Frau Kluge war eitel auf diese Bevorzugung ihrer Tochter, aber über deren Seelenheil vergass sie doch das irdische Teil nicht. Sie hatte genug der Entbehrungen und Entsagungen in ihrem armen Leben auf sich nehmen müssen, um ihrer Tochter nicht auch schon ein Geniessen auf Erden zu wünschen. Es dünkte ihr wie ein Fingerzeig der Heiligen, dass Frau Tiralla, ehe sie noch das neugeschneiderte Kleid angezogen hatte, zu früh niederkam und starb. Nun war Herr Tiralla wieder ein Freier, und als er selber bei der Schneiderin erschien, um ihr den noch ausstehenden Schneiderlohn für das nicht mehr getragene Kleid der Seligen zu zahlen, merkte die gescheite Frau den wohlgefälligen Blick, den der Witwer auf die junge Schönheit warf. Frau Kluge kannte die Schönheit ihrer Tochter und wusste sie zu bewerten. Als Herr Tiralla sagte: „Ihre Tochter ist verdammt hübsch,“ sagte sie: „Ach, die ist ja noch so jung!“ Und als Herr Tiralla wiederum vorsprach: „Psia krew, ist das traurig auf so einem öden Hofe allein zu sitzen,“ sprach die Gescheite: „Herr Tiralla muss wieder heiraten. Es gibt Witwen und ältere Mädchen genug, die den Herrn Tiralla gern nehmen würden!“ Das reizte ihn. Er wollte nicht Witwen noch ältere Mädchen, der Jüngsten begehrte er.
Klagend und weinend war Sophia in die Propstei geeilt, als ihre Mutter zu ihr gesprochen hatte: ‚Herr Tiralla will dich heiraten, freue dich!‘ Nein, sie wollte ihn nicht, nein, sie wollte überhaupt nicht heiraten!
Jetzt noch, nach fünfzehn Jahren noch, wenn Frau Tiralla nachts nicht schlafen konnte, übermannte sie die Bitterkeit, wenn sie daran dachte, wie man an ihr gehandelt hatte. Beschworen hatte die Mutter sie, unter Tränen gebeten: ‚Wir sind dann aus aller Not‘ — und als sie noch immer verneinend den Kopf geschüttelt, hatte sie Ohrfeigen bekommen, rechts und links, wohin es traf, und den strengen Befehl: ‚Du wirst Herrn Tiralla heiraten.‘ Und ihr Freund, der Herr Propst? Ah! Frau Zosia sah sich wieder in der stillen Stube, in der sie so manches Mal mit heissen Wangen, mit verzückten Augen den Legenden der Heiligen gelauscht hatte, auf den Knieen liegen. Sie fühlte wieder den Saum der schwarzen Soutane in ihren Händen, den sie mit ihren Tränen benetzt hatte. Sie hatte geweint, sich gesträubt: ‚Nein, ich will nicht, Hochwürden, ich kann nicht!‘ Hatte ihr der Herr Propst denn nicht immer gesagt, sie förmlich beschworen, eine Jungfrau zu bleiben, ehelos zu bleiben, sich so einen Stuhl im Himmel zu sichern?! Seine Hände hatte sie geküsst: ‚Helfen Sie mir, raten Sie mir!‘ — da — sie wusste selber nicht, wie es über sie gekommen war — da war sie plötzlich aufgefahren von ihren Knieen, verwirrt und zitternd, war zur Tür gestürzt, ihr Antlitz verbergend in einem Aufruhr ungeahnter Gefühle, die im jähen Ansturm sie fast betäubten. Auf einmal war sie kein Kind mehr; sie war eine, die bebend, glühend, fiebernd vor Verlangen sich ihrer selbst nun bewusst geworden war. Wie selig war es doch, eine — seine Erwählte zu sein! Das Leben lang in dieser stillen Stube bei den Heiligen zu sitzen! In wirren Träumen sah die junge Sophia die Gestalt ihres himmlischen Freundes sich mit der des irdischen mischen — ei, wie fein war er, und so schön! Seine Hände waren wie Elfenbein, seine Wangen wie Samt! Und sein Kuss — — —! Statt seiner war Herr Tiralla gekommen. —
Frau Tiralla hatte in ihrer Bettkammer einen Betschemel stehen unter dem Bild des Herrn Jesus Christus, der sein flammendes Herz vor sich auf der Hand trägt. Der Propst ihrer Jugend war längst aus Starawieś fort — er hatte sich aus der Gegend versetzen lassen — aber sie betete noch immer viel. Als sie heute morgen, nachdem Herr Tiralla sich gestern in der Freude über ihre langentbehrte Zärtlichkeit einen Rausch angetrunken hatte, aus dem Bette stieg, galt ihr erster Blick dem Bilde da drüben. Sie bekreuzte sich, und dann glitt sie auf blossen Füssen zum Schemel hin, kniete nieder und betete lange.
Herr Tiralla hatte ihr’s fest zugesagt, als er gestern in ihrem Arme lag, dass er heute würde den Schein ausfüllen und anspannen lassen und nach Gnesen fahren und selber das Gift holen für die Ratten. Dass sie so ruhig sein konnte! Sie wunderte sich selber darüber. Wenn ihr Herz jetzt klopfte, so klopfte es nicht aus Furcht, nur aus Erwartung wie vor etwas Gutem, Freudigem, Langersehntem. Fünfzehn Jahre — Jesus Maria, fünfzehn lange Jahre! Ihre Lippen, die, während ihre Gedanken schon ihren Mann auf dem Wege nach Gnesen sahen, ihn in die Apotheke begleiteten, mit ihm wieder herauskamen, sich fortgesetzt leise bewegt und Gebetesworte gemurmelt hatten, pressten sich jetzt fest aufeinander. So war ihr Mund ein unerbittlicher. Sie vergass, dass sie betete. Wilde Verwünschungen wälzten sich in ihrem Innern empor, wilde Anklagen. Ihre Mutter, die sie verkauft hatte — ja, verkauft wie ein junges Kalb, warum es nicht beim richtigen Namen nennen? — war tot. Lange hatte Frau Kluge sich nicht daran erfreuen können, dass ihr das Häuschen, in dem sie sonst zur Miete gewohnt, selber gehört hatte, dass sie nun nicht mehr für die ewig nörgelnden Besitzerfrauen Kleider zu machen brauchte um jeden Preis. Lange hatte sie das nicht genossen, und das war ihr recht geschehen!
In den Augen der Tochter flammte es auf wie Befriedigung: alles, was die Mutter sich von Herrn Tiralla ausbedungen hatte als Entgelt für die Tochter, hatte sie hierlassen müssen. Nun moderte sie längst. Aber der andere Schuldige — der Käufer? Ei, Herr Tiralla war dick und fett, der sah noch lange nicht so aus, als ob er bald daliegen würde, wo die Würmer nagen!
„Jesus Christus! Heilige Mutter!“ Die Betende hob die Hände höher. Sie wusste nicht recht, wie sie in Worte kleiden sollte, um was sie einzig zu bitten hatte — es klang doch zu scheusslich, wenn sie nun beten würde: ‚Lass ihn sterben, er muss sterben!‘ Das wäre ja so, als würde sie sich vor die Mutter Gottes hinstellen, ganz bloss, und vor Jesus Christus dazu. Nein, das ging nicht an!
Ratlos liess sie die Hände sinken: wie denn nun?! Aber dann fiel ihr ein: was brauchte sie den Heiligen denn alles zu sagen?! Warum die Heiligen selber bemühen?! Wenn sie sich nur deren Beistand zusicherte, indem sie betete: ‚Heilige Maria, reine Jungfrau, o, bewirke es durch deine göttliche Kraft und durch die aller Heiligen, dass er auch wirklich fahre! Dass er es endlich hole, das Gift, das Rattengift!‘ Und dann wandte sie sich auch an Mariä Sohn: „Jesus Christus auf dem höchsten Thron neben deiner Hochheiligen Mutter Maria, lass ihn nicht umkehren auf seinem Wege! Dass er sich nur nicht eines anderen besinne auf der weiten Fahrt! Ich bitte euch, ich flehe euch an!“
Sie rang die Hände und weinte heisse Tränen; sie schlug an ihre Brust, so heftig, dass sie sich weh tat. All das, was sie gelitten hatte unter Herrn Tiralla, und was sie immer wieder leiden würde, er liess sie ja nicht und — nein, sie mochte ihn nun einmal nicht, ihr ekelte vor seinen begehrlichen Händen, ach, hätte sie doch in ein Kloster gehen können, wie wohl wäre ihr da! — all das stürmte jetzt mit Entsetzen wieder auf sie ein. So entsetzt war sie gewesen an ihrem Hochzeitsabend, als der freudenerregte, halbtrunkene Mann sie umfing, so entsetzt, als sie sich wider Willen Mutter fühlte, so entsetzt, als ihr die Madra das kleine lebendige Mädchen an die Brust legte. Sie hatte sich zusammengenommen, es gelitten, obgleich es sie wie ein Strom eiskalten Wassers durchrann, als sie das suchende Mündchen an ihrer Brust fühlte. Aber als dann Herr Tiralla erschien, sich vor das Bett hinstellte, in dem sie so schwach, so hinfällig, so preisgegeben lag, und vergnügt schmunzelte: ‚Psia krew, das haben wir gut gemacht!‘ — da hatte sie sich nicht mehr bezwingen können. Einen Schrei hatte sie ausgestossen, einen schwachen, klagenden und doch durchdringenden Schrei, und sich so aufgebäumt mit letzter Kraft, dass das kleine Mädchen an ihrer Brust zu wimmern anfing, zu winseln wie ein junges Kätzchen. Ganz erschrocken war die Madra herzugeeilt und hatte ein Kreuz geschlagen: ‚Alle guten Geister!‘ Sie mochte wohl denken, die Krasnoludki, die bösen Zwerge, wollten das Neugeborene rauben. Hastig hatte sie dem Kindchen ihren Rosenkranz um den Hals geschlungen und das Bett der Wöchnerin mit geweihtem Wasser besprengt. Die junge Mutter aber war in Tränen ausgebrochen,