Absolvo te!. Clara Viebig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clara Viebig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711466735
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aus Gnesen. Beide Ärzte versicherten aber, dass keine Gefahr vorhanden, dass die junge Frau nur sehr schwach und nervös sei. Das hatte Herr Tiralla nicht verstanden. —

      Frau Tiralla stand jetzt auf von ihrem Gebet. Nun war es höchste Zeit, ihren Mann anzutreiben, dass er sich auf die Fahrt machte. Womöglich lag der noch im Bette! In einer gewissen zornigen Hast kleidete sie sich an. Heute frisierte sie ihr volles Haar nicht so sorgfältig wie sonst, ihre Hände zitterten, sie hatte Eile. Ihr lauschendes Ohr fing kein Räderrollen auf. Noch wurde der Wagen nicht aus dem Schuppen gezogen, bei Gott, er schlief wirklich noch!

      Den Rock hastig überwerfend, die Bluse nicht zuknöpfend, lief sie auf den Ziegelflur, hinüber in das Zimmer, in das sie als zitternde Braut eingezogen war, in dem das kleine Mädchen geboren worden war. Bei Gott, da lag er noch in dem breiten Bett und schnarchte!

      „Steh auf!“ Sie packte ihn bei den Schultern und rüttelte ihn.

      Seine grauen Haare sträubten sich wie Borsten über der Stirn. Sie fand ihn abscheulich, wie sie ihn so betrachtete. Und wie roch es denn hier im Zimmer? Nach Trinken! All der hässliche Dunst ging von ihm aus!

      Kein Mitleid machte ihren Blick weich. Kerzengerade stand sie an seinem Bett, funkelnden Auges mass sie ihn vom Scheitel bis zur Sohle — da würde er nun bald wieder liegen!

      Ein jauchzender Schrei wollte sich ihrer Brust entringen. Sie biss sich auf die Lippen — still, still! Was sollte die Magd, die neugierige denken, wenn sie also frohlockte?! Aber sie packte ihn wieder mit erneuter Kraft und rüttelte ihn so stark, dass er auffuhr.

      Mit noch gänzlich blöden Augen starrte Herr Tiralla drein: wer war da? Warum liess man ihm denn nicht seine Ruh? Er wollte noch schlafen.

      „Steh auf,“ schrie sie ihn an, „du musst fahren! Es ist Zeit! Allerhöchste Zeit!“

      „Wer muss fahren? Ich nicht!“ lallte er und fiel schlaftrunken zurück aufs Kissen.

      Er war so schwer, dass sie ihn nicht heben konnte, ihr Rütteln half ihr nichts, vergebens war ihr Schreien ‚Steh auf‘. Da goss sie ihm zornig eiskaltes Wasser ins Gesicht. Das half.

      Plötzlich ermuntert öffnete er die Augen. „Ah, Täubchen, kommst du? Zärtlich streckte er die Arme aus.

      Sie schlug auf die nach ihr langenden Finger. „Lass die Torheiten,“ sagte sie kalt. Aber dann wurde ihr Ton wärmer: „Du hast mir versprochen, nach Gnesen zu fahren — denke daran, es ist Zeit!“

      „Nach Gnesen — Gnesen?! werde ich nicht fahren — was soll ich da?!“ Er hatte nicht eine Ahnung mehr. Was er gestern im Rausche versprochen hatte, war heute vergessen.

      Verzweifelt sah sie ein, dass sie heute von neuem beginnen müsse. Und sie setzte sich auf sein Bett. Und sie schlang, die Zähne zusammenbeissend, die Arme um ihn, und sie quälte ihn: „Du hast es mir versprochen, du wolltest doch nach der Apotheke fahren — die Ratten — wegen der Ratten — denke doch dran — die Ratten!“

      „Was gehen mich Ratten an?!“ Er lachte dröhnend. „Solange nicht Ratten kommen in mein Bett, stören mich Ratten nicht!“ Er küsste sie schmatzend.

      Mit geschlossenen Augen litt sie’s, sie war totenblass. Plötzlich entwand sie sich seinen Armen; die schwarzen Augen fest auf ihn gerichtet, sah sie ihn starr an. „Wenn du jetzt nicht nach Gnesen fährst,“ sprach sie langsam — ganz leise, aber man verstand jede Silbe doch deutlich — „werde ich in den Przykop laufen. Ich werde mich ertränken in dem tiefen Tümpel, der dort unter den Fichten steht. Ich kann nicht leben so länger mehr. Gehst du nicht, dann gehe ich!“

      Er war verdutzt: was sagte sie denn das mit so seltsamer Betonung, was meinte sie damit? Unsinn! Aber dann entschloss er sich doch. Schimpfend und fluchend erhob er sich: psia krew, was für ein Unsinn war es doch, der paar Ratten wegen Gift ins Haus zu schaffen! Die schlug man doch leicht mit dem Knüttel tot! Er stellte ihr das vor: eine ganze Nacht wollte er gern unten im Keller auf die Rattenjagd gehen.

      Aber sie beharrte bei ihrer Forderung. „Du hast es mir versprochen! Geschworen hast du es mir! Nie werde ich dir wieder glauben, wenn du so meineidig wirst. Nie werde ich dir wieder erlauben, nur meinen Finger zu berühren, wenn du so gering ein Versprechen achtest!“

      „Nun wohl, ja, ja, ich gehe ja schon,“ sagte er endlich. Was waren denn da noch so viele Worte zu machen? Missmutig und übelgelaunt fuhr er in die Stiefel.

      Sie half ihm; diensteifrig hielt sie ihm den Rock hin.

      Aber als er schon seine Arme in die Ärmel gesteckt hatte, zog er sie noch einmal zurück: „Ich werde doch nicht fahren. Wozu? Wir werden Fallen stellen, ja ja! Rufe den Jendrek, der mag gehen, Fallen kaufen. Zwei, drei, so viele not tun. Gleich mag er sie holen aus Gradewitz. Rufe ihn!“

      Sie rührte sich nicht: sie war so erschrocken, dass sie zitterte: sollte er ihr so noch in letzter Stunde entschlüpfen?

      Er stampfte mit dem Fusse auf: ging sie denn noch nicht, musste er selber den Knecht rufen? Unwirsch trampelte er zur Tür.

      Da stellte sie sich ihm in den Weg, da fiel sie ihm an die Brust, halb bewusstlos, gänzlich erschöpft. „Ich — ich werde — wenn du mir dieses zu Gefallen tust — werde ich — ich — dir auch zu Gefallen sein!“

      Herr Tiralla fuhr nach Gnesen. Frau Tiralla hatte selber mitgeholfen, das Pferd anzuspannen. Sie hatte es dabei zärtlich geliebkost. Dem Knecht wurde heiss und kalt und begehrlich bei den Schmeichelworten, die das schöne Weibchen an den dummen Gaul verschwendete.

      „Laufe, mein Pferdchen, laufe,“ sprach sie schmeichelnd dem Tiere ins Ohr. Und dann stützte sie sich schwach gegen die Stallwand; noch immer konnte sie kaum feststehen, noch immer bebten ihr die Kniee, noch immer flatterte ihr Herz wie ein getäuschter Vogel, dem man das Türchen zur Freiheit geöffnet und im Moment, da er ausfliegen will, doch wieder verschlossen hat. Ihr war erst erträglich zumut geworden, als Herr Tiralla, gestiefelt und gespornt, aus der Haustür getreten war. Und während der Knecht das Pferd noch beim Kopf hielt, dass es nicht anruckte, bis Herr Tiralla aufgestiegen war, trat sie dicht an den Wagen heran und reichte ihm die Hand hinauf: „Fahre wohl!“ Es war etwas von wirklicher Anteilnahme in ihrem Ton, und ihre Augen, die so gleichgültig blicken konnten, sahen ihn an wie mit einer Verheissung.

      Schnalzend trieb er das Pferdchen an: „Huj, het!“ Dass er nur bald wieder daheim war! Ermunternd knallte er mit der langen Peitsche. Wenn ihr Herz nun mal daran hing, konnte er ihr ja auch gern zu Gefallen fahren, sie war doch ein süsses Weibchen, seine Zosia!

      Frau Tiralla hatte ihrem Mann lange nachgeschaut; zum ersten Mal in fünfzehn Jahren fühlte sie etwas wie Zuneigung für ihn, wie Zuneigung und Dankbarkeit. Aufatmend ging sie dann ins Haus zurück.

      Da war es ganz still, so leer, als hätte Herr Tiralla mit seiner lauten Stimme und seiner Breite nie hier gewohnt. Die Magd holte vom Feld aus der Miete Kartoffeln herein, die Knechte waren in der Scheune, Rózyczka in der Schule. Sie war ganz allein.

      „Ah!“ Mit einem tiefen Seufzer hob die Frau die Arme und lief durch die Stube, als durchflattre sie den Raum. Wie wohl war ihr, ach, wie Wohl! So wohl war ihr seit Ewigkeiten nicht gewesen. Sie ging durch die grosse Stube und musterte sie. Hier, wo sein Bett stand, hier stellte sie ein Sofa hin — dies war ja der grösste und schönste Raum im Haus, sie würde eine Besuchsstube daraus machen. Oder wenn Mikolai seine drei Jahre herum hatte und vom Militär heimkam, mochte der sie haben; sie beanspruchte die Stube nicht, sie war mit ihrer Bettkammer ganz zufrieden!

      Träumerisch setzte sie sich auf einen Stuhl am Fenster und blickte hinaus in die schneeverhangene Weite. Vom Dorf, das sie sonst durch die offenstehende Hoftür mit seinen tief eingesunkenen Hütten unter den moosbehangenen Strohdächern und den neuaufgeführten Backsteinmauern des stattlichen Kruges wie in einem Rahmen sehen konnte, war heute nichts zu erspähen; alles war zugeweht von treibenden Flocken. Ei, war das ein Gestöber, viel Schnee, dichter Schnee! Wenn das so anhielt, würde sich Herrn Tirallas Fahrt verzögern, so rasch konnte er dann nicht wieder nach Hause kehren. Horch, klang da nicht ein Glöckchen schon, das Glöckchen des Pferdchens, das sie selbst