Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
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machte er gewaltige Gesten in Richtung Irland, das irgendwo hinter den Fenstern von Johnny Boyles Salon lag, in der schwarzen Nacht. Der Whiskey hatte ihn aufgestachelt. ›Ihr Großvaters sagte er plötzlich und zeigte mit dem Finger auf mich, ›Ihr Großvater hat 98 die Miliz befehligt. Der wußte, wie man mit Rebellen fertig wird.‹ ›Er war vom König eingesetzt‹, teilte ich ihm mit der beleidigenden Oxford-Aussprache mit, die ich damals kultivierte. ›Und er handelte seinen Befugnissen entsprechende«

      Ob kultiviert oder nicht, Forrester sprach immer noch so, dachte Prentiss und merkte, daß er den alten Mann mit belustigtem Respekt ansah. Fast ein Dandy in seinem heidefarbenen Tweed, seinem mit sorgfältig eingeübter Nachlässigkeit geknoteten Schlips. Das letzte Licht fiel auf dünnes, sorgfältig gekämmtes Haar und zeigte den langen, schmalen Schädel darunter. Wie er wohl in jener Nacht im Jahre 67 bei Johnny Boyle ausgesehen hatte? Das Gesicht war damals sicher schmal, wie jetzt, die Wangen rosa, die Nase geschwungen und voller Selbstvertrauen. Prentiss sah einen altgewordenen Studenten aus Oxford, dessen lässiges Auftreten wie in Kampfer konserviert worden war. Ob er je verheiratet gewesen war? Prentiss dachte an Emily, schlank, in mittleren Jahren, die neben dem Teeservice stand. »Meine Lebensgefährtin.«

      »Die Häuser des Landadels waren nie in Gefahr«, sagte er. »Die Fenier wollten die Polizeiwachen im ganzen Land einnehmen, die Kontrolle über Straßen und Bahnlinien an sich bringen und das Land zum Aufstand bewegen.«

      »Das Land zum Aufstand bewegen«, wiederholte Forrester ironisch. »Genauso gut könnte man den See dazu bringen.«

      So muß es von diesem Zimmer, dieser Terrasse aus ausgesehen haben, aus dieser Position, die so erhaben war, daß Bauern mit Gewehren und Krautjunker in farbenfroher Jagdkleidung gleichermaßen uninteressant schienen.

      Forrester öffnete das Fenster, vor dem er stand, und Prentiss erhob sich, um sich neben ihn zu stellen. Aber zuerst trat er zwei Schritte zurück und betrachtete das Portrait über dem Kamin.

      Es war außergewöhnlich. Eine junge Frau, vielleicht Ende zwanzig, stand neben einem kleinen Kamin aus zartem, keuschem Marmor. Über dem Kamin hing ein kleiner Spiegel mit Goldrahmen. Zu ihrer Rechten, auf einem niedrigen Tisch, eine weiße, mit Rosen gefüllte Schale. Die Frau trug ein schwarzes Samtkleid mit tiefem, eckigem Ausschnitt und enggeschnürter Taille. Zu drei Vierteln sah sie den Betrachter an, und der Spiegel gab einen Teil ihres Gesichtes wieder, sonst jedoch nichts. Der Maler schien sie in einer schwebenden Bewegung erfaßt zu haben, als ob sie einen Moment innehielte, ehe sie den Raum verließ, sich ihm zuwandte oder vielleicht den Betrachter anschaute. Es war eine genau geplante, fast bombastische Übung im Arrangieren: schwarze Töne als Kontrast zu Haut und Marmor, Schatten, das tiefe, brennende Rot der Rosen. Aber die Frau selber kämpfte gegen diese kühle Formalität des Entwurfes. Sie war eine Frau von bemerkenswerter Anziehungskraft, obwohl vielleicht zu schlank für die Mode ihrer Zeit, kleine Brüste, kompakte Äpfel. Ihr Zauber lag in ihrem Gesicht – gleichmäßige Lippen, gerade Nase, dunkle, ruhige Augen. Augen, die auf irgendeine Weise den Eindruck von Intelligenz und Geist vermittelten. Ich komme schon wieder zu einer Verabredung zu spät, schien ihr Gesicht zu sagen, ich kann nicht warten, bis ich in Weiß, Schwarz und grauen Schatten arrangiert worden bin. Der Künstler hatte diese spielerische Bosheit erkannt und sie aus Rache in seinem Bild mit verarbeitet. Bild und Subjekt wurden in einer zerbrechlichen, leicht erotischen Spannung gehalten.

      »Es ist von verblüffender Ähnlichkeit«, sagte Forrester. »Sylvia Ardmor, Toms Frau.«

      »Sie – es – ist wunderschön«, sagte Prentiss.

      »Beides«, erwiderte Forrester. »Sylvia war schön, und das Portrait ist auch schön. Es ist von Galantiere, wissen Sie. Es wird oft vergessen, daß er Engländer war, wegen seines Namens und weil er sich in Paris niederließ. Aber dieses Bild wurde in London gemalt, in Toms und Sylvias Haus am Cheyne Walk. Sie hat nur fünfmal kurz für ihn gesessen; darauf hatten sie sich geeinigt. Es war gewissermaßen eine Herausforderung. Sie und Tom und Galantière waren damals eng befreundet, später kam es dann zu einem Zerwürfnis. Ich war einmal dabei, als sie für ihn saß. Im Salon, Tom und Galantière und ich tranken Rheinwein und Soda, und Sylvia gab vor, wegen seiner Umständlichkeit böse auf ihn zu sein. Es war ein nebliger Morgen, gelber Nebel vom Fluß preßte gegen die Fensterscheiben. Sylvia nannte es ›einen Whistlermorgens worüber Galantière gar nicht glücklich war.«

      Forrester lachte bei dieser Erinnerung, als ob er sich an eine Szene und eine Zeit erinnerte, in denen er sich mehr zu Hause gefühlt hatte. Mit einiger Mühe wandte Prentiss sich vom Bild ab. Er war verlegen, und er wußte warum: Die Erotik war schwach, diskret, aber sie gehörte zum Wesen des Bildes, und er hatte auf sie angesprochen.

      »Ein fesselndes Portrait«, sagte Forrester, als ob er ihn damit freisprechen wollte. »Das finden alle. Sylvia hat immer behauptet, sie könnte es nicht leiden, aber das war nur ein Spiel, das sie spielte, mit Galantiere, oder vielleicht mit Tom. ›Ich sehe billig aus‹, sagte sie einmal. ›Wie ein Malermodell im Kleid der Maitresse von irgendwem.‹ Tom hat auch gemalt. Die Bilder in der Halle sind von ihm.«

      »Ja«, sagte Prentiss. Ich weiß. Ihre – es ist mir gesagt worden.«

      »Tom hatte Talent«, fuhr Forrester fort. »Ich habe ihn um seine Talente beneidet. Er hat gemalt, Stiche gemacht und Gedichte geschrieben. Einmal haben er und ich zusammen an einem Buch gearbeitet, aber er verlor das Interesse. Ich habe es allein vollendet, aber ein Teil ist von ihm, und der ist ganz besonders gelobt worden. Er war ein begabter Mann.«

      Er hörte sich an, als ob Ardmor tot wäre und nicht irgendwo in Italien lebte, in den Hügeln südlich von Florenz.

      »Er hat die Allee entworfen«, fuhr Forrester fort. »Die Anfahrt zum Schloß durch die Wälder. Nicht die Gärten natürlich, oder die Terrassen. Sie sind über hundert Jahre alt, und Tom achtete sie sehr, aber er fand sie zu förmlich, kalt. Tom hat gerne das Spontane arrangiert, wenn das kein Widerspruch ist.«

      »Lady Ardmor«, fragte Prentiss, »war sie Engländerin oder Irin?«

      »Irin natürlich«, antwortete Forrester. »Irin. Sie war eine geborene Challoner aus Westmeath. Wie Emily. Als ich Emily kenrienlernte, stand sie bei den Challoners in Diensten. Sie ist als Sylvias Zofe nach Kilpeder gekommen. Kann das denn möglich sein?«

      Prentiss fiel keine Antwort ein. Forrester, schloß er, empfand ein stilles Vergnügen, wenn er ihn aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

      »Vom Waldrand aus hat man einen schönen Blick«, sagte er. »Auf den See und das Sommerhaus am anderen Ufer.«

      »Eine arrangierte Spontaneität«, erklärte Forrester. »Tom hat es entworfen. Aber ganz früher, als ich als Junge hergekommen bin, gab es im Park eine Herde Rotwild. So zahm, daß man ganz nah an sie herangehen konnte. Damals war Kilpeder, das große Objekt Ihrer Forschung, ein Gewimmel von Läden hinter dem Tor. Sonntags überquerten wir den Marktplatz, um den Gottesdienst in der Kirche zu besuchen. Die Jagd versammelte sich immer vor den Arms, Gentlemen in rosa Röcken, kläffende Hunde. Der alte Gilmartin brachte den Reitern Sherry heraus. Toms Vater führte die Jagd natürlich an. Tom tat das auch, einige Jahre lang, nachdem er das Erbe seines Vaters angetreten hatte. Er war ein guter Reiter, rücksichtslos. Aber ein sicherer Schütze. Am Ende ist er dann natürlich nicht mehr mitgeritten. Am Ende gab es in der Baronie nicht mehr als fünf Gentlemen, die noch mit ihm sprachen.«

      »Am Ende?« fragte Prentiss.

      »Sie müssen den Blick von der Terrasse sehen«, sagte Forrester. »Ehe es zu dunkel wird.«

      Dämmerung. Die Rasen waren jetzt dunkelgrün, die Steine von Treppen und Balustraden nahmen schwarze Farbtöne an. Dahinter warfen Ulmen lange Schatten über den See. Bei der Allee stand bewegungslos ein Arbeiter und stützte sich mit beiden Händen auf einen Rechen. Die Wälder waren dunkel. Der Fluß, der in den See mündete, war hinter den Wäldern nur noch zu ahnen. Die Domänenmauer aus behauenem Stein hob sich dagegen ab; hinter den Mauern, in Kilpeder, waren die ersten Lichter angezündet worden. Die Türme der beiden Kirchen durchbrachen den dunkler werdenden Himmel, die protestantische stand links und ziemlich nah, niedrig und prüde, rechts dagegen, weiter entfernt, die hohen selbstbewußten Türme von Saint