Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
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Paudge Skerrett und Michael Joe selber zusammengestanden hatte. Ein junger Bursche mit einer wunderschönen Stimme hatte das Haus mit einem Lied geehrt, und nachdem die letzten Töne verklungen waren, wollte ich meinen Gefährten erklären, warum in Connacht eine Textvariante und hier in Munster eine ganz andere gesungen wurde.

      »Das ist ja seltsam«, sagte Honan, der mich gehört hatte und der nun zu uns herüberkam. »Limerick liegt in Munster, aber das, was Sie als Connachtvariante bezeichnen, wird auch in Newcastle West gesungen, wenn auch mit einem etwas anderen Text.«

      Und dann trug er in einem Sprechgesang mit sanfter, leiser Stimme, die schon in geringer Entfernung nicht mehr zu hören war, das Lied vor, in einem so reinen Irisch, daß es den Neid jedes gälischen Gelehrten erregt hätte. Als er das Lied beendet hatte, legte Michael Joe ihm die Hand auf die Schulter, sagte »Gut gemacht, Sergeant« und ließ die Hand auf dem Rock dieser Uniform liegen, die unsere war und doch nicht uns gehörte.

      »Wir haben zusammen getrunken«, erklärte ich Ned und korrigierte damit meine Worte von eben, »aber wir sind nicht befreundet.«

      »Dann wird es dir ja nichts ausmachen, ihn umzubringen«, sagte Ned. »Trink aus«, befahl er dann, goß mehr Whiskey in sein Glas und füllte sein eigenes noch einmal. »Jetzt trinkst du mit mir und nicht mit Sergeant Honan.«

      Ich blickte von unseren Gläsern auf und sah in seine im Schatten liegenden, halb verborgenen Augen und dachte an Mary, die oben schlief, und daran, wie ihre schlafende Hand in meiner geruht hatte. Kerzenlicht lag auf Kamin und Kommode. Dahinter war Finsternis.

      »O doch«, sagte er. »Wofür sonst hast du die Männer exerzieren lassen, und warum sonst warten wir auf Waffen? Warum sonst haben wir den Eid abgelegt? Honan überläßt uns die Kaserne nicht kampflos, wenn er auch nur einen Funken von Männlichkeit in sich hat. Einige von seinen Männern kommen vielleicht ums Leben, und einige von uns. Honan selber vielleicht, vielleicht du, vielleicht ich.«

      Nun hob ich mein Glas und trank den Whiskey auf einen Zug, ohne ihn zu schmecken oder zu fühlen. Ned lächelte wieder, das freudlose Lächeln, mit dem er mich begrüßt hatte.

      Bestimmt zweidutzend Mal hatte ich Bob beim Exerzieren davon reden hören, für Irland zu sterben, und wir hatten genauso oft unter uns darüber gesprochen, wenn wir in unserem Wohnzimmer saßen, und wir hatten dieselben Worte in den Liedern gehört, die Vincent in seinem hohen lieblichen Tenor zu Marys Begleitung sang, beide eingehüllt in Kerzenlicht, das nicht grell und hart war wie das an diesem Abend, sondern das sanft Haare und Hände berührte. Der junge Spielmann, der sich mit dem Schwerte seines Vaters gegürtet hatte, zog hinaus in Krieg und Tod; Ruhm wachte über den Gräbern von Clanricarde und Owen Roe. Die Lieder erzählten nie davon, für Irland zu morden, vielleicht Sergeant Honan zu töten, der ein eigenes Lied hatte, reiner und irischer als die Balladen von Thomas Davis und Tommy Moore.

      Ned nickte, das langsame, gewichtige Nicken eines Meisters, der einen Novizen in ein Geheimnis einweiht, und goß Whiskey in mein Glas.

      »Oder vielleicht einen seiner Constables«, sagte er. »Einen Bauernburschen wie die, mit denen wir heute nacht zusammengewesen sind.«

      »Du hast es heute nacht selber gesagt«, sagte ich. »In Knockmany. Sie sind Englands Armee in Irland. Bewaffnet und uniformiert.«

      »Ja«, erwiderte Ned.

      Aber als ich diese Worte aussprach, waren sie nur Worte, raschelndes Zeitungspapier. Eine Rebellion war auf eine Stadt zusammengeschrumpft, und die Stadt auf eine Küche, die Küche auf zwei Männer, die einander an einem Tisch gegenübersaßen. Finstere Nacht umgab uns, und ich empfand einen unvernünftigen Zorn auf diese unbekannten Männer in Dublin und New York, die glücklich an ihren Intrigen und großartigen Plänen, an ihren vorgeblich heldenhaften Zeitungskampagnen und ihrer lodernden Rhetorik arbeiteten. Meine Rebellion würde ein Küchentisch sein, eine verlauste Kaserne, Ned Nolans amerikanischer Revolver.

      »Für dich ist das alles leicht«, sagte ich, und es war mir egal, ob mein Unwillen sich darin zeigte. »Ein Soldat, der in ihrem großen Krieg erzogen und geformt worden ist.«

      Ich kostete das zweite Glas, einfach pur, rauh und ohne Wasser, ein scharfes Feuer in meinem Mund.

      »Aber das ist es ja gerade, Hugh«, erwiderte Ned. »Das ist es doch. Ich habe dir ja erzählt, daß ich Corporal war, ein Flohsprung über einem gemeinen Soldaten. Wir waren meistens in Lagern oder auf dem Marsch zwischen zwei Orten. Und die Schlachten waren für uns wie Scharmützel, wir feuerten unsere Gewehre ab, pflanzten unsere Bajonette auf und stürzten vor, wenn uns das befohlen wurde. Es war nicht mein Leben, sondern ein Traum, in den ich hineingetaumelt war. Kriege sind für Generäle und Colonels, und vielleicht für die jungen Majore auf ihren Pferden, die Befehle herausbrüllen, die im Kanonendonner niemand hören kann.«

      »Heute nacht warst du ein Soldat, bei Gott«, sagte ich und leerte mein Glas. »Niemand von uns hatte je so etwas gesehen. Nach dieser Nacht würde Pat Dunphy dir in die Hölle folgen.«

      »Pat Dunphy wird mir in die Hölle folgen«, korrigierte Ned. »Wirf deine Konjunktive und deine Indikative nicht durcheinander, Schulmeister MacMahon.«

      Er drehte sein leeres Glas in der Hand, dann hielt er es mir entgegen, und seine Hand zitterte nicht.

      »Sei kein Geizhals mit deinem Whiskey, Vetter Hugh«, sagte er. »Mein Vater hat mir immer von der Freigebigkeit der MacMahons vorgeschwärmt. Die Nolans stehen für Vorurteilslosigkeit und die MacMahons für Freigebigkeit, sagte er immer. Sagt man das in Kilpeder immer noch?«

      »Ich habe das nie gehört«, antwortete ich. »Für jeden noch einen Kleinen, Ned. Und dann wird die Flasche verkorkt.«

      Aber ich goß jedem von uns großzügig ein, schob danach den Korken in die Flasche und schlug mit der flachen Hand hart darauf. Ned starrte mich an, zuckte dann aber die Schultern und nickte.

      »Es ist spät«, sagte er.

      »Stimmt«, erwiderte ich. »Und ich muß früh aufstehen, um Kilpeders Jugend die Verwendung des Konjunktivs beizubringen.«

      »Sollten und würden«, sagte Ned. »Wir würden gern noch weiter reden, aber das sollten wir lieber lassen. Wir würden gern Irland befreien, und deshalb sollten wir Sergeant Honan erschießen. Sollte Sergeant Honan uns erschießen?«

      »Es ist spät, Ned«, sagte ich.

      »Er hat aus freien Stücken die Uniform angezogen«, fuhr Ned fort, »und er hat den Eid auf Königin Victoria geschworen. Er wurde nicht zwangsweise eingezogen.«

      »Das stimmt schon«, sagte ich, überlegte mir jedoch, daß Not ein guter Anwerbeoffizier ist und daß die Polizei sich zumeist harmlosen Aufgaben widmete. Standhafterer Patriotismus als meiner wäre nötig, um sie als gespornte und gestiefelte Kosaken zu sehen.

      »Vergiß das nicht«, mahnte Ned. »Ihr alle dürft das nicht vergessen.«

      Aber ich wußte im selben Moment, daß Ned mit sich selber sprach. Und ich sollte in späteren Jahren daran denken, wenn Ned Nolans Name benutzt wurde, um den Kindern Angst einzujagen, ein harter Mann, hart wie die Invincibles, ohne Gnade oder Mitleid. Was mit Ned im Gefängnis von Portland geschehen ist, wissen viele, und was in den darauf folgenden unsteten Jahren geschah, können wir uns denken; aber ich weiß aus eigener Erfahrung, daß er nicht immer so war. Wenn Ned uns am festgesetzten Tag in den Kampf führte, dann würden einige von uns getötet werden, und wir würden vielleicht andere töten, und alles wäre auf Neds Befehl hin geschehen. Deshalb hatte er in der Küche wach gesessen, mit der Flasche als einziger Gesellschaft, und deshalb hatte er mich mit diesem schrecklichen, freudlosen Lächeln begrüßt.

      »Zeit, die Vorhänge zuzuziehen, Ned«, sagte ich. »Zeit, uns gute Nacht zu wünschen.«

      »Richtig«, erwiderte Ned und leerte sein Glas. Und dann erhob er sich so ruhig, als ob er eine Karaffe Wasser geleert hätte.

      »Die Vorhänge zuzuziehen«, war nur eine Redensart, denn in unserer Küche gab es weder Vorhänge noch Läden, und wir vermißten sie auch nicht. Ehe ich die Kerze ausblies, trat ich für