs. Endlich sind sie bei ihresgleichen.« In seiner Stimme lag ein kleiner, saurer Triumph, als ob er mit seiner Zunge gegen einen vereiterten