Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
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Kampagne.«

      Eine trockene Mauer trennte sie von der Straße, die Steine ohne Mörtel sorgfältig aufeinander getürmt. Auf der anderen Straßenseite stieg aus einer Hütte Torfrauch auf, beißend und doch süß, ein Geruch, der in Zukunft, in London, Irland immer wieder in Prentiss’ Gedächtnis rufen und ihm von Straßen, Hütten, dem Schrei eines Brachvogels erzählen sollte. Es war eine elende Hütte, das Strohdach war alt und farblos. Vor der offenen Tür pickten Hühner in einem Misthaufen. Der Boden war jetzt eben, das Schloß und die Domäne unsichtbar. Jetzt gab es nur Felder, die Hütte, eine Straßenbiegung. Die Hütte hatte Lehmwände, mit weißer Tünche beschmiert – die Hütte eines Tagelöhners oder Viehhirten.

      »Der Bob Delaney jener Jahre«, sagte MacMahon. »Ich kann nicht sagen, wer ihn besser kannte, ich oder Ardmor. Und doch hat mir außer Mary niemand, vielleicht nicht einmal ganz am Ende, jemals näher gestanden als er. Näher vielleicht als meine eigenen Söhne. Aber wir haben Clonbrony Wood auf verschiedenen Straßen verlassen, Bob und Ned und Vincent und ich.«

      »Delaneys Weg hat ihn ins Parlament geführt«, meinte Prentiss.

      MacMahon nickte. »Ins Parlament«, sagte er, »und weiter. Es wäre wirklich ein Jammer, Patrick, wenn Sie soviel Zeit in Kilpeder verbrächten, ohne mit Lionel Forrester zu sprechen. Ein großer Jammer.« Seine Hand ruhte auf der Mauer, sein geistesabwesender Blick auf der Hütte. »Ein großer Jammer.«

      Und deshalb hatte Prentiss aus dem Gasthaus einen kurzen, steifen und förmlichen Brief zum Schloß hinauf geschickt. Sohn eines Dubliner Anwaltes, Clongowes Woods College, Studium in Oxford. Trotz alledem hatte er das Gefühl, sich nicht weniger als ein Delaney oder ein MacMahon einer Welt zu nähern, die nicht die seine war. Die Antwort jedoch war die Ungezwungenheit selber, Gekritzel auf einem halben Bogen schlichten Papiers. »Wunderban Kommen Sie, wann Sie mögen. Dienstagabend, wenn es Ihnen paßt.«

      Der Glockenstrang produzierte irgendwo im Haus einen gedämpften Lärm, und sofort danach öffnete eine Frau mittleren Alters mit hageren Zügen, die ein schwarzes Kleid trug und ihre ergrauenden Haare hinter dem Kopf zu einem Knoten verschlungen hatte. Prentiss reichte ihr Forresters Zettel, und sie sagte, ohne ihn zu lesen: »Guten Abend, Mr. Prentiss. Vielen Dank. Ich bringe Sie zu Mr. Forrester in die Bibliothek. Er hat mir gesagt, daß Sie vielleicht vorbeischauen wollten. Aber Sie hätten nicht zu gehen brauchen, wir hätten Ihnen den Einspänner schicken können.«

      Er folgte ihr durch die weite Eingangshalle, die nur durch das Bogenfenster am hinteren Ende von der untergehenden Sonne beleuchtet wurde. »Es war ein angenehmer Spaziergang«, sagte er. »Die Parks um das Schloß sind wunderbar.« Er machte sich über seine eigenen Worte lustig, als er sie hörte, die Sprache einer historischen Romanze. Aber wie hätte er sie denn sonst beschreiben sollen?

      »Wirklich wunderbar«, sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. »Es gab eine Zeit…« begann sie und unterbrach sich dann. »In ein paar Wochen wird alles noch schöner sein, wenn die Bäume wirklich voll aufgegangen sind.« Sie sprach mit irischem Akzent, aber nicht West Cork, ihr Akzent wies einen scharfen Unterklang auf.

      Die Gemälde verwirrten ihn, sie waren durchaus nicht, was er erwartet hatte, soßenfarbene Landschaften, Ahnen in scharlachroten Röcken, Herren und Herrinnen, die steif auf Terrassen sitzen, neben ihnen Kinder, nüchtern in Samt und mit Zweigen gemustertem Musselin, die als Beweis für ihre Kindheit Ball oder Reifen umklammerten. Die Bilder hier waren selbst in diesem trüben Licht lebhaft und von einer schwerelosen Wärme. Er blieb vor einem stehen, das silbrigen Nebel über einem halb verborgenen Fluß zeigte, zwei Gestalten, kaum zu erkennen, geschlechtslos, auf dem anderen Ufer. Dahinter pfirsich-, zitronen-, dattelpflaumenfarbene Gebäude. Fluß, Gebäude und Figuren verschmolzen gleichermaßen mit dem Nebel.

      »Das ist ein Bild von Lord Ardmor«, sagte die Frau.

      »Französisch«, meinte Prentiss. »Er muß die Franzosen mögen.«

      »Er hat es gemalt«, korrigierte sie. »Alle Bilder hier in der Halle stammen von ihm, und auch die im hinteren Salon. Im rosa Salon, wie Lady Ardmor ihn immer nannte. Es ist sehr schade, daß die Bilder hier kein besseres Licht haben.«

      Sie öffnete eine Tür und trat dann zurück. Ein Mann, der neben einem Lesepult gestanden hatte, kam auf Prentiss zu. »Mr. Prentiss?« fragte Forrester. »Sie sind mir herzlich willkommen.«

      Die Bibliothek war, anders als die Eingangshalle, so, wie Prentiss es von Ardmor Castle erwartet hatte. Dunkel, mit hohen Wänden, hohe Fenster, die auf die Terrasse hinausgingen, die anderen Wände in tiefem Schatten, verdeckt von Bücherregalen, nur ein riesiger steinerner Kamin ließ seinen Marmor hell in der Dunkelheit leuchten. Flammen tanzten in seinen höhlenhaften Winkeln.

      »Es ist sehr zuvorkommend von Ihnen, mich zu empfangen«, sagte Prentiss.

      »Durchaus nicht zuvorkommend«, wehrte Forrester ab. »Eher Neugier als Höflichkeit. Historiker sind eine Seltenheit in Kilpeder. Sie sind vielleicht unser erster. Abgesehen, natürlich, von Hugh MacMahon. MacMahon geht es gut? Immer noch in seiner Einsiedelei?«

      Ein hageres Gesicht, mit einem Hauch von Rot in den Wangen, blaßblaue Augen, reichlich Grau in den braunen Haaren, eine dünne und stark gebogene Nase. Er trug groben Tweed und eine locker verknotete Krawatte. Er lächelte beim Reden, sein Lächeln war, wie sein Brief, lässig und zurückhaltend.

      Sie saßen einander am Feuer in tiefen Sesseln gegenüber. Forrester bot eine Zigarette aus einer Dose aus Ebenholz und Sandelholz an, Basarware für Touristen.

      »Sie müssen wissen, MacMahon hat mir über Sie geschrieben. Sie sind ein Mann von phantastischem Wissen, meint er, trotz Ihrer Jugend. Oxford.«

      »New College«, erklärte Prentiss ein wenig steif.

      »Als ich im Magdalen war, war Ihr Laden nicht gerade wegen seines phantastischen Wissens berühmt. Die Zeiten ändern sich. Waren Sie lange dort?«

      »Drei Jahre«, antwortete Prentiss. »Vier.« Er rutschte in seinem Sessel herum. »Hugh MacMahon ist ein Mann der Ironie, wie ich festgestellt habe.«

      »Nicht bei diesem Thema. Er hat großen Respekt vor dem Wissen. Tom Ardmor seinerseits war in Cambridge, 67 war er in Cambridge. Ich aber war hier. Fast aus purem Zufall. Das ist Ihr…«, er suchte nach einem Wort, »Ihr Thema, nicht wahr, der Aufstand und Clonbrony Wood und alles andere?«

      »Mein Thema ist die Bewegung der Fenier«, erwiderte Prentiss. »Aber es ist schwer, diesem Thema eine Form zu geben. Es gibt keine richtigen Aufzeichnungen darüber. Ich habe das Gefühl, wenn ich Clonbrony Wood verstehen könnte…«

      »Ja«, stimmte Forrester sofort mit einer Art Eifer zu.

      »Sie finden das auch?« fragte Prentiss überrascht.

      Forrester bewegte die Hand und zerteilte den flaumleichten Rauch. »Was Clonbrony Wood angeht? Ich weiß sehr wenig über Clonbrony Wood. Wie sollte ich das?« Die Gesten seiner Hand sprachen für ihn. Wie konnte dieses Zimmer, sagte die Hand, die Welt hinter der Domäne, die Konspirationen von Tagelöhnern und Ladengehilfen kennen?

      »Die Ewigkeit in einem Sandkorn«, sagte Forrester. »Lesen junge Männer heute noch Blake? Als ich jung war, gab es einen Blake-Kult. Rossettis Bruder hatte ihn in einem Karren gefunden, so geht die Sage. Sein Buch gefunden, meine ich. Yeats behauptet, er sei Ire gewesen, wie jeder andere. Aber wenn man wirklich einen Augenblick der Geschichte, eine Woche, einen Monat nehmen und ihn wirklich begreifen könnte, ihn zwischen den Fingern drehen, bis alles Licht auf seiner Oberfläche gespielt hätte… Das meinen Sie doch, nicht wahr?«

      »Nein«, sagte Prentiss, verblüfft von dieser Begegnung mit Metaphysik in Kilpeder. »Nicht wirklich. Sie trauen mir zuviel Originalität zu.«

      »Vielleicht«, erwiderte Forrester. »Vielleicht tun Sie sich auch selber Unrecht.«

      Das Zimmer war zur Hälfte Licht, zur Hälfte Schatten, die hohen Bücher lagen im Schatten, kühles Sonnenlicht jedoch fiel durch die Terrassenfenster in den Raum. In der Ferne, hinter den Fenstern, ein Horizont von Bergen.

      »Sie waren äußerst seltsam