Absolvo te!. Clara Viebig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clara Viebig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711466735
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      Clara Viebig

      Absolvo te!

      Roman

      Saga

      I

      „Die Ratten, hu, die Ratten!“ schrie die schöne Frau Tiralla, als sie mit der Magd im Keller war. Sie wollten von dem eingemachten Kraut aus dem Fass in der Ecke zum Kochen heraufholen, die Magd hielt das Lämpchen, Frau Tiralla trug die irdene Schüssel. Aber nun liess sie diese mit einem gellenden Aufkreischen fallen und hob ihre Röcke so hoch, dass man ihre ganzen zierlichen Beine sah, die Füsse in den blanken Lederpantöffelchen, die buntgeringelten Strümpfe und die weissen Hosen mit der um die Kniee fallenden breiten Stickerei.

      „Wo ist Ratte?!“ Die Magd lachte, dass man alle ihre breiten weissen Zähne sah. „Seh ich nicht Ratte. Hat sich nicht Ratte hier, Pani!“ Und dumm-verschmitzt blinzelte sie ihre Herrin von der Seite an. „Hat Pani wohl geträumt, is sich nichts Lebendiges in Keller, nur Pani und die Marianna. Kss, kss! Horch!“ Sie neigte für einen Augenblick lauschend den schwarzhaarigen Kopf, schüttelte ihn dann und lachte wieder. „Würden Ratten sonst trappeln — hört man nichts!“

      Das Lämpchen hebend, leuchtete sie rundum. Huschende Schatten fielen auf die schwarzen, von Feuchtigkeit glitzernden Wände, zeigten die Sprünge und abgebröckelten Stellen im rohgefügten Mauerwerk und die tiefen Winkel, in denen dicke Spinnwebnester klebten. Es war der alte Keller eines alten Hauses, in dem die beiden Frauen standen, und ein ziemlich verwahrloster dazu. Er war nicht aufgeräumt. Wo das Sauerkrautfass stand, lagerten auch Torf und Kohlen, unordentlich durcheinander geworfen; zwischen den am Boden liegenden, noch vollen Weinflaschen trieben sich ebenso viele leere umher. Die Lattenregale, die einst bis zur halben Kellerhöhe an den Wänden hinauf gereicht hatten, waren zusammengebrochen zu einem Haufen faulenden Holzes; allerlei Gerümpel sielte sich zwischen den Kartoffeln, und zerbrochene Hacken, Besenstiele, Topfscherben ragten aus dem Sand hervor, in den man, um es so zu überwintern, hier und da nachlässig ein Bündel Suppengrün eingesteckt hatte. Ein fauliger Geruch erfüllte den nie gelüfteten Raum, der kein Fenster nach oben hatte, nur eine winzige, immer verschlossene Luke. Das Lämpchen brannte trübe, wie erstickt in der Moderluft; die beiden Gestalten, die derbe der Magd, die zierlichere der Herrin, waren von einem Flimmer dunstigen Nebels umzittert.

      „Sind doch Ratten hier — siehst du — hörst du — hu!“ Wiederum laut aufkreischend und die funkelnden Augen in dem bleichen Gesicht weit aufreissend wie vor Entsetzen, packte Frau Tiralla den Arm ihrer Magd. „Da lief eine! Hu! Abscheuliches Tier!“ Sie schüttelte sich und sprang in die Höhe, als huschte ihr schon so ein langgeschwänztes Ungetüm unter die Röcke an ihren warmen Leib.

      „Heilige Mutter!“ Die Magd, wie vom übertriebenen Entsetzen ihrer Herrin angesteckt, kreischte jetzt auch auf und liess das Lämpchen fallen, wie die andere vorher die Schüssel. Es klirrte in Scherben und erlosch; sie standen beide im Stockfinstern.

      Die Herrin schrie nervös auf: „Frauenzimmer, dummes!“ und hob die Hand wie zum Schlage.

      Die Magd, als sähe sie trotz der Dunkelheit die erhobene Hand, duckte sich und witschte zur Seite; bald hörte man ihr unterdrücktes Kichern in einem entfernten Winkel des Kellers. „Wenn Pani mich schlagen will — hihi — ich bleibe hier, hihi!“

      „Dummheit — schlagen! Denk ich nicht daran,“ versicherte die Frau und versuchte einzulenken. „Komm nur her! Gib deine Hand!“

      „O weh, Pani wird mich doch schlagen, nein, nein!“

      „So gib deine Hand doch — sofort! Ich tue dir ja nichts, dummes Ding! He, Marianna, wo bist du?“

      Die schöne Frau Tiralla schien jetzt von einer wirklichen Angst erfasst zu sein, von einer weit aufrichtigeren als vorhin. Ihre Stimme zitterte bang, ihre Brust hob und senkte sich rasch, sie wurde ganz kalt, und dann fühlte sie selber, wie ihr Kopf wieder brannte. Hu, war das dunkel hier — wie in der Grabesnacht! Es rieselte ihr eisig über den Rücken. Ah, war das schrecklich hier im Schwarzen, so ganz allein zu sein mit den Gedanken!

      „Marianna,“ schrie sie hell auf, dass es von der Kellerwölbung widerhallte, „he, Marianna, wo bist du denn?!“

      Keine Antwort.

      „Marianna, ich werde dir auch meine seidene Schürze schenken, die dir so gefällt. Marianna, wo bist du nur?“

      „Bin ich ja hier, bin ich ja nur zwei Schritt zur Seite getreten. Hier, Pani, hier!“ Die warme Hand der Magd umfasste die feuchtkalten, ganz geschwitzten Finger der Herrin. „Dass die Pani nicht anstosse,“ flüsterte sie geschmeidig.

      So tappten sie beide Hand in Hand im Stockdunklen zur Kellertreppe.

      „Gelobt sei Jesus Christus und seine Heilige Mutter Maria!“ lispelte Frau Tiralla, als sie die erste Stufe der schlüpfrigen Steintreppe unter ihren Füssen fühlte. Noch fünfzehn Stufen steil hinan, Gott sei Dank, dann war man oben! Dann hatte man wieder Licht. Und unten im Finstern blieben die finsteren Gedanken zurück! Jetzt, da sie bald oben war, fühlte sie kein Grauen mehr, kaum konnte sie sich eines Lächelns erwehren: da hatte sie aber der Marianna einmal ordentlich bange gemacht, nun glaubte die fest an Ratten. Darum wollte sie auch wegen der zerschlagenen Lampe nicht mit der Marianna zürnen. Jetzt hiess es, nur noch recht, recht viel von den Ratten reden und über sie klagen, damit bald alle sagten: ‚in Starydwór, in Anton Tirallas Haus, sind so viele Ratten, dass sie ihm über Bänke und Tische tanzen, dass sie ihm auf der Tenne den Weizen unterm Dreschflegel wegfressen, dass sie der Frau ihr schönes Kleid, das seidene, blaue, mit dem Spitzenbesatz, angefressen haben im Kleiderschrank.‘ Das würde gut sein — o ja, sehr gut!

      Mit einem tiefen, erleichterten Aufseufzen presste Frau Tiralla die Hand des Mädchens: „Siehst du nun, du Ungläubige, dass da Ratten sind — oh, so viele!“

      „Wenn Pani sagt: sind Ratten da, so sind Ratten da,“ sprach die Magd unterwürfig.

      Frau Tiralla sah nicht das Lächeln, das dabei den breiten Mund unter dem Stumpfnäschen noch breiter zog, sah auch nicht den heimlichen, schlauen Strahl in den schmalen, tiefliegenden Augen aufblitzen.

      Aha — die Magd lachte in sich hinein — hielt die Pani sie denn für so dumm?! Es sollten durchaus Ratten hier sein. Die Pani wünschte es, dass Ratten hier waren, die Pani wollte es glauben machen, dass Ratten hier waren — mochten Dümmere das glauben, sie, die Marianna Śroka, war viel zu schlau, ihr machte man nichts vor! Dabei hatte die Herrin wohl einen Grund, denn Ratten waren nicht da!

      Aber der Herrin zum Munde redend und wie heimlich schaudernd, sprach sie, als sie oben ans Tageslicht traten: „Pani ist blass vor Schrecken. Psia krew, die abscheulichen Tiere! Sie werden uns noch fressen die Haare von Kopf!“

      Frau Tiralla nickte. Und dann sagte sie: „Du kannst nachher zu mir in die Stube kommen, dass ich dir die Schürze gebe, die ich dir versprochen habe!“

      „Und die Spitze,“ begehrte die Magd, „die Spitze, die mir die Pani neulich gezeigt hat. Ich werde sie an meine Schürze setzen!“

      „Meine Spitze — an deine Schürze?!“ Frau Tirallas bleiches Gesicht wurde zornrot. „Bist du verrückt?“

      „Ah, nur ein Endchen, ist sich ja nur kurzes Endchen! Was will die Frau mit kurzes Endchen anfangen, ist sich nicht Mühe wert aufzuheben!“ Und dann lachte die Magd ganz dreist laut heraus: „Werd ich dann sagen, hat mir Pani geschenkt, weil Ratten sonst doch auffressen. Ratten sind so viele — Ratten fressen alles hier!“

      Es durchzuckte Frau Tiralla: die war ja so frech! Was ahnte die — was wusste die?!

      Für ein paar Augenblicke sahen sich beide Frauen starr an, ohne ein Wort; es war, als wollten sie beide sich stumm bis auf den Grund der Seele erforschen. Dann lächelten sie beide zu gleicher Zeit, wie um sich gegenseitig zu beruhigen.

      ‚Die Pani kann sich ganz auf mich verlassen,‘ sagte das Lächeln der Magd. ‚Ich kann dumm sein, ich höre nichts, sehe nichts, weiss nichts, ganz wie die Pani will.‘

      Und das Lächeln der Herrin sagte: ‚Die ist ja so dumm — nur keine Angst! Die merk nichts, die glaubt, was man ihr sagt; und merkt sie auch ’was, mit einer Schürze, mit einem Endchen Band, mit