Bekenntnisse. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659813
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und leben? Aber wohin wollt ihr hinaufsteigen, wenn ihr schon in der Höhe seid und „euer Haupt zum Himmel“99 erhoben habt? Steiget herab, auf daß ihr von neuem aufsteiget, aufsteiget zu Gott! Denn ihr seid zu Fall gekommen, da ihr gegen ihn aufsteigen wolltet. Sage ihnen das, auf daß sie weinen „im Tale der Tränen“100, und so reiße sie mit dir zu Gott hin; denn aus seinem Geist redest du dieses zu ihnen, wenn du redest, glühend vom Feuer der Liebe.

      13. Ursprung der Liebe.

      Dies wußte ich damals nicht und liebte nur das Schöne niederer Ordnung, suchte den Abgrund auf und sagte zu meinen Freunden “Lieben wir wohl etwas anderes als das Schöne? Was ist also schön? Und was ist Schönheit? Was lockt uns an, was fesselt uns an die Gegenstände, die wir lieben? Denn wenn sie nicht Anmut und Schönheit besäßen, so würden sie uns nimmermehr zu sich hinziehen”. Und ich sah hin und bemerkte, daß in der Körperwelt das Schöne auf der Harmonie des Ganzen beruhe, das Schickliche aber auf der Harmonie der einzelnen Teile, wie bei dem Verhältnis eines Gliedes zum ganzen Leibe oder eines Schuhes zum Fuße und so weiter. Diese Betrachtung, aus dem Innersten meines Herzens quellend, erfüllte meinen Geist, und ich schrieb Bücher “Über das Schöne und Schickliche”, zwei, glaub’ ich, oder drei; du weißt es, Gott, denn mir ist es entfallen. Denn ich besitze sie nicht mehr, da sie mir auf irgendeine Weise abhanden gekommen sind.

      14. Die Bücher über das Schöne und Schickliche eignet er dem Hierius zu. Grund seiner Liebe zu ihm.

      Was aber hat mich, Herr mein Gott, bestimmt, diese Bücher dem Hierius, einem Redner der Stadt Rom, zu widmen? Ich kannte ihn nicht persönlich, hatte ihn aber liebgewonnen wegen des hohen Ruhmes der Gelehrsamkeit, den er genoß. Auch waren mir einige Worte von ihm bekannt geworden, die mir sehr gefallen hatten. Aber noch mehr gefiel er mir, weil er anderen gefiel und man ihn mit Lobsprüchen überschüttete, voller Bewunderung, daß er, von Geburt ein Syrer, zuerst ein Meister in der griechischen Beredsamkeit, nachher auch ein berühmter Redner in lateinischer Sprache geworden war und in allem, was zum Studium der Philosophie gehört, die umfassendsten Kenntnisse besaß. So wurde der Mann in seiner Abwesenheit gelobt und geliebt. Kommt aber diese Liebe aus dem Munde des Lobredners in das Herz des Zuhörers? Kaum; sondern ein Liebender entzündet einen anderen. Dann nämlich liebt man den Gelobten, wenn man die Überzeugung gewonnen hat, der Lobredner preise ihn aus innerster Überzeugung, das heißt, wenn er ihn aus Liebe lobt.

      So liebte ich damals die Menschen infolge des Urteils der Menschen, nicht infolge deines Urteils, mein Gott, in dem niemand Täuschung erfährt. Aber warum wurde er nicht gelobt etwa wie ein berühmter Wagenlenker, wie ein durch die Gunst des Volkes weithin bekannter Tierkämpfer, sondern ganz anders, viel ernster, so wie ich mir etwa mein eigenes Lob wünschte? Denn ich hätte nicht gelobt und geliebt werden mögen wie Schauspieler, obwohl ich selbst sie lobte und liebte; ja einem solchen Bekanntsein hätte ich lieber völlige Verborgenheit, einer solchen Liebe Haß vorgezogen. Was gibt nun aber in einer und derselben Seele so verschiedenen Ausschlag für die mannigfaltigen Arten von Liebe? Warum liebe ich an einem anderen, was ich an mir selbst verabscheue und verwerfe und deshalb hasse, da wir doch beide Menschen sind? Zwar kann man ein gutes Pferd gern haben, ohne zu wünschen, ein solches zu sein, auch wenn es möglich wäre; von Schauspielern aber, die einer Natur mit uns sind, kann man aber offenbar solches nicht behaupten. So liebe ich also an einem anderen Menschen, was selbst zu sein mir verhaßt ist, obwohl ich doch auch ein Mensch bin? Wahrlich, ein unendlicher Abgrund ist der Mensch; du hast seine Haare, o Herr, gezählt, und sie gehen bei dir nicht verloren: aber leichter fürwahr ist, seine Haare als die Empfindungen und Neigungen seines Herzens zu zählen.

      Jener Redner aber war von der Art, daß ich ihn liebte und zugleich auch wünschte, ihm zu gleichen. Und ich ging irre in meinem Hochmute, ließ mich von jedem Winde umhertreiben, aber ganz unmerklich wurde ich von deiner Hand geleitet. Und woher weiß ich und bekenne dir mit voller Bestimmtheit, daß ich ihn mehr liebte, weil andere ihn lobten, als wegen der Dinge, um derentwillen er gelobt wurde? Hätten dieselben Leute ihn nicht gelobt, sondern getadelt und ebendasselbe von ihm, aber unter Äußerungen des Tadels und der Verachtung erzählt, so hätte ich mich für ihn nicht entzündet und erwärmt; und doch wären die Tatsachen und der Charakter des Mannes genau dieselben geblieben, und geändert hätte sich nur die Auffassung der Erzähler. Siehe, wie unbeständig die Seele ist, die noch nicht gefestigt ist in der Wahrheit! Wie der Wind der Worte weht aus der Brust der Sprecher, so läßt sich eine solche Seele tragen und umstimmen, wenden und drehen; das Licht wird ihr verdunkelt, und die Wahrheit sieht sie nicht. Und doch liegt sie vor uns! Und es schien mir ein erhebender Gedanke, wenn gerade jenem Manne meine Arbeit und meine Studien bekannt würden. Hätte er sie gelobt, so würde ich noch mehr für ihn entbrannt sein; hätte er sie aber mißbilligt, so wäre mein eitles und deiner Beständigkeit ermangelndes Herz tödlich verwundet gewesen. Und doch beschäftigte mein Geist sich gern mit der Abhandlung “Über das Schöne und Schickliche”, worüber ich an ihn geschrieben hatte; ich stellte häufige Betrachtungen darüber an und bewunderte sie, ohne daß jemand außer mir sie mitgelobt hätte.

      15. Im Sinnlichen befangen, kann er das Geistige nicht fassen.

      Aber das Wesentliche bei einer solchen Sache in dem Kunstwerke deiner Schöpfung, Allmächtiger, „der du allein Wunderbares schaffst“101, erkannte ich noch nicht; mein Geist durchforschte die einzelnen körperlichen Formen, und ich erklärte, bestimmte und belegte mit Beispielen aus der Körperwelt das als schön, was für sich selbst, als schicklich aber, was wegen seiner Harmonie mit etwas anderem gefiel. Auch wandte ich mich zur Natur des Geistes; aber meine falsche Ansicht von der Natur des Geistigen ließ mich das Wahre nicht erkennen. Vor meine Augen trat mit Gewalt das Bild der Wahrheit selbst; aber ich lenkte meinen schwankenden Geist vom Unkörperlichen hinweg zu Umrissen, Farben und bestimmten Größen. Und weil ich im Geiste solches nicht sehen konnte, glaubte ich auch, meinen Geist selbst nicht sehen zu können. Und da ich an der Tugend den Frieden liebte, bei der Lasterhaftigkeit aber die Zwietracht haßte, so erschien mir als charakteristisches Merkmal bei jener eine gewisse Einheit, bei dieser ein Zwiespalt. In jener Einheit schienen mir der vernünftige Sinn, die Natur der Wahrheit und des höchsten Gutes zu liegen, in jenem Zwiespalte des unvernünftigen Lebens aber wähnte ich Unglücklicher irgendeine Substanz und Wesenheit eines höchsten Bösen, die nicht nur Substanz, sondern überhaupt Leben und doch nicht von dir sein sollte, mein Gott, du Urheber von allem. Jene Einheit nannte ich Monas, ein geschlechtsloses Geisteswesen, diesen Zwiespalt aber Dyas, welche als Zorn in Gewalttat, als Wollust in schändlichen Verirrungen zutage trete ohne zu wissen, was ich meinte. Denn noch hatte ich nicht erkannt noch gelernt, daß das Böse weder eine Substanz noch auch unser Geist selbst ein höchstes, unveränderliches Gut ist.

      Wie nämlich Gewalttaten entstehen, wenn jener Seelenteil, worin der Antrieb dazu liegt, sündhafte Regungen verspürt und sich unbändig und wüst gebärdet, Schandtaten aber aus der ungeordneten Begier des Herzens, welche die sinnliche Lust vermittelt, so beflecken Irrtümer und falsche Meinungen das Leben, wenn der vernünftige Seelenteil selbst verderbt ist. So war es damals der meine: ich wußte nicht, daß ein anderes Licht ihn erleuchten müsse, damit er zur Wahrheit gelange, da er selbst nicht das Wesen der Wahrheit ist; „denn du erleuchtest meine Leuchte, Herr, mein Gott, du erleuchtest meine Finsternis“102. „Von deiner Fülle haben wir alle empfangen“103. „Du bist ja das wahre Licht, das jeglichen Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt“104, denn „in dir ist kein Wechsel und kein Schatten von Veränderlichkeit“105.

      Ich aber gedachte mich zu dir zu erheben, doch wurde ich von dir zurückgestoßen, so daß ich den Tod kostete, da „du den Stolzen widerstehest“106. Was aber zeugt von größerem Stolze als die Behauptung, die ich in unglaublicher Torheit aufstellte, ich sei dem Wesen nach das, was du bist? Denn obwohl ich veränderlich war - dessen war ich mir bewußt, weil ich ja deswegen nach Weisheit strebte, um aus dem Zustand der Unvollkommenheit in den der Vollkommenheit überzutreten -, so wollte ich doch lieber auch dich veränderlich wähnen als nicht sein, was du bist. Dabei stießest du mich von dir und widerstandest meinem stolzen Dünkel; ich träumte von körperlichen Gestalten und klagte, selbst Fleisch, das