Rivalinnen - Schweden-Krimi. Åsa Nilsonne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Åsa Nilsonne
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Monika Pedersen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726445114
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beruflich gesehen. In der letzten Zeit hatte es an professionellen Erfolgserlebnissen gefehlt, deshalb genoss sie diese Momente ganz besonders. In gewisser Hinsicht war es schön, an einem solchen Tag keine weiten Strecken zurücklegen zu müssen, zugleich aber war es ein wenig beunruhigend, dass ein Unglücks- oder Tatort nur fünf Minuten von der Wache entfernt war.

      Daga saß hinter dem Lenkrad, Idriss neben ihr, und Monika hatte auf dem Rücksitz Platz nehmen müssen. Sie betrachtete Idriss’ gepflegten Hinterkopf. Sie hatte schon häufiger erlebt, wie Männer, die ungefähr so aussahen wie er, zuerst nichts begriffen, dann empört waren und schließlich in Panik gerieten, wenn ihnen aufging, dass Monika fahren würde. Sie hatte festgestellt, dass sie das unverhohlene Unbehagen dieser Männer genoss und dass sie sich ihrer Rachsucht nicht schämte, so sehr provozierte diese Haltung sie. Sie nahm an, dass diese Männer vermutlich mit dem Hinweis auf kulturelle Unterschiede verlangen könnten, von einem Mann gefahren zu werden, aber sie hatte dieses Thema nie mit Leuten besprochen, die dieser Frage auf den Grund gehen wollten. Idriss schien jedenfalls nichts dagegen zu haben, dass Daga fuhr, denn er saß gelassen und entspannt neben ihr.

      Igeldammsgata.

      Wenn Mikael jetzt hier wäre, würden sie über die Blutegel reden, denen die Straße ihren Namen verdankte, und darüber, welche Bedeutung die Nähe eines Krankenhauses für Straßennamen haben konnte. Sie hätten über die Häuser gesprochen. Doch nun saß Monika stumm da und betrachtete die vertraute Umgebung, die sich doch jedes Mal, wenn sie vorbeikam, verändert zu haben schien. Es war der erste richtige Wintertag, inzwischen war es halb zehn, und die Sonne war vor einer guten Stunde über den Horizont geklettert, beschrieb aber ihren flachen Winterbogen und hing noch immer so tief, dass das Licht indirekt zu sein schien.

      Monika hatte eine regelrechte Liebesbeziehung zu Kungsholmen. Immerhin gab es doch einen Ort auf der Welt, an dem sie sich zu Hause fühlte, wo Boden und Bebauung ihr freundlich gesinnt zu sein schienen. Jetzt würde sie ein weiteres Haus hier kennen lernen, Igeldammsgata 32. Sie wusste nicht genau, welches Haus das war, aber die Straße war kurz, und sie war an vielen Abenden und Wochenenden hier unterwegs gewesen, mit und ohne Mikael. Jetzt würde eines dieser Häuser aus dem privaten in den beruflichen Teil ihres Lebens übersiedeln, genau wie Lottie das auch gerade machte.

      Sie hatten das Ende der Fleminggata erreicht. Auf der rechten Seite führte nun die Igeldammsgata zum Kungsholms Strand hinunter. Eigentlich müsste die Straße Igeldammshang heißen, dachte Monika, als sie abwärts fuhren, oder Igeldammsabgrund oder Igeldammsschlucht. Links lagen der Felshang, rechts die individuell dem Terrain angepassten Häuser aus Monikas Lieblingsarchitekturperiode, dem Beginn des 20. Jahrhunderts.

      Sie brauchten die Hausnummern nicht zu lesen, um die richtige Stelle zu finden, denn die Streifenwagen und Absperrbänder waren schon von weitem zu sehen.

      Nummer 32 entpuppte sich als schmales Haus mit nur vier Fenstern nebeneinander und war etwas niedriger als das fünfstöckige Nachbarhaus. Monika tippte auf ein Baujahr um 1920 ‒ das Haus wirkte solide und harmonisch proportioniert, ohne auffällige Verzierungen. Gestrichen war es in dem derzeit so beliebten orangeroten Farbton, der gut zu der strengen Form passte. Es hätte als ganz normales Haus seiner Epoche durchgehen können, wenn es nicht eine sehr ungewöhnliche Eigenheit aufgewiesen hätte: Dort, wo eigentlich ein Eingang zu erwarten gewesen wäre, führte eine Art Tunnel durch das Haus schräg nach unten. Heutzutage hätte man zuerst den Boden eingeebnet und dann ein kastenförmiges Haus errichtet, damals jedoch hatte man das Haus dem Boden angepasst. Von der Igeldammsgata aus schlängelte sich eine Treppe durch das Haus, über einen langen, schmalen Hof und durch das nächste mit Tunnel versehene Haus, dessen Front dem Kungsholms Strand zugekehrt war. Monika war schon oft über diese Treppe gegangen, und nicht einmal Mikael hatte erklären können, wie jemand auf die Idee gekommen war, auf diese Weise zu bauen.

      Das Haus war, ebenso wie Lottie, bekannt, jedenfalls in der Umgebung.

      Daga hatte es offenbar noch nie gesehen, denn sie wirkte ehrlich erstaunt.

      »Aber was ist das denn hier? Eine Abkürzung zum Strand? Mitten durch das Haus?«

      Monika nickte. Es war wie so oft eine Frage, die nicht beantwortet zu werden brauchte.

      Sie gingen zu dem Hof weiter, der als Durchgang benutzt wurde. Die Treppe endete an einem kahlen, verschneiten Hangstück, wo es nicht mehr ganz so steil war. Das Ganze sah aus wie ein Stillleben in weiß, schwarz und braun, ein Stillleben, bei dem der Künstler impulsiv ein wenig Farbe hatte einbringen wollen und deshalb zwei Treppenstufen mit großen hellroten Flecken versehen hatte. Neben diesen Flecken standen zwei junge Polizisten mit vor Kälte weißen Gesichtern. Monika hatte den Eindruck, dass die beiden wider besseren Wissens darauf warteten nach Hause geschickt zu werden.

      Es stellte sich heraus, dass sie nicht viel zu sagen hatten, da sie erst angekommen waren, nachdem Lotties Leichnam bereits abgeholt worden war. Die Kollegen, die als Erste an den Tatort gerufen worden waren, hatten für diesen Tag ihren Dienst bereits beendet.

      Lottie hatte, wenn die beiden Polizisten das richtig verstanden hatten, ausgesehen, als sei sie auf der Treppe gestolpert. Am besten wusste das sicher Einar Jakobeus, der Mann, der sie gefunden hatte und zu Hause bereits auf den Besuch der Polizei wartete. Er wohnte in einem der Häuser am Kungsholms Strand.

      Daga schaute sich auf dem kahlen Hof um. Dann fragte sie den einen der halb erfrorenen Kollegen:

      »Und was habt ihr gefunden?«

      »Nicht viel«, antwortete der junge Mann gleichgültig. »Keine Fußspuren ‒ die Treppe war doch freigeschaufelt und mit Sand bestreut worden, wir können also nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob die Tote selbst hergekommen ist. Es gibt auch sonst keine Fußspuren, wie ihr ja selbst seht.«

      Monika, Daga und Idriss sahen sich um. Der Schnee war beiseite geräumt worden, als er noch weich gewesen war, und war inzwischen zu Eis gefroren. Die Treppe war schneefrei und mit Sand bestreut. Die einzigen Fußspuren, die zu erkennen waren, stammten von Hunden.

      »Wir müssen feststellen, wer für das Schneeräumen und das Streuen zuständig ist und wann das gemacht worden ist.«

      Daga schrieb, während sie das sagte; zum Ärger vieler Kollegen verteilte sie inzwischen die Aufgaben in schriftlicher Form.

      »Wir müssen außerdem feststellen, wann genau das Wetter umgeschlagen ist und wie lange es gedauert haben kann, bis der Schnee gefroren war. Die Leute von der Technik können jeden Moment hier sein. Wenn sie kommen, könnt ihr beide die Nachbarschaft abklappern und fragen, ob jemand etwas gehört oder gesehen hat.«

      Sie schauten zu den Häusern hinauf ‒ zu der unteren Reihe, die auf den Kanal hinausging, und zur oberen an der Igeldammsgata. Die Häuser stammten zumeist aus derselben Epoche, hatten fünf oder sechs Etagen, waren gut erhalten und in verschiedenen sanften Farben angestrichen ‒ hellgelb, ein etwas dunkleres Gelb, hellgrün. Sämtliche Fenster schauten wie Augen auf den Hof ‒ Lottie war nicht an einem abgelegenen Ort ums Leben gekommen, und mit etwas Glück müssten sie einen oder mehrere Menschen ausfindig machen können, die im richtigen Moment aus dem Fenster gesehen hatten. Wenn Monika nicht so müde gewesen wäre, hätte sie einen leichten Neid verspürt hatte immer gern solche Befragungen durchgeführt, im ment jedoch war sie froh darüber, dass es ihr erspart blieb. Hier in dieser Gegend wohnten vor allem jüngere berufstätige Menschen, die jetzt ihre Arbeitsplätze in der ganzen Stadt oder im Umland bevölkerten. Es würde seine Zeit brauchen, bis sie mit allen gesprochen hatten, sie konnten schließlich auch nach Uppsala oder Enköping pendeln oder ihre Zeit zwischen Stockholm, London und Singapur teilen.

      Daga beschloss, auf die Technik zu warten und wandte sich an Monika.

      »Ihr könnt doch schon mal mit Jakobeus reden, er wohnt Kungsholms Strand 173, angeblich gleich hinter der Ecke da unten. Und danach wäre es gut, wenn ihr euch noch einmal mit den Töchtern unterhalten könntet, wir müssen wissen, was Lottie gestern gemacht hat. Am besten nehmt ihr das Auto.«

      Sie reichte Monika die Schlüssel.

      Monika nickte und ging gemeinsam mit Idriss die Treppe hinunter und durch das nächste Haus, wo sie für einen Moment stehen blieb. Unmittelbar