Bekenntnisse. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659813
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die mehrere Frauen zugleich hätten, Menschen töteten und Tiere als Opfer darbrächten. Bei meiner Unwissenheit in diesen Dingen ließ ich mich durch solche Fragen verblüffen, und von der Wahrheit mich entfernend, glaubte ich mich auf dem Wege zu ihr zu befinden, da ich damals nicht wußte, daß das Böse die absolute und vollständige Negation des Guten ist. Wie hätte ich es auch einsehen sollen, wenn der Blick meiner Augen nur auf Körper, die Schärfe meines Geistes nur auf Trugbilder eingestellt war? Ich wußte nicht, daß Gott ein Geist ist, der weder im Raume meßbare Glieder noch Masse besitzt; denn jede Masse ist im Teile kleiner als im Ganzen, und wenn sie unendlich sein sollte, so ist sie doch in einem bestimmten Ausschnitte kleiner als in ihrer Unendlichkeit; sie ist nicht überall ganz wie der Geist, wie Gott. Auch wußte ich gar nicht, was das in uns sei, wonach wir geschaffen sind, das „Ebenbild Gottes“61, wie es die Schrift nennt.

      Ebenso kannte ich nicht die wahre, innere Gerechtigkeit, die nicht nach der Gewohnheit richtet, sondern nach dem gerechtesten Gesetze des allmächtigen Gottes, nach welchem sich die Sitten der Länder und Zeiten bilden sollen; es selbst aber bleibt überall und immer, ohne sich im Wechsel von Ort und Zeit zu ändern, das Gesetz, nach welchem Abraham und Isaak und Jakob und Moses und David gerecht waren und alle jene durch Gottes Mund gepriesenen Männer, mögen sie auch von gewissen Leuten in ihrer Unwissenheit als ungerecht bezeichnet werden, die „nach Weise eines menschlichen Gerichtstages“62 richten und alle Sitten des Menschengeschlechtes nach dem Maßstabe ihrer eigenen Sitten bemessen. Solche Leute gleichen Menschen, die ohne Kenntnis der Waffenrüstung nicht wissen, welches Stück den einzelnen Gliedmaßen angepaßt ist, infolgedessen das Haupt mit der Beinschiene bedecken und den Helm als Fußbedeckung gebrauchen wollen und sich dann beschweren, daß es nicht passe; sie gleichen auch Leuten, die sich aufregen, daß sie nachmittags, wenn Gerichts- und Handelsferien angesetzt sind, nichts mehr zum Verkaufe ausbieten können, obwohl es doch am Vormittag erlaubt gewesen ist, oder anderen, die da bemerken, daß in einem Hause ein Diener eine bestimmte Arbeit mit den Händen verrichtet, von der man den Mundschenk fernhält, oder daß etwas im Stalle geschieht, was bei Tisch verboten ist, und nun unwillig werden, daß in einem und demselben Hause und in einer Familie nicht allen immer dasselbe zugewiesen ist. So handeln diejenigen, die sich aufregen, wenn sie hören, daß den Gerechten in jenen früheren Zeiten etwas erlaubt gewesen sei, was jetzt ihnen nicht mehr erlaubt ist, und daß Gott je nach den Zeitumständen den einen dieses, den anderen jenes Gebot gegeben hat, obwohl beide der nämlichen Gerechtigkeit dienen; und doch sehen sie, daß bei demselben Menschen an demselben Tage in demselben Hause den verschiedenen Gliedern verschiedenes zusteht, daß manches, was seit sehr langer Zeit erlaubt, nun plötzlich nicht mehr erlaubt wird, daß etwas in jenem Winkel gestattet, ja sogar geboten ist, was in diesem daneben verboten und straffällig ist. Deshalb ist noch lange nicht die Gerechtigkeit wechselnd und im Fluß begriffen; nur die Zeiten, denen sie Gesetze vorschreibt, gehen nicht gleichmäßig, eben weil es Zeiten sind. Weil aber die Menschen, deren Leben auf Erden kurz ist, die Verhältnisse der vergangenen Jahrhunderte und anderer Nationen, die sie nicht kennen, mit dem, was sie selbst erfahren haben, nicht in Einklang bringen können, wohl aber am nämlichen Körper, am nämlichen Tag oder Hause sehen können, wie so manches nur für ein gewisses Glied, eine gewisse Zeit, für gewisse Teile oder Personen angemessen ist, nehmen sie dort Anstoß, während sie sich hier fügen.

      Das wußte ich damals nicht und beachtete es nicht, und doch boten sich überall solche Dinge meinen Augen, ohne daß ich sie bemerkte. Machte ich Gedichte, so durfte ich nicht jeden Versfuß an beliebiger Stelle gebrauchen, sondern jedes Metrum verlangte eine ganz bestimmte Ordnung der einzelnen Versfüße, und auch in einem und demselben Verse durfte ich den gleichen Fuß nicht an jeder Stelle anwenden. Trotzdem war die Verskunst, nach der ich dichtete, nicht nach Orten verschieden, sondern überall einheitlich. Dabei aber entging es mir, daß die Gerechtigkeit, welcher die guten und seligen Männer dienten, in weit vorzüglicherer und höherer Weise alle ihre Satzungen zugleich umfaßt und, obgleich ohne. Wechsel nach irgendeiner Seite, dennoch den verschiedenen Zeiten nicht alles zugleich, sondern nur das jedesmal Passende zuweist und vorschreibt. In meiner Blindheit tadelte ich die frommen Väter, die nicht nur nach Gottes Befehl und Eingebung der Gegenwart lebten, sondern auch nach Gottes Offenbarung die Zukunft vorhersagten.

      8. Von der Sünde.

      Ist es etwa irgendwann oder irgendwo unrecht, “Gott zu lieben aus seinem ganzen Herzen, aus seiner ganzen Seele, aus seinem ganzen Gemüte” und “den Nächsten wie sich selbst”?63 Und deshalb sind auch Verbrechen gegen die Natur wie die der Sodomiten immer und überall verabscheuungswürdig und strafbar. Wenn auch alle Völker solche Sünden begingen, alle würden doch gleicher Sündenschuld anheimfallen infolge des göttlichen Gesetzes, das die Menschen nicht zu solchem Verkehre geschaffen hat. Es wird ja auch die Gemeinschaft, die uns mit Gott verknüpfen soll, verletzt, wenn eben die Natur, die er geschaffen, durch verkehrte Begierde befleckt wird. Vergehungen aber gegen menschliche Sitten müssen in Anbetracht der Verschiedenheit eben dieser Sitte vermieden werden, damit nicht das feste innere Gefüge einer Stadt oder eines Reiches, das auf Herkommen oder Gesetz beruht, durch irgendeines Bürgers oder Fremden Willkür zerrissen werde. Denn schändlich ist jeder Teil, der sich in Widerspruch zu seinem Ganzen setzt. Wenn aber Gott etwas gegen Sitte oder Herkommen irgendeines Volkes befiehlt, so muß es geschehen, auch wenn es dort noch nie geschehen wäre, es muß erneuert werden, wenn es bisher unterlassen war, und eingeführt, wenn es bisher noch nicht eingeführt war. Denn wenn es einem Könige erlaubt ist, in dem Staate, über den er herrscht, etwas zu befehlen, was vor ihm niemand und er selbst vorher noch niemals befohlen hatte, und wenn der Gehorsam gegen seine Befehle eine Forderung des Staatsrechtes ist, Ungehorsam aber eine Rechtsverletzung bedeutet - erste Forderung jeglichen menschlichen Gemeinschaftslebens ist der Gehorsam gegen das Oberhaupt der Gemeinschaft -, um wieviel mehr muß man sich Gott, dem Beherrscher der ganzen Schöpfung, ohne Bedenken allen seinen Befehlen gegenüber unterwerfen! Wie nämlich in der menschlichen Gesellschaft die höhere Macht der niederen übergeordnet ist und ihr Befehle erteilt, so Gott uns allen.

      Dasselbe gilt von den Verbrechen, bei denen die Begierde zu schaden waltet, sei es durch Beschimpfung, sei es durch Tätlichkeit, und zwar entweder aus Rachsucht bei persönlicher Feindschaft, oder um einen äußeren Vorteil zu erreichen, wie bei Räuber und Wandersmann, oder um einem Übel zu entgehen, wie wenn man dem einen Schaden zufügt, den man fürchtet oder aus Neid, wenn der Ärmere den Reicheren beneidet oder der irgendwie Erfolgreiche fürchtet, ein anderer könne ihm gleichkommen, oder es zu seinem Schmerze erfahren muß, daß er ihm schon gleichkommt, oder durch bloße Lust an fremdem Leid wie die Zuschauer bei den Gladiatorenkämpfen oder die, die andere verhöhnen und verlachen. Das sind die Hauptsünden, die hervorgehen aus der Hoffart des Lebens, der Augenlust und der Fleischeslust, aus der einen oder aus zweien oder aus allen dreien zugleich; so wird gesündigt gegen die heilige Drei und die heilige Sieben, gegen den zehnsaitigen Psalter deiner zehn Gebote, o höchster und süßester Gott. Doch wie? Kann man dich beleidigen, den kein Leid trifft, Verbrechen gegen dich begehen, der über jede Schädigung erhaben ist? Aber du bestrafst, was die Menschen wider sich verbrechen, weil sie mit der Sünde gegen dich zugleich auch einen Frevel gegen ihre eigenen Seelen begehen, und ihre Bosheit bekriegt sich selbst, indem sie ihre Natur, welche du gebildet und geordnet, verderben und verkehren oder von unerlaubten Dingen einen zügellosen Gebrauch machen oder von Begier nach Unerlaubtem entbrennen, „nach einem Genuß, der wider die Natur ist“64; oder sie sündigen, indem sie in Gedanken und Worten gegen dich wüten und „wider den Stachel ausschlagen“65; oder sie durchbrechen die Schranken menschlicher Gesellschaftsordnung und haben dann in frechem Trotze ihre Freude an Parteitreiben oder Klassenhaß, wie es ihnen gerade gefällt oder mißfällt. Und dies alles geschieht, wenn man dich verläßt, o Quelle alles Lebens, der du der einzige und wahre Schöpfer und Lenker des Weltalls bist, und dafür in selbstsüchtigem Hochmute seine Liebe auf Teile richtet, was doch grundfalsch ist. Daher kehrt man auch nur in demütiger Frömmigkeit zu dir zurück, und dann reinigst du uns von böser Gewohnheit, schenkst deine Gnade denen, die ihre Sünde reuig bekennen, erhörst die Seufzer der Gefesselten und lösest die Ketten, die wir uns selbst geschmiedet haben, wenn wir nicht mehr die Hörner falscher Freiheit gegen dich erheben aus Gier, mehr zu besitzen, wobei wir aber Gefahr laufen, alles zu verlieren, da wir unser eigen Ich mehr lieben als dich, du