Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
Скачать книгу
Der Whiskey besiegelt den Handel.

      Aber in den kommenden Jahren gab es andere Klienten, und im Laufe der Zeit wurden Vereinbarungen unterschrieben, die Cornelius Hallinan, der katholische Anwalt, aufgesetzt hatte und die die Zahlungsfristen und etwaige Bußsummen festlegten. Sie waren das Wunder und das Geheimnis der Kontobücher. Papier schuf Papier. Zahlen taten sich zusammen, paarten sich und vermehrten sich. Und im Laufe der Zeit wurde Bob Delaney der schlaue Bursche vom Lande mit einer Begabung für Zahlen, der ihre Vermehrung und ihre Nachkommenschaft im Kopf gut im Griff hatte. Tully fühlte sich, wie Bob mir einmal erzählte, unbehaglich in Gesellschaft von Hallinan, einem glatten lächelnden Mann mit aufreizendem Dünkel und gesellschaftlicher Eleganz, Hüter der geheiligten Gesetze der Besitzübereignung. Hallinan hielt sich seine eigene Kutsche samt Gespann, pflegte lässigen Umgang mit protestantischen Anwälten und Gutsverwaltern. Aber Bob war ein hilfreicher Geist gewesen, herbeigezaubert, als er am dringendsten benötigt wurde, als ob Tully einfach eine Wunderlampe gerieben hätte, die sich in seine Regale verirrt hatte. Und das war noch nicht alles, wie jeder, der wollte, sehen konnte, auch wenn Bob das niemals laut sagte, weder zu mir noch zu irgend jemandem sonst.

      Tully muß oft Bob und Vincent miteinander verglichen und sich gefragt haben, welcher denn nun sein Sohn war. Vincent muß ihm als exotischer Pfropf auf dem Tullystamm erschienen sein, leichtsinnig mit Geld und Worten, Bob dagegen als Erbe der Tullyschen Gerissenheit, der mit Zahlen so geschickt umgehen konnte wie Tully, der Tuchballen entrollen und ihre Länge an seinem Unterarm messen konnte, und der wie der alte Malachi, der Gründer, seinen Bauchladen voller Waren, seinen Glitzerkram und seine Papiertütchen, die den Tee eines Kätners versüßen sollten, zusammenstellen konnte.

      Eine Pharaonendynastie. Es gab alte Männer in Kilpeder, die sich daran erinnern konnten, daß Malachi in der Hütte, die zu meiner Zeit und auch heute noch Tully als Lager diente, seinen Laden eröffnet hatte. Es war ein Hökerladen von der Art, die jetzt wohl noch in fünfzig Städten zu finden ist, Theke und einige Regalfächer, schlecht beleuchtet, Talggeruch, Handel in Kupfermünzen und Schillingen, niemals im Laufe eines Jahres auch nur eine einzige Pfundnote. In jenen Jahren, in den ersten Jahren des Jahrhunderts, muß es eine düstere Gasse gewesen sein, Dreck auf der Fahrbahn, Kot von Pferd und Esel, scharfer Pissegestank, zu alltäglich, um aufzufallen. Der Marktplatz dahinter war auch damals schon der Stolz von West Cork gewesen, mit seiner schönen Markthalle aus kühlen grauen Steinen, wo Eibhlín einst Art O’Leary, gutaussehend und mutig, erblickt hatte, damals hatte es jedoch noch keinen Obelisken für einen noch ungeborenen Ardmor gegeben. Und es gab auch keine katholische Kirche, nur eine Kapelle, auf der noch die düsteren Schatten der Penal Laws lasteten. Die Tore der Ardmor-Domäne, falkengekrönt, drängten sich auf den Platz. Durch sie hindurch rollten die Kutschen des Adels zu Festmählern und Bällen, und in der Ferne, unsichtbar hinter Waldschonungen gelegen, strahlten die hohen Fenster von Ardmor Castle im Kerzenlicht, Musik, ungehört in den dunklen Gassen, erfüllte die hohen Räume. Damals, heißt es, hätten sich die Leute von Kilpeder zu beiden Seiten der Tore zusammengedrängt, um den feinen Gästen in ihren Seiden- und feinen Wollstoffen zuzujubeln, ein Brauch, der später nicht mehr gern gesehen wurde. Aber an solchen Abenden blieb der Malachi meiner Phantasie im Laden und führte nach besten Kräften, des Lesens und Schreibens unkundig, seine Rechnungen.

      Und Malachi selber, woher kam der? Gewiß nicht aus diesen Baronien, wo der Nachname Tully ansonsten unbekannt ist. Sohn eines Hausierers vielleicht, aufgewachsen auf der Straße an der Seite seines Vaters, der Vater gekleidet in die Hosen und Schwalbenschwänze der alten Zeiten, sein Bündel über die Schulter geworfen, einen kräftigen Eschenstock in der Hand: So waren sie mit langen Schritten auf den Straßen Munsters unterwegs, und der junge Malachi blieb barfuß immer ein paar Schritte hinter seinem Vater zurück. Hinter ihnen, verhüllt von den Nebeln der Zeit, war nichts.

      »Da hast du es«, sagte Vincent noch einmal zu mir und musterte dabei die gleichmäßig brennende Zigarre in seiner ruhigen blassen Hand. »Ein beeindruckender Mann, unser Captain Nolan.«

      »Und genau der, den wir brauchen.«

      Duftender Rauch stieg zwischen uns auf.

      Ich dachte daran, wie ich in der Küchentür gestanden hatte, während Ned mit dem Whiskey dasaß und lächelte, hinter ihm das dunkle Zimmer.

      »Ich dachte, du wärst schon längst im Bett«, sagte ich zu ihm.

      »Genausowenig wie du.« Er hob die Flasche vom Tisch und hielt sie mir entgegen.

      »Einen kleinen vielleicht«, sagte ich und nahm ein Glas aus der Anrichte. Ich setzte mich ihm gegenüber, und er goß Whiskey in unsere Gläser. »Viel Glück«, sagte ich.

      »Ja«, erwiderte Ned. »Viel Glück.« Er bewegte sein Glas in einem Kreis auf dem Tisch und hob es dann. Sein Hemd war am Kragen offen, und trotz der Kälte hatte er seine Jacke aufgeknöpft.

      »Nun, Ned«, sagte ich. »Wie kommen wir dir vor? Ein trister Haufen von Kriegern, nicht wahr?«

      Aber er gab mir keine Antwort. Statt dessen leerte er sein Glas und schenkte es wieder voll.

      »Diese Burschen«, sagte er plötzlich. »Du kennst jeden einzelnen von ihnen, und ich nicht.«

      »Ach«, meinte ich verwirrt. »Ich kenne sie und kenne sie auch wieder nicht. Einige kenne ich seit Jahren, bei anderen kenne ich die Familie, aber nicht den Jungen selber. Meinst du das? Willst du wissen, ob wir uns auf sie verlassen können?«

      »Ein Tag ist festgesetzt worden, Hugh. Wenn wir keinen anderen Befehl bekommen, dann besetzen wir die Polizeikaserne. Wir lassen zwanzig Männer hier, um sie zu halten, und der Rest geht nach Norden, in Richtung Millstreet. Wenn wir sie einnehmen können, meine ich.«

      »Warum sollten wir das nicht können«, erwiderte ich. »Wo du doch jetzt hier bist und uns das alles beibringen kannst?«

      Er lächelte mich wieder an. »Ich weiß, wie man es angeht. Und du könntest das auch, wenn du dich darauf konzentrieren würdest. Wir umstellen die Kaserne und rufen dem Sergeant zu, er solle sich ergeben. Dann schließt er die Tür auf, und er und seine Männer kommen heraus und legen ihre Karabiner für uns ordentlich auf einen Haufen.« Im Kerzenlicht sah ich ihn mit dem langen, schmalen Kopf nicken. »Das ist doch ganz einfach.«

      »Ist es nicht«, widersprach ich, entsetzt über das, was ich für seine Unschuld hielt. »Du würdest das nicht sagen, wenn du Cornelius Honan kennen würdest. Kein Sergeant in der ganzen Polizei ist stolzer auf seine Uniform als er. Er ist schon seit achtzehn Jahren dabei, er ist Sohn eines Tagelöhners aus dem County Limerick.«

      »Seid ihr vielleicht zufällig befreundet?« fragte Ned lässig.

      Das war eine seltsame Frage für einen Fenier, und ich wollte schon entsprechend antworten, dann unterbrach ich mich jedoch. Honan war ein schwerer, massiver Mann, wie Sergeants schließlich sein sollen, groß und bullig, und obwohl kein Uniformrock seinen Bauch verbergen konnte, war sein Rücken so gerade, als ob er aus Eichenholz gezimmert wäre. Beim Gehen schwang sein ganzes Bein vorwärts, massiv wie der Stamm eines jungen Baumes, und er trat mit festem Schritt auf, ganz bewußt. Aber sein massiver Kopf war nicht bedrohlich, auch wenn er den Proportionen des Körpers entsprach. Oft zeigte sein Gesicht einen sanften, fragenden Ausdruck, die Lippen teilten sich in einem halben Lächeln, und die sanften blauen Augen blickten gerade und freimütig drein.

      Con Honan und ich waren sicher über vierzigmal zusammengetroffen, Schulmeister und Sergeant, die einander auf dem Marktplatz oder nach der Messe guten Tag wünschen und liebenswürdige, unwichtige Worte wechseln. Wir waren sechs oder siebenmal zusammen gewesen, wenn auf den weiter entfernt gelegenen Höfen zum Tanz aufgespielt wurde, wenn die Luft vom Klang der Fiedeln und den Rufen der Tanzenden nur so schwirrte, und Honan stand dann mit den Männern seines Alters an der Wand, zu würdevoll, um zu tanzen, ein Pint Porter in einer Hand, die andere in den Gürtel gehakt. Später, wenn er gegangen war, gab es Poitín aus Laffans oder aus einer anderen Brennerei, und das wußte Honan gut, einen gesetzlosen Schnaps, farblos und mächtig. Es war ein Grund, warum er nie lange blieb, ein feinfühlender Takt, der seine Massivität Lügen strafte.

      »Nein«, sagte ich. »Nicht befreundet.«

      Aber