Joe Wood hatte einen glänzenden Einfall. Er ärgerte sich, dass er nicht gleich darauf gekommen war, als ihn Weisenfeld anrief.
Natürlich. Das ist doch logisch ...
Wood rief sich ein Taxi und ließ sich zum Polizeipräsidium fahren.
»Bitte holen Sie mir den Chef des Drogendezernats!«, herrschte Wood im arroganten Ton den Polizeibeamten an der Desk an und hielt dem verdutzt guckenden Sergeant seinen Dienstausweis der DEA unter die Nase, den der sich ewig lang genau ansah.
»Sofort, Special Agent Wood!«
Drei Minuten später saß Wood im Büro des stellvertretenden Chefs der Abteilung Rauschgift.
»Wir haben da ein Problem und ich würde gerne die Hilfe der südafrikanischen Polizei in Anspruch nehmen. Vor ein paar Tagen ist hier in Kapstadt eine Deutsche angekommen. Ihr Name ist Jutta Spengler. Sie hatte zwanzig Kilogramm Kokain im Gepäck, das Ihre Kollegen bei der Einreise übersehen haben müssen. Lassen Sie uns nicht ins Detail gehen. Bitte finden Sie heraus, in welchem Hotel sie abgestiegen ist. Den Rest übernehmen wir, aber natürlich nur mit freundlicher Genehmigung Ihrer Dienststelle. Die Frau ist US-Staatsbürgerin, vermutlich mit einem gefälschten Pass unterwegs. Wir sind schon seit zwei Jahren hinter ihr her. Können Sie das für mich arrangieren?«
»Wir sind Ihnen bei der Suche nach der Frau gerne behilflich. Es ist uns eine Ehre die DEA unterstützen zu dürfen. Allerdings müssen wir das Kokain beschlagnahmen, das verstehen Sie doch, Special Agent Wood?«
»Selbstverständlich. Daran soll unsere Zusammenarbeit nicht scheitern.«
»Fein. Wie kann ich Sie erreichen?«
Wood gab dem Officer seine Visitenkarte mit der aktuellen Handynummer.
»Bitte beeilen Sie sich, nicht, dass die Frau die Stadt wieder verlässt, bevor wir zugreifen konnten. Sie können mich rund um die Uhr erreichen. Die DEA schläft nie! Vielen Dank!«
20 Kilogramm Kokain. Wood ahnte, dass es nicht in der Asservatenkammer landen würde, wenn ... Das war ihm egal, denn es gab kein Rauschgift.
Ausgetrickst.
Er brauchte nur Jutta Spengler.
Sam Gilmore und Jonathan Burger hatten ihren Plan ausgearbeitet. Sie durften keine Zeit verlieren. Jonathan würde Jojowa nach Kapstadt begleiten. Der sollte keinen Schritt mehr ohne ihn machen können. Jonathan würde der Schatten des Detektivs sein. Jojowa hatte den Auftrag, Jutta im Hotel zu besuchen und sie mit nach IN VINO VERITAS zu bringen.
Das war der Plan.
Jutta schützen und zugleich Jojowa vor falschen Schritten bewahren, sollte er denn welche geplant haben. Jonathan lehnte es ab, sich selbst von Sams Leuten beschützen zu lassen. Er wollte so unauffällig wie möglich agieren. Allerdings hatten sie einige Sicherheiten für ihn eingebaut, von denen nur sie, Jonathan und Sam, wussten.
Als Jonathan und Jojowa in Kapstadt ankamen, fuhren sie zunächst in das Hotel, in dem Jutta abgestiegen war. Dort mussten sie leider erfahren, dass Misses Spengler überraschend ausgecheckt hatte. Das verstand Jojowa gar nicht. Er fuhr mit Jonathan sofort weiter zu der Bar seines britischen Freundes ...
»Bitte sag mir, wo ich die Deutsche finden kann. Hast du eine Ahnung?«, überfuhr Jojowa den Barbesitzer. »Es ist lebenswichtig, sonst würde ich dich nicht bitten.«
»Kein Problem. Die junge Deutsche ist mit Masimba und meinem Jeep unterwegs zu einer Tante von Masimba, einer Schamanin.«
»Und weißt du, wo die zu Hause ist?«
»Nein. Nicht genau. Nur das Dorf hat mir Masimba genannt. Es liegt circa 200 Kilometer von Kapstadt. Östlich. Bei Swellendam, wenn du schon mal da warst. Das Nest heißt Hermitage. Mehr kann ich dir leider nicht sagen. Sie wollten aber morgen Abend zurück sein. Vielleicht wartest du lieber ...?«
»Danke, nein, warten kann ich nicht. Es ist sehr dringend. Ich werde sie schon finden. Kennst mich ja.«
Jojowa war happy. Jonathan war happy, dass Jojowa die Wahrheit gesagt hatte – er mochte den alten Graukopf. Sie tankten den schwarzen Jeep noch einmal voll und fuhren sofort los nach Swellendam.
Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich. Das ist ein südafrikanisches Sprichwort, schöne weiße Frau vom Norden der Erde.«
Das waren die ersten Worte, die die Schamanin an Jutta richtete.
Auf der Fahrt nach Swellendam, einer lieblichen Kleinstadt mit rund 18.000 Einwohnern, sprudelte es aus Jutta nur so heraus. Ja, sie brauchte dringend einen Menschen, einen Freund, dem sie ihr Leid anvertrauen konnte. Sie war sich zugleich bewusst, dass sie den liebenswerten Rastaman in Gefahr bringen würde.
Wie schnell sie von ihren Befürchtungen eingeholt wurde, ahnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht ...
Masimba war erschüttert.
Was Jutta ihm in der nächsten Stunde erzählte, ging weit über seine Vorstellungen hinaus, was Menschen an Bösem planen und durchsetzen können. Umso mehr war er sich sicher, dass seine Tante Neyila Jutta Kraft geben würde und die teuflischen Angriffe auf ihre Seele abwehren könne.
»Du bist vom Teufel besessen. Er hat dich in seinen Bann gezogen. Aber du bist zugleich eine unglaublich starke Frau und hast dich schon selbst von ihm lösen können, zumindest teilweise«, fuhr die Schamanin fort.
Jutta hatte nach dem Eintreffen in dem kleinen Dorf am Rande von Swellendam, Hermitage, noch kein Wort zu der Schamanin gesprochen und auch Masimba hatte seiner Tante nur gesagt, dass seine Freundin Hilfe brauche.
»Der Teufel lebt weit weg. In einer großen Stadt in Amerika. Er ist gefährlicher als die meisten Menschen, die mir im Geiste begegnet sind. Es gibt kein größeres Ungeheuer in Menschengestalt als ihn. Er nennt sich Rechtsanwalt und dient noch größeren Herren. Es sind die, die unsere Erde zerstören. Und er wird es heute noch versuchen. Du bist in großer Gefahr, schöne weiße Frau. Er hat sehr böse, ihm hörige Menschen an seiner Seite. Ich sehe dich und ihn. Bitte pass gut auf dich auf, schöne weiße Frau.«
Die Schamanin, die Jutta auf einem Hocker gegenübersaß und sie nur anschaute, ihre Hände dabei um ihren Körper kreisen ließ, ohne Jutta zu berühren, fuhr fort:
»Im geläuterten Zustand entspricht das Herz des Wissenden dem Astralleib, der die Fähigkeit besitzt, in den Himmel aufzusteigen. Um diesen geläuterten Zustand zu erreichen, muss das Herz zuerst einmal zerbrochen werden und möchte davonlaufen, weil es unbewusst leidet. Es muss leider erst zu einer Ruine werden. Es werden die außergöttlichen Einflüsse darin zerstört. Erst danach wird das Herz wieder schlagen können und ist befreit vom Schmutz des Teufels. Mädchen, du bist wieder rein!«
Masimba verfolgte das Zeremoniell mit großem Erstaunen. Er hatte seiner Tante bei einem seelischen Reinigungsprozess noch nie beigewohnt. Er war fasziniert davon, was in Jutta physisch und psychisch vorging. Als guter Beobachter bemerkte er die Veränderungen. Sie waren derart deutlich, dass ihm schlagartig klar wurde, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als er auf der Schule gelernt hatte. Jutta richtete sich auf, sie begann zu strahlen. Es war ein Strahlen, das aus ihrem Inneren kam und das ganze Dorf im Abendlicht erhellte.
So etwas hatte Masimba noch nie erlebt.
Zur gleichen Zeit, als Jutta mit Masimba zu ihrer Tour zur Schamanin aufbrach, erreichte Wood der Anruf des Officers, den er gebeten hatte, ihm das Hotel von Jutta Spengler zu finden.
»Die Drogendealerin wohnt im >Table Bay Hotel<, Victoria & Alfred Waterfront. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen. Ich stehe gerne weiterhin zu Ihrer Verfügung, Special Agent Wood!«
»Danke, Officer. Sie haben mir sehr geholfen!«
Joe Wood war schon so gut wie auf dem Weg zu dem Hotel. Er hatte es nicht geschafft, in der Zwischenzeit gute, zuverlässige Leute zu finden, die ihn bei seiner Mission unterstützen konnten. Also hatte er aufgerüstet.