Frau Sophia Tiralla stand noch immer und weinte. Als lägen alle Leiden der Welt auf ihr, so schlaff liess sie die Schultern nach vorn hängen, so tief neigte sie den Kopf. Ihr Mann hatte seine vergeblichen Annäherungsversuche aufgegeben, er stand da wie begossen und liess in einem verwunderten, ratlosen Staunen seine fahlblauen, verschlafenen Augen von der Frau zu der Magd wandern und wieder von der Magd zur Frau.
„Wenn ich nur wüsste, Zoschchen,“ sagte er endlich kleinlaut — „bei Gott, ich habe dir doch nichts in den Weg gelegt! Was ist dir wohl für eine Laus über die Leber gelaufen?!“
Die Magd prustete laut heraus. Das kam ihr so unendlich komisch vor, sie konnte sich gar nicht fassen vor Vergnügen: eine Laus, haha, eine Laus! Sie stopfte sich die Faust in den Mund und biss darauf, um ihr Lachen zu unterdrücken.
Ein zorniger Blick der Herrin traf sie. „Was unterstehst du dich? An die Arbeit! Dalej, dalej!“
Die Magd erschrak. Ei, guckte die Herrin böse, wie kalter Stahl trat der Blick! „Auf den Hund den bösen Blick!“ murmelte Marianna heimlich und schützte ihr Gesicht mit dem Ärmel. Und dann dachte sie: au weh, nun gibt sie mir die Schürze nicht, die seidene Schürze! Es war am Ende doch besser, sich mit der Herrin zu verhalten, die war doch diejenige, die allein alles hier zu sagen hatte. Und so lispelte sie denn entschuldigend: „Muss Pani verzeihen, war so drollig, dass Gospodarz, grosser, dicker Gospodarz, sich vergleicht mit klein-winziger Laus! Konnt ich nicht helfen, musst ich lachen!“ Und sie lachte ein spitzbübisches Lachen, in das diesmal Frau Zosia mit einstimmte. Es war etwas Erbarmungsloses in dem Lachen der beiden Frauen.
Herr Tiralla hörte das nicht heraus; er war froh, dass seine Zosia wieder besserer Laune war. Als sei nichts vorgefallen, nahm er sie jetzt bei der Hand und zog sie in die Stube.
Und sie liess sich ziehen. Wenn er denn nicht merkte, dass sie ihn nicht mochte, trotz allem und allem nicht, es sogar nicht merkte, wenn sie es ihm ins Gesicht schrie, so sollte er’s denn fühlen. Er wollte es ja nicht anders! Ein grausames Lächeln hob für einen Moment ihre kurze Oberlippe, und doch schossen ihr gleich wieder die Tränen in die Augen. Ha, wie sie ihn hasste!
Als sie nun drinnen in der Stube bei ihm sass — er hatte sie auf seine Kniee ziehen wollen, aber sie war ihm geschickt entwichen und sass nun eingeklemmt zwischen Tisch und Wand, dass er nicht so bequem an sie konnte — jagten Gedanken mit fürchterlicher Schnelligkeit durch ihren Kopf. Gedanken, die sie schon oft ausgedacht hatte, und die doch immer von neuem ihr Herz erzittern machten. Ganz stumm sass sie da.
Er verlangte auch weiter keine Unterhaltung. Wenn sie nur da war, wenn er nur das Gefühl hatte: so, nun brauchte er nur den Arm auszustrecken, sie mit seiner starken Hand zu erfassen, zu sich heranzuziehen, sie zu tätscheln, wenn sie auch nicht wollte — am Ende war er doch stärker. Herr Tiralla hatte sich auf die Ofenbank geworfen, der Länge nach; kaum brachte er seine massigen Glieder auf der Bank unter. Sie ragten in Länge und Breite ein Stück über. Er seufzte: da war er nun schon heute morgen über seine Äcker gestampft und hatte gesehen, dass die Wintersaat gut stand, hatte auch gehört, dass die Dreschflegel in der Scheune fleissig im Takt klappten, hatte eine ganze Weile im Stall den wiederkäuenden Kühen zugeschaut und den zwei stattlichen Rossen einen liebkosenden Klaps mit der flachen Hand gegeben — ei, das war fürwahr ein Tagewerk gewesen! Nun hatte er auch die volle Berechtigung, sich ein wenig auszuruhen. Zudem war Schnee in der Luft, eine grosse, dicke, graue Stille draussen, da lag sich’s in der warmen Stube so behaglich, bis der Barschtsch und das Kraut und die Wurst kamen, und nach dem Mittagessen lag sich’s behaglich weiter, bis es wieder ’was zu essen gab oder bis es an der Zeit war, in das Dorf hinein in den Krug zu gehen. Dort traf er dann die Honoratioren, zuweilen sogar den Herrn Propst; der verschmähte es auch nicht, ab und zu mit ihnen ein Glas zu leeren und die Neuigkeiten zu besprechen, wenn er es auch nicht haben mochte, dass man nachher von seiner Anwesenheit erzählte. Ein ganz umgänglicher Mann, der Propst, und lange nicht so streng wie die Zosia! Herr Tiralla fühlte sich gut Freund mit ihm. Der würde ihm nicht Gottlosigkeit vorwerfen! Ei, die Zosia übertrieb es wirklich! Ging er denn nicht jeden Sonntag ins Hochamt und jeden Feiertag auch? Die Frühmesse konnte man wirklich nicht noch von ihm verlangen; musste er denn nicht ohnehin Winter und Sommer allzufrüh aus dem Bette? Und hatte er nicht seinen Heiligen in der Stube hängen, und war er nicht allzeit willfährig, zu geben, was die Kirche verlangte? Man braucht darum doch kein Duckmäuser zu sein; und wenn man eine hübsche Frau besitzt, will man doch auch etwas von ihr haben. Deswegen würde es ihr schwer werden, ihn beim Propst anzuschwärzen; der wusste doch auch recht gut, was einem gesunden Manne zukommt!
Herr Tiralla dehnte sich mächtig, und dann streckte er die Arme aus: „Komm ’mal her, mein Seelchen!“
„Was willst du?“
Sein Unternehmungsmut schwand sogleich, als er diesen eisigen Ton hörte. „Warum sprichst du nicht freundlicher zu mir?“ sagte er kleinlaut. „Ich will ja nichts von dir. Ich — ich möchte dich nur fragen, ob du dir ein neues Kleid wünschest zum Stefanstag? Oder wie wäre es mit einem Paar Ohrringe? Oder hättest du Lust auf einen neuen Pelz, wenn wir werden nach Posen fahren zum Gesindemarkt?“
„Ich brauche nichts,“ antwortete sie in gleich kaltem Ton.
„Denk nur darüber, es wird dir schon noch etwas einfallen,“ ermunterte er. „Sage nur! Für dich wird mir nichts zu teuer sein. Komm, kleines Frauchen, komm doch her!“ Wieder streckte er die Arme aus.
Aber sie rührte sich nicht.
„Willst du kein neues Kleid? Ich sah wunderschöne Stoffe in Gnesen. Rosenthal hat ausgestellt in seinem Schaufenster — ei wei, eine Pracht! Kirschrotes Tuch und schwarze Borten zum Besatz. Die Landrätin trägt so eines zum Sonntag. Zoschchen, möchtest du nicht das gleiche haben?“
Ihre Augen begannen zu funkeln. Neue Kleider, ein Kleid wie eine vornehme Dame! Eine Lust darauf kam sie an, aber nur für Momente; der Glanz in ihren Augen erlosch jäh: was sollte ihr das Kleid neben so einem Manne?! Energisch schüttelte sie den Kopf: „Ich will keins!“
So kam er nicht zum Ziel! Herr Tiralla, der sich so ungern erheben wollte, sah wohl ein, er würde aufstehen müssen und sich neben sie hinter den Tisch zwängen oder sie hervorziehen müssen mit Gewalt. Wenn sie dann schrie, das holde Täubchen: ‚Geh doch, lass mich, du Swintuch‘, dann musste er ihr den Mund mit einem Kusse verstopfen. Mit Gewalt!
Fluchend setzte Herr Tiralla den einen schweren Fuss zur Erde. Er war ärgerlich, dass er so aus seiner Ruhe gestört wurde; aber er konnte nicht widerstehen, sie war zu reizend. Stöhnend erhob er sich vollends
Sie sah es mit Schrecken. O, nun würde er wieder seine Arme um sie schlingen, diese Arme, weiss und fett, mit dem haarigen Flaum darauf, diese Arme, denen ihre Mutter sie ausgeliefert hatte, als sie noch jung und harmlos war und nur an die lieben Heiligen gedacht hatte und an den Herrn Jesus und keine Lust gefühlt hatte zu einem anderen Manne! Nun war sie nicht mehr jung und harmlos und — ein plötzlicher Einfall durchzuckte sie — ha, wenn sie ihn dafür herumkriegen würde, Gift zu kaufen?! Rattengift! Sie hatte schon oft davon angefangen, aber er hatte immer nicht