»Sie könnten ein oder zwei meiner eigenen kleinen Bücher als historisch bezeichnen«, sagte Forrester. »Ich tue das, aber Historiker würden mir da nicht zustimmen. Farbe lenkt mich ab, Gefühl, erhöhtes Gefühl. Ich habe eine fatale Schwäche für Muster.«
»Wie Galantiere«, meinte Prentiss.
Die Aussicht war einladend, kühl. Wie es wohl sein mochte, dachte er, das alles zu besitzen – Schloß, Terrassen, See, eine Herde Rotwild, eine Stadt? Einen Moment lang schien Kilpeder aus dem Maßstab gerissen zu sein, ein plumpes Anhängsel der Mauern, die die Domäne umgaben.
»Wie heißt es noch in der Ballade?« fragte Forrester. »Full sixty men from Kilpeder town, to the hills above did go.« Er zitierte den Text ohne Ironie, denn die Ironie lag in der Szene selber. Die Hügel waren unsichtbar, in Dunkelheit eingehüllt.
Vor vielen Jahren, ein Haus in Chelsea, Nebel über der Themse, träger Verkehr auf dem Fluß, zwei Männer tranken Rheinwein, entspannt, scherzend. Eine junge Frau, zum Ball gekleidet, ließ ihre Hand auf weißem Marmor ruhen und sah sie an. Der Künstler sprach zu ihr, ungeduldig, und sie antwortete. Welche Worte hatte sie verwendet, welchen Klang hatte ihre Stimme? Ardmor hatte Kilpeder 1892 verlassen, hatte MacMahon gesagt, im Todesjahr seiner Frau, im Jahr, in dem seine Frau in London gestorben war. Am Ende haben keine fünf Gentlemen in der Baronie mit ihm geredet. Am Ende wovon?
»Ich komme jeden Herbst her«, sagte Forrester, »und ein paar Wochen im Juni. Die Jagd ist immer noch gut – Rebhühner, Kiebitze, Fasan. Wir schießen unter anderem auch in Clonbrony Wood. Clonbrony Wood gehört immer noch Tom. Seltsam, nicht? And death was waiting in the snows of dark Clonbrony Wood. Jetzt wartet der Tod auf die armen Vögel; zusammen mit älteren Gentlemen in Tweed und Gamaschen.«
Die Terrasse war dunkel, und Prentiss kam es vor, als müsse die Bibliothek hinter ihnen noch dunkler sein, aber als er sich umschaute, sah er, daß Lampen angezündet worden waren und Lichtfelder auf dunkles Holz fielen, auf Teppiche.
»Es war sehr nett von Ihnen, mich zu empfangen, Mr. Forrester.«
Forrester zögerte, ehe er antwortete. Sein Gesicht lag im Schatten, milde Augen und energische, militärische Nase. »Das Gut ist in Pension gegangen, gewissermaßen. Irgendwann wird es verkauft werden. Die Guinness-Familie sammelt doch mit Begeisterung Schlösser und Titel und läßt Parks und Grotten und normannische Bergfriede restaurieren. Sie müssen sich irgendwann einmal unseren Bergfried anschauen. Er war die ursprüngliche Burg, wissen Sie, zu Zeiten der O’Donovans. Diese O’Donovans warten im Schatten schon auf die Forresters. Nichts ist ewig in diesem Land. Es war durchaus nicht nett von mir, Mr. Prentiss. Ein gutes Gespräch gibt es in dieser Gegend nur selten. Ich habe mir fest vorgenommen, daß wir einander besser kennenlernen.«
»Das würde mir gefallen«, erwiderte Prentiss. Forresters Melancholie erschien ihm nicht ganz echt, wie seine kurze Pose als tweedgekleideter Junker auf Jagd in Clonbrony Wood.
»Würden Sie glauben«, fragte Forrester, »daß Ardmor einst für seine Bälle berühmt war? Sie waren das Ereignis der Saison, damals zu Lebzeiten des alten Earls, Toms Vater. Ich erinnere mich an einen, den ich als Junge erlebt habe. Strahlend beleuchtet von Kerzen und Gaslicht, aus Dublin bestellte Musiker. Ich erinnere mich an Gerüche, Parfüm, Kerzenwachs, Eichen aus Clonbrony, die in den Kaminen aufloderten. Der Ardmor Ball fand immer im Frühling statt, wenn das Land sich langsam erwärmte und die Erde weich wurde. Dann lag der Winter hinter uns.«
»Jetzt liegt der Winter auch hinter uns«, sagte Prentiss.
»Ja«, erwiderte Forrester.
Prentiss lehnte das Angebot ab, von einem gewissen Tim in die Arms zurückgefahren zu werden. Emily, »meine Lebensgefährtin«, war nicht zu sehen, und Forrester brachte ihn zur Tür. Die Halle war jetzt jedoch erleuchtet, und im Vorbeigehen ertappte Prentiss sich dabei, wie ein Tourist, der durch ein Museum auf dem Kontinent eilt, hastige Blicke auf die Bilder des abwesenden, begabten Tom Ardmor zu werfen – vage Umrisse, helle Pastellfarben, Mittagssonne.
6
[Hugh MacMahon]
Was County Cork betrifft, so setzte der Aufstand der Fenier mit der Aktion ein, die bis heute als »Nolans Beute« bekannt ist und die in der Nacht des 26. Februar stattfand. Und selbst, wenn sie kein anderes Ziel gehabt hätte, als Verzweiflung und Verwirrung zu verbreiten, so würde sie doch als militärischer Triumph gelten, dessen ein Hannibal oder ein Murat sich nicht zu schämen brauchten. Da Ned jedoch Ned war, waren seine Ziele weniger kompliziert: Wir brauchten Waffen, und wir brauchten sie sofort. Am 20. war klar, daß uns Waffen aus Manchester oder Dublin nicht mehr rechtzeitig erreichen würden.
Ned schlug sein Hauptquartier in den Vorhügeln der Boggefaghs auf, in der Hütte, in der Pat Laffan seine Brennerei betrieb. Bob und Vincent und ich waren bei ihm, und es war unsere Aufgabe, die einzelnen Gruppen zu den von uns ausgewählten Häusern zu schicken, aber es war Ned, der die Operation leitete, und in dieser Hinsicht wurde niemand im Zweifel gelassen.
Es war eine bescheidene Wohnstatt: Eine Hütte mit zwei Zimmern, strohgedeckt, natürlich, auf einer leichten Anhöhe, deren Fenster zu beiden Seiten einer Halbtür über das Ödland hinwegschauten. Laffan brannte nicht nur schwarz, er war auch Farmer, und am Stirnende des Hauses befand sich eine Scheune, weniger weit entfernt, als ein anspruchsvoller Geschmack wünschenswert gefunden hätte. Die Luft, sogar in der Hütte selber, war gesättigt vom dicken, schweren Geruch von Tieren, Pisse, Exkrementen, feuchtem Stroh. Gerüche, die ich seit jener Nacht mit Poitin assoziiere, was in diesem Fall ganz unfair ist, denn er produzierte wirklich gute Ware, rein und sanft auf der Zunge, allerdings fast farblos, mit ganz feinem Perlenschimmer, als ob er das Mondlicht selber in Flaschen gefüllt hätte. Nein, die Aversion, die in jener Nacht in mir aufbrach, hatte etwas Ursprüngliches, Erschreckendes, als ob wir, nach einer Generation in der Stadt, in die düsteren Abgründe zurückgekehrt wären, in denen unsere Großeltern und die Generationen vor ihnen gehaust hatten.
Laffan war ein Mann von trägen Bewegungen, mit schweren Schultern und einem Buckel, und so schweigsam, daß er mißmutig wirkte. Allerdings hatte er auch nur wenig, mit dem er sich beschäftigen oder worüber er reden konnte. Er wußte, was wir vorhatten, und er hatte uns bereitwillig seine Hütte überlassen, und damit war für ihn die Sache erledigt. Er stand da und beobachtete uns, eine Minute nach der anderen, die Arme verschränkt und die bulligen Schultern an die Mauer aus Steinen und Lehm gelehnt. Dann ging er nach draußen, in eine Nacht, die dunkler wurde, als wir unsere Arbeit aufnahmen, und die, als die Operation in vollem Gange war, pechschwarz und nur von einem schwachen, hinter Wolken verborgenen Mond erhellt war. Ein-oder zweimal ging ich zu ihm hinaus, und wir standen in einem Schweigen nebeneinander, das vertrauensvoll, aber durchaus nicht gesellig war.
An der kurvenreichen Boreen, die zur Straße hinunterführte, hatten wir drei Männer mit Laternen aufgestellt, einerseits als Wachtposten, vor allem aber, um den anderen, die mit ihren beladenen Karren zu uns heraufkamen, den Weg zu zeigen. Wir hatten sechs Abteilungen mit je fünf oder sechs Mann losgeschickt. Von unserem Standpunkt vor der Hütte aus gesehen wirkten die Laternen wie herabgefallene Sterne, einsam und ohne Verbindung zueinander. Aber die Wachtposten befanden sich untereinander und mit uns in Rufweite. Wenn einer einen Ruf ausstieß, dann antwortete ihm ein anderer, junge Burschen, wie wir gefangen zwischen Aufregung und Angst.
Peg Laffan, die Ehefrau, war so düster wie er – ihre gemeinsamen Abende müssen muntere Schweigepartien gewesen sein –, aber sie hatte immerhin die Aufgabe des Teekochens, mit der sie sich beschäftigen konnte. Der Kessel über dem Feuer wurde ununterbrochen am Kochen gehalten, der Tee selber war so stark, daß eine Maus darüber hätte spazieren können, im Licht der Laternen wies er Mahagonifarbe auf. Es gab nicht genug Tassen für alle, aber sie behielt die vorhandenen im Auge und goß, wenn eine leer war, die Reste ins Feuer und wischte sie kurz mit ihrer Schürze aus. Mehr als einmal wünschte ich mir, ich wäre in meiner eigenen Küche in Sicherheit, während Mary für uns mit dem blau-weißen Porzellan deckte und der Kessel aus christlichem Erbe auf dem Kaminvorsprung sang.
Es gab auch