Rivalinnen - Schweden-Krimi. Åsa Nilsonne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Åsa Nilsonne
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Monika Pedersen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726445114
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ich nichts Falsches erzähle.«

      Es folgte eine weitere und längere Pause, genau wie Monika befürchtet hatte. Sie holte tief Luft und verfluchte ihre Ungeduld. Sie hatte sich gerade zur Gelassenheit ermahnt, als er endlich weiterredete.

      »Also, ich dachte, sie könnte doch gestolpert oder krank sein oder so. Ich habe Klara auf den Arm genommen und bin hinaufgegangen, das war nur ungefähr ein Dutzend Meter. Beim Näherkommen habe ich gesehen, dass es eine Frau war. Sie lag auf dem Bauch, einen Arm unter dem Körper, sie trug so einen gefütterten Regenmantel mit Kapuze und hatte ziemlich kleine Füße.«

      Einar wurde plötzlich blass und schien kurz vor einer Ohnmacht zu stehen.

      »Klara wollte nicht mehr getragen werden, deshalb habe ich sie auf den Boden gesetzt. Dann bin ich zu der Frau gegangen und habe gefragt, was los ist, was passiert ist, aber sie gab keine Antwort, sie lag einfach nur da. Ich hätte ihr so gern geholfen.«

      Um für einen Tag oder eine Woche als Held zu gelten, dachte Monika und staunte wieder über ihre Gehässigkeit. Normalerweise hätte Einars klares Bedürfnis nach Aufmerksamkeit an ihr Mitgefühl appelliert, aber an diesem Tag war alles anders, ein solches Engagement hätte sie mehr psychische Energie gekostet als sie im Augenblick aufbrachte. Sie ärgerte sich sogar über seine kleinen rosa Hände, die sie an Mäusepfoten erinnerten, als er seine Tasse vor sich hielt.

      Jetzt begann Einars Stimme zu zittern.

      »Ich wusste nicht, was ich tun sollte, deshalb habe ich ein wenig ihre Schulter geschüttelt. Darauf hat sie auch nicht reagiert, deshalb dachte ich, sie hätte vielleicht zu viel getrunken und das Bewusstsein verloren, aber sie roch nicht nach Alkohol. Ich bin also auf ihre andere Seite gegangen, um ihr Gesicht sehen zu können.«

      Er kniff die Augen zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich sehe das alles noch vor mir, das werde ich nie wieder vergessen. Ihr linkes Auge sah mich an, es war weit offen und wütend und...«, seine Stimme war kaum noch zu hören. »Das rechte war verschwunden, da gab es nur noch ein blutiges Loch, wer kann so etwas tun? Und das andere Auge starrte mich nur an, klar und unbeweglich.«

      Monika bildete sich plötzlich ein, seinen raschen Herzschlag sehen zu können ‒ sein schmächtiger Leib schien zu beben, als er diesen schrecklichen Moment noch einmal durchlebte.

      »Und dann, dann kam Klara, und sie...«

      Plötzlich stürzte er aus dem Zimmer, und gleich darauf hörten Monika und Idriss die Geräusche eines leeren Magens, der trotzdem verzweifelt versuchte, seinen Inhalt von sich zu geben.

      Was da wohl passiert war? Was hatte Klara getan? Was macht ein Hundebaby, das ein herausgerissenes Auge findet? Monika sah Klara an und stellte fest, dass auch ihr mit einem Mal schlecht zu werden drohte.

      Erst nach einigen Minuten kam Einar mit feuchtem Gesicht und Händen wieder zurück.

      »Verzeihen Sie. Es war nur so schrecklich und so unerwartet, und dass Klara sich dann nicht zusammenreißen konnte.«

      Monika schauderte wieder und fragte sich, ob auch sie sich gleich übergeben würde.

      »Was genau hat sie gemacht?«

      »Gemacht? Herumgeschnuppert, sie wollte spielen.«

      »Hat sie nichts mit dem Auge gemacht?«

      »Mit dem Auge? Es gab doch kein Auge. Das war ja gerade das Schreckliche.«

      »Entschuldigung. Ich dachte, sie hätte das Auge gefunden...« Monikas Stimme versagte, teilweise aus Erleichterung.

      »Ich bitte um Verzeihung, das war ein unnötiges Missverständnis.«

      Einar holte einige Male tief Luft und fuhr mit zitternder Stimme fort:

      »Viel mehr ist dann nicht mehr passiert ‒ ich habe mir Klara geschnappt und bin so schnell wie möglich in meine Wohnung gerannt, ich habe so stark gezittert, dass ich kaum die Nummer wählen konnte, aber dann habe ich es ja doch geschafft, und sie haben einen Krankenwagen geschickt.«

      »Wissen Sie noch, ob Sie sonst irgendjemanden gesehen haben?«

      »Nein. Die Gegend war menschenleer, das ist um diese Zeit immer so, das weiß ich, ich war jetzt ja seit zehn Tagen immer so früh draußen. Übrigens, ein paar Mal habe ich eine Frau mit einem Einkaufswagen gesehen.«

      »Auch heute Morgen?«

      »Nein.«

      Er hatte sich jetzt einigermaßen gefasst und schien mit seiner Leistung zufrieden zu sein, sich in seiner Rolle als Actionheld fast schon zu bewundern. Monika hatte plötzlich Lust aufzuspringen und Bu! zu rufen.

      »Sagen Sie ‒ haben Sie in der Nähe der Toten irgendeinen Gegenstand gesehen?«, fragte sie stattdessen freundlich.

      »Nein. Ich habe nichts gesehen, ich glaube nicht, dass dort etwas lag, aber ganz sicher bin ich nicht, ihr schreckliches Gesicht hat irgendwie alles andere ausgelöscht. Hätte ich etwas sehen sollen?«

      In ihr keimte der Verdacht, wenn sie nach einer blauen Bowlingkugel gefragt hätte, dann wäre ihm bestimmt eingefallen, dass eine neben Lotties Kopf gelegen hatte. Sie war froh darüber, dass sie mit ihm gesprochen hatten, ehe er zu viele Veränderungen an seinem Erinnerungsbild vornehmen konnte.

      »Jetzt habe ich nur noch ein paar Fragen, Einar. Haben Sie Handschuhe getragen?«

      »Nein, wieso denn?«, fragte er überrascht.

      »Sie haben gesagt, dass Sie die Tote ein wenig an der Schulter gerüttelt haben ‒ würden Sie uns das bitte vorführen?«

      Einar berührte mit den Fingerspitzen ein verschlissenes braunmeliertes Kissen und drückte einige Male zu.

      »Ungefähr so. Ihre linke Schulter oder eigentlich eher ihren Rücken.«

      »Haben Sie den Leichnam oder die Kleider sonst noch berührt?«

      »Nein. Nein, wirklich nicht. Warum wollen Sie das wissen? Ich habe nur das getan, was ich Ihnen erzählt habe, Sie glauben doch wohl nicht, ich hätte ihr etwas getan?«

      Plötzlich hatte sich seine Heldenhaftigkeit in Luft aufgelöst, und er sah aus, als würde ihm gleich wieder übel.

      »Wir glauben noch gar nichts, wir versuchen nur herauszufinden, was passiert ist. Und es war uns eine große Hilfe, mit Ihnen zu sprechen.« Monika fügte diese letzte Bemerkung als eine Art Entschuldigung dafür hinzu, dass sie in Gedanken so viel Kritik an diesem kleinen Mann geübt hatte, der nicht einmal mit einem zehn Wochen alten Hundebaby fertig wurde.

      Dann standen sie auf und gingen. Monika hätte gern gewusst, ob irgendein Grund bestand, Einar zu verdächtigen ‒ ob er wohl imstande wäre, jemanden zu ermorden, um dann die Leiche zu finden und von der Polizei befragt zu werden. Der Mann hatte Angst, aber das war ja nicht schwer zu verstehen, er hatte schließlich allerhand mitgemacht. Aber diese banale Erklärung konnte vielleicht einen anderen Grund für seine Angst verdecken. Nicht zum ersten Mal wäre ein scheinbar unwahrscheinlicher Täter als Zeuge aufgetreten. Es konnte sich aber auch um eine Variante des irrationalen Schuldbewusstseins handeln, das viele Menschen überkommt, wenn die Polizei ihnen gegenübersteht. Und dann würde seine Angst sich sicher bald legen.

      Im Fahrstuhl dachte Monika vor allem über die Sache mit dem Auge nach. Warum hatte Daga nichts davon gesagt? Wenn ein Auge aus der Augenhöhle gerissen worden war, konnte doch niemand mehr von einem Unfall ausgehen? Das Letzte, was sie sich wünschte, war eine Konfrontation mit einem schwachen Mann und seinem so großen Wunsch nach Macht über andere, dass er zum Mörder wurde und groteske und symbolische Verletzungen hinterließ. An diesem Morgen stellte die Vorstellung eines solchen Täters keine Motivation, sondern nur einen Grund dar, sich ernsthaft nach einem anderen Job umzusehen.

      Sie sehnte sich nach Mikael. Was sie über ihre Arbeit dachte und empfand, machte ihr Angst, es war so, als hätte sie plötzlich einen Menschen, mit dem sie seit vielen Jahren zusammenlebte, angesehen und erkannt, dass sie nicht wusste, ob sie dieses Zusammenleben fortsetzen sollte. Sie musste mit jemandem sprechen, doch