Kranichtod - Ein Fall für Julia Wagner: Band 5. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643107
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so mächtig wie heute.“

      „Eine hübsche Rede, wirklich. Aber ich …“

      „Sie gewinnen diesen Kampf nicht, wenn Sie den Feind unterschätzen, Frau Wagner. Natürlich sind es Menschen, die all die bösen Dinge tun. Der Teufel nimmt unterschiedlichste Erscheinungsformen an, das ist sein größtes Kapital. Sie dürfen nicht bei dem stehen bleiben, was Ihre Augen sehen und Ihre Ohren hören können. Es wäre fatal, wenn Sie das täten. Denn das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist es, die Menschen zu unterschätzen, die den ‚Hölleneid‘ geschworen haben.“

      Julia sah auf. „Den was?“

      „Den Hölleneid. Der Teufel gibt niemals etwas umsonst, er bietet immer nur einen Handel an. Macht gegen völlige Unterwerfung bis in den Tod. Dieses Geschäft wird ‚Hölleneid‘ genannt. Der Faustische Pakt, den der Ketzer mit seinem Blut unterschreibt.“

      „Oh Mann“, murmelte Eva.

      „Die Kraniche haben den Hölleneid geschworen“, sagte Eylenstein. „Sie betrachten sich selbst als die Knechte des Satans. Und deshalb sind sie von allen üblen Gestalten, denen wir bisher begegnet sind, bei Weitem die gewalttätigsten und gefährlichsten. Und mit der Kassette wird die Übernahme vollendet.“

      „Die Übernahme?“, fragte Julia. „Was soll das jetzt wieder heißen?“

      „Es wird behauptet, sie bestünde aus einem geheimnisvollen Metall.“

      „Das ist keine Antwort auf meine Frage.“

      „Aber doch. Sie ist deshalb so ausgestattet, weil sie die Kräfte des Bösen beinhaltet.“

      „Was?“

      „Sie haben richtig verstanden. In ihrem Inneren soll sich die Teufelsbibel befinden.“

      Für einen kurzen Moment herrschte absolute Stille im Raum.

      Dann lachte Julia auf. „Was reden Sie denn da? Teufelsbibel? Was soll das sein?“

      „Ob sich dieses Buch tatsächlich in der Kassette befindet, wissen wir natürlich erst, wenn Sie sie geöffnet haben. Aber ganz sicher glauben die Kraniche daran. Sie glauben, sie könnten damit auf direktem Wege die Mächte des Bösen erschließen und somit Kräfte heranziehen, die sie brauchen, um die totale Macht zu übernehmen.“ Er machte eine kurze Pause. „Glauben Sie mir, ich habe alles darüber gelesen. Das Buch soll im frühen Mittelalter von einem Mönch geschrieben worden sein, kurz bevor er durchdrehte und sich selbst bei lebendigem Leib anzündete und verbrannte. Es heißt, er habe es in nur drei Nächten niedergeschrieben und Satan persönlich habe ihm dabei die Feder gehalten. Deshalb soll es in einer Sprache geschrieben sein, die nur wenige Menschen beherrschen. Die, die sie beherrschen, sind jedoch in der Lage, mit dem Teufel persönlich in Kontakt zu treten. Oder ihn in seine Hölle zurückzuschicken.“

      Julia starrte Eylenstein an. „Sie nehmen mich gerade auf den Arm, richtig?“

      „Ganz und gar nicht.“ Kurz huschte ein verärgerter Ausdruck über sein Gesicht. „Ich bin nicht verrückt, Frau Wagner. Ich höre keine Stimmen. Ich renne nicht nackt durch die Gegend und ich werfe nicht mit meinem eigenen Kot um mich. Ich bin vollkommen klar und das hier ist kein leeres Geschwätz, auch wenn Sie das offensichtlich gerade denken.“ Er atmete tief durch, dann redete er weiter. „Auf unbekanntem Wege soll das Buch im siebzehnten Jahrhundert nach Norwegen gelangt sein.“ Er deutete auf einen Stapel Papier, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. „Sagt Ihnen der Name Albert Treutner etwas?“

      „Nein.“

      „Ein Mann, der Anfang des letzten Jahrhunderts lebte. Ein strenggläubiger Mann, der in Hannover einen Eisenwarenladen unterhielt und als Kenner des Okkulten bekannt war. Er war davon überzeugt, dass es die Kassette gibt und dass sie das beinhaltet, was ich Ihnen gerade erzählt habe. Mit vierzig Jahren schloss er sein Geschäft und verbrachte den Rest seines Lebens damit, die Kassette zu suchen. Ein Erfolg blieb ihm jedoch versagt. Am Ende starb er völlig verarmt und als Spinner verschrien im Alter von dreiundfünfzig Jahren. Aber er hat zuvor noch alles in diesem Manuskript festgehalten.“ Eylenstein hob die Hand und ließ sie dann schwer zurück auf den Schreibtisch fallen. „Ich habe es mit Interesse gelesen. Was ich mir aber nicht vorstellen konnte, war, dass es diese Kassette tatsächlich geben könnte.“ Er schob den Papierstapel zu Julia hinüber. „Sie können es gerne lesen.“

      Julia fasste die Seiten nicht an. „Das ist lächerlich. Haltlose Behauptungen, durch nichts bewiesen. Treutner hätte besser daran getan, das Manuskript an irgendeinen Schundverlag zu schicken, der sich nicht zu schade ist, auch den größten Mist zu drucken. Oder er wäre besser gleich ganz bei seinem Eisenwarengeschäft geblieben.“

      „Es gibt keinen Beweis für Treutners Behauptungen, das stimmt. Aber es gibt auch keinen Beweis für das Gegenteil. Und jetzt …“, Eylenstein breitete die Arme aus, „stehen die Raunächte an.“

      Julia stöhnte auf. „Was sind jetzt schon wieder die Raunächte?“

      „Das sind die Nächte zwischen Heiligabend und dem 6. Januar. Es heißt, in diesen Nächten steht das Geisterreich offen und sie ermöglichen es dämonischen Wesen und Seelen unguter Verstorbener, zu erscheinen. Wenn sie nicht rechtzeitig zurückgetrieben werden, bleiben sie auf immer frei. Deshalb wollen die Kraniche jetzt die Kassette. Sie muss während der Raunächte von ihnen geöffnet werden.“

      Als daraufhin zu lange nichts von Julia kam, fügte Eylenstein hinzu: „Wenn die Kassette in diesen Nächten geöffnet wird, dann muss es von der guten Seite aus geschehen, und dafür braucht es einen mutigen Menschen. Einen Menschen, der vorbereitet ist. Einen Menschen, der in der Lage ist, die Schrift zu lesen und zu verstehen. Einen Menschen, der weiß, was zu sagen ist.“

      Julia starrte ihn an. „Und dieser Mensch soll ich sein?“

      Er legte sich die Hände auf die Brust. „Ich halte es zumindest für ein Zeichen, dass ausgerechnet Sie danach suchen. Und Sie beherrschen die Sprache, nicht wahr? Die Sprache, die sonst kaum jemand beherrscht.“

      Julia sagte nichts darauf und für einen kurzen Moment wurde es still im Raum.

      „Okay“, sagte Julia dann. „Ich denke, wir haben jetzt genug geredet.“ Sie griff in die Plastiktüte. „Machen wir das Ding auf und überzeugen uns davon, dass das alles nur Spinnereien sind.“ Sie holte ein eingewickeltes Paket heraus, das sie auf den Schreibtisch stellte, und begann damit, das Packpapier zu entfernen.

      Schließlich stand die Kassette vor ihnen auf dem Tisch.

      „Jesus“, murmelte Eylenstein und beugte sich nach vorne, um sie besser ansehen zu können. „Das ist sie tatsächlich. Und sie ist wunderschön!“

      „Sie hat tatsächlich drei Schlösser“, stellte Eva fest. „Mach sie damit auf, Julia. Worauf wartest du?“

      „Mal angenommen, es wäre das in der Kassette, was Sie behaupten“, sagte Julia zu Eylenstein, „dann bekämen wir ein großes Problem. Denn ich hätte keine Ahnung, was ich dann tun sollte.“

      „Vielleicht haben wir es aber auch mit etwas ganz anderem zu tun“, warf der Professor mit einem leichten Lächeln ein. „Vielleicht befindet sich darin keine Teufelsbibel, sondern die Koordinatoren zum Bernsteinzimmer.“

      „Hmm“, machte Julia. „Vielleicht befindet sich darin aber auch eine Bombe und wir fliegen gleich alle in die Luft.“ Sie zögerte noch einen Moment, dann holte sie die drei Schlüssel aus ihrem Rucksack. Mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen steckte sie den ersten ins Schloss. Als sie ihn umdrehte, war ein leises Knacken zu hören.

      „Oh, mein Gott, es funktioniert“, sagte Eylenstein atemlos.

      Ja, es funktionierte.

      Der erste Schlüssel passte.

      Julia steckte den zweiten in das nächste Schloss, und als sie ihn drehte, war erneut ein leises Knacken zu hören.

      Später entsann sie sich noch oft daran, dass das Knacken beim dritten Schloss ein anderes war. Und dass