Bekenntnisse. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659813
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und der Menschen Urteil.

      Aber neben Schandtaten und Freveln und so vieler anderen Ungerechtigkeit gibt es auch noch die Fehltritte solcher, die in der Heiligung fortschreiten; diese werden von weisen Richtern nach dem Maßstabe der Vollkommenheit zwar getadelt, aber auch mit Rücksicht auf die zu erhoffende gute Ernte wie junge Saat gelobt. Auch sieht manches einer Sünde oder einem Verbrechen ähnlich, ist aber trotzdem keine Sünde, weil es weder gegen dich, den Herrn unsern Gott, noch gegen die Gesellschaftsordnung verstößt, so wenn man sich bei guter Zeit verschafft, was zum Gebrauch des Lebens dient, und die Annahme möglich ist, es geschehe aus Habsucht; oder wenn die verordnete Obrigkeit jemanden in der Absicht, ihn zu bessern, bestraft und dabei die Annahme absichtlicher Schädigung nicht ausgeschlossen ist. Viele Taten also, welche den Menschen tadelnswert erscheinen, werden durch deine Zustimmung gut geheißen, dafür andere, die das Lob der Menschen genießen, durch dein Zeugnis verdammt, da es mit dem äußeren Schein der Handlung oft eine andere Bewandtnis hat als mit der Gesinnung des Handelnden und den uns verborgenen besonderen Zeitumständen. Wenn du also etwas Ungewohntes und Unvorhergesehenes befiehlst, so muß es zweifellos befolgt werden, auch wenn du es früher einmal verboten hast, magst du auch den Grund deines Befehles vorläufig verborgen halten und er dem gesellschaftlichen Brauche einiger Menschen entgegenlaufenden; gerecht ist nur die Gesellschaft, welche dir dient, Selig aber die, die wissen, dass du Gebote gegeben! Denn alles, was deine Diener tun, geschieht entweder zum Heile der Gegenwart oder zur Vorbereitung der Zukunft.

      10. Törichte Ansichten der Manichäer über die Früchte.

      In meiner Unkenntnis der Dinge verlachte ich deine heiligen Diener und Propheten. Indem ich sie aber verhöhnte, siehe, da geschah es, daß ich allmählich ein Spott vor dir wurde und mich nach und nach zu solchen Albernheiten verleiten ließ, daß ich glaubte, die Feige weine Milchtränen, da man sie pflücke, und ebenso ihre Mutter, der Feigenbaum. Wenn jedoch ein Heiliger eine solche nicht durch seine, sondern durch fremde Schuld gepflückte Feige verzehre, dann vermische sie sich mit seinem Innersten, und er hauche von ihr im Gebete unter Seufzen und Schluchzen Engel, ja sogar Teilchen der Gottheit aus. Und jene Teilchen des allerhöchsten und wahren Gottes wären in jener Frucht gebunden geblieben - so hieß es -, hätten nicht eines auserwählten Heiligen Zähne und Magen sie erlöst. Und ich Elender glaubte, man müsse den Früchten der Erde mehr Barmherzigkeit angedeihen lassen als den Menschen, für die sie wuchsen. Verlangte aber ein Nichtmanichäer hungernd nach Speise, so hätte es als ein todeswürdiges Verbrechen gegolten, ihm auch nur einen Bissen davon zu reichen.

      11. Trauer seiner Mutter über ihren Sohn und Ihr Traum.

      Und aus der Höhe strecktest du deine Hand herab und „rissest meine Seele“66 aus dieser tiefen Finsternis da für mich meine Mutter, deine Getreue, zu dir weinte, mehr als sonst die Mütter über den leiblichen Tod ihrer Kinder weinen, Denn sie sah meinen Tod infolge des Glaubens und des Geistes, den sie von dir hatte, und du erhörtest sie, o Herr. Du hast sie erhört und ihre Tränen nicht verachtet, deren Ströme die Erde unter ihren Augen überall, wo sie betete, benetzten: du hast sie erhört. Denn von dir kam ihr jener tröstende Traum, so daß sie mir wieder erlaubte, bei ihr zu leben und den Tisch mit ihr zu teilen, worauf sie schon aus Abscheu und Widerwillen gegen meine gotteslästerlichen Irrtümer verzichtet hatte. Sie sah nämlich im Traume, wie sie auf einem hölzernen Richtscheite stand und ein herrlicher Jüngling, der sie freundlich anlächelte, auf sie zukam, während sie traurig und gramgebrochen war. Als dieser sie nach der Ursache ihrer Traurigkeit und ihrer täglichen Tränen fragte - natürlich um ihr einen guten Rat zu geben, nicht etwa um sie auszufragen - und sie dann antwortete, daß sie meinen Verlust beklage, da hieß er sie, ruhig zu sein, und ermahnte sie, aufzumerken und achtzugeben, wo sie sei, denn dort würde auch ich sein. Sobald sie nun aufmerkte, sah sie mich wirklich an ihrer Seite auf demselben Richtscheite stehen. Woher kam dieser Traum, wenn nicht von dir, der gnädig sein Ohr ihrem Herzen neigte, o du gütiger und allmächtiger Gott: für jeden einzelnen von uns sorgst du, als sorgtest du für ihn allein, und für alle, als wären sie nur einer.

      Daher kam es auch, daß, als sie mir dieses Gesicht erzählte und ich es dahin zu deuten suchte, daß sie vielmehr nicht verzweifeln möchte, einst zu werden, was ich schon war, sie sofort ohne das geringste Zögern antwortete: “Nein, denn mir wurde nicht gesagt: Wo jener, da auch du, sondern: Wo du, da auch jener”. Ich bekenne dir, o Herr, soweit meine Erinnerung geht und wie ich es häufig auch ausgesprochen habe, daß ich durch die Antwort, die du mir durch meine Mutter gabst, weil sie sich nämlich durch meine falsche, so naheliegende Auslegung nicht stören ließ und schlagfertig das Richtige erkannte - bevor sie es aussprach, hatte ich wenigstens es nicht erschaut -, mehr gerührt wurde als durch den Traum selbst, durch den der frommen Frau eine erst viel später sich verwirklichende Freude zum Troste in augenblicklicher Bekümmernis so lange vorher angekündigt wurde. Denn noch ungefähr neun Jahre vergingen, in denen ich mich im „Schlamme des Abgrundes“67 und in den Finsternissen des Irrtums wälzte, oft zwar versuchte, mich aufzuraffen, immer tiefer aber hineinsank; doch jene keusche Witwe, fromm und besonnen, wie du sie liebst, durch die Hoffnung schon etwas getröstet, aber im Weinen und Seufzen nicht lässiger, ließ nicht ab, zu allen Stunden ihres Gebetes bei dir über mich zu jammern, und „ihre Gebete kamen vor dein Angesicht“68, und dennoch ließest du es zu, daß ich noch weiter in der Finsternis herumirrte, ja von ihr umschlungen wurde.

      12. Ein Bischof macht der Mutter sichere Aussicht auf des Sohnes Bekehrung.

      Und noch eine andere Antwort gabst du in der Zwischenzeit, an die ich mich erinnere; denn vieles will ich übergehen, weil ich zu dem eile, was ich in erster Linie vor dir bekennen muß, anderes ist meinem Gedächtnisse entschwunden. Jene andere Antwort also gabst du durch deinen Priester, einen in der Kirche aufgewachsenen und in deinen heiligen Schriften bewanderten Bischof. Als ihn jene Frau bat, er möge mich einer Unterredung würdigen, meine Irrtümer widerlegen, mich vom Bösen ab- und zum Guten hinleiten - das tat er, wenn er Geeignete fand -, da weigerte er sich, und zwar wie ich später sah, aus Gründen der Klugheit. Er gab nämlich zur Antwort, daß ich noch keiner Belehrung zugänglich sei, weil ich noch allzusehr von jener neuen Irrlehre aufgeblasen sei und viele Unerfahrene schon durch gewisse verfängliche Fragen beunruhigt hätte, wie sie ihm selbst gestanden. “Aber”, so fuhr er fort, “laß ihn dort; bete nur für ihn zum Herrn. Ihn selbst wird sein Studium zur Erkenntnis seines großen, gottlosen Irrtums bringen”, Zugleich erzählte er ihr, auch er sei in jugendlichem Alter von seiner betörten Mutter den Manichäern übergeben worden und habe alle ihre Schriften nicht nur gelesen, sondern auch häufig abgeschrieben; und doch sei ihm, ohne daß jemand ihm widersprochen und ihn überführt habe, die Erkenntnis aufgegangen, wie hassenswert jene Sekte sei; und er habe sich von ihr gewandt. Als sie sich trotz dieser Worte noch nicht beruhigen wollte, sondern mit Bitten und unter einem Strom von Tränen heftiger in ihn drang, er solle doch mich sehen und mit mir sprechen, da sagte jener, beinahe schon unwillig: “Gehe von mir, denn so wahr du lebst, es ist unmöglich, daß ein Sohn solcher Tränen untergehe”. Und oft erinnerte sich meine Mutter in ihren Gesprächen mit mir, sie habe diese Worte so aufgenommen, als ob sie vom Himmel erklungen seien.

      Viertes Buch

      1. Die Dauer seines Irrtums.

      

       Inhaltsübersicht.

       Neun Jahre lang gehört er zur Sekte der Manichäer und verführt auch andere zu ihr; auch in die Irrwege der Astrologie gerät er. Der Tod eines Freundes, der durch ihn zu den Manichäern gekommen war, aber vor seinem Tode sich bekehrte, ergreift ihn aufs heftigste. Er gedenkt der in seinem sechs- oder siebenundzwanzigsten Jahre geschriebenen Bücher “Über das Schöne und Schickliche”; bei seinem Studium machen ihm philosophische Begriffe keine Schwierigkeiten.

      Während eben jenes Zeitraumes von neun Jahren, von meinem neunzehnten Lebensjahre bis zum achtundzwanzigsten, wurde ich in die Irre geführt und führte andere irre, betrogen und betrügerisch in allerlei Leidenschaften,