Mit verängstigten Augen sah sie sich um, die Stille, die Leere entsetzte sie auf einmal. Was sollte sie denn sagen, wenn nun der Sohn vom Militär kam?! Was sollte sie ihm vorerzählen von seinem Vater? Würde er ihr auch glauben? Würde er nicht gehen und mit Fingern auf sie zeigen: ‚Die da, die da hat’s getan!‘ O, was war das für eine grosse Angst! Woher nur auf einmal diese Gedanken kamen? Sie hatte sich doch vorher keine gemacht!
Aufspringend vom Fensterplatz stürzte die Einsame aus der Stube in die Küche; die Leere jagte sie, quälte, peinigte sie so, dass sie es drinnen in Herrn Tirallas Stube nicht mehr aushalten konnte. Aber auch in der Küche war es leer, die Magd noch immer nicht zurück. Fröstelnd kauerte sich Frau Tiralla beim Herd zusammen — wie weit war er nun wohl schon? War er nun wohl schon in Gnesen? Nein, nein, so rasch lief das Pferdchen nicht — doch, doch, es war wohl möglich, halte sie dem Pferdchen denn nicht Zucker gegeben und ihm mit liebkosender Hand den Hals geklopft? Das lief schon wacker. Und wenn er nun schon in Gnesen wäre, wenn er nun schon in der Apotheke gewesen wäre, wenn er es nun gar schon bei sich trüge, das Gift, das Rattengift?! Sie konnte sich nicht helfen, sie musste laut aufschreien vor Angst. Was hatte sie getan?!
„Ach, ach!“ Wimmernd stützte sie den Kopf. Aber sie hatte ja noch gar nichts getan, noch gar nichts verbrochen, was fürchtete sie sich denn so?!
Aber sie würde es tun!
Mit einer zuversichtlichen Gebärde richtete sie sich aus ihrer Versunkenheit auf und strich sich die Haare aus der Stirn: sie würde es tun, denn sie hatte ja darum gebetet. Es gab kein Zurück mehr; die Heiligen hatten es gehört. Hatte ihr denn der Herr Propst nicht damals, als sie noch klein war, immer gesagt: ‚Was du betest, wird erhört‘?! Nun war ihr Gebet schon vor dem höchsten Thron. Daran war nichts mehr zu ändern. Es sollte so sein. Hätten die Heiligen es nicht so gewollt, so wäre Herr Tiralla ja nicht nach Gnesen gefahren trotz all ihres Drängens, trotz all ihrer Liebkosungen!
Diese Gewissheit beruhigte sie. Sie fing an, in der Küche zu hantieren und in alle Ecken zu gucken, ob die Magd auch nicht wieder vom Essen beiseite geschafft hatte für irgend einen ihrer Liebhaber. Die war ja eine so leichtsinnige Person. Wahrlich, wenn man es nicht als Christenpflicht erachten würde, sie nicht in das Elend zurückzustossen, aus dem Herr Tiralla sie gezogen hatte, so müsste man sie aus dem Hause jagen, je eher, je lieber. Die hatte ja noch nicht genug mit den zwei Würmern, mit denen sie Gott weiss wer hatte sitzen lassen. Eigentlich war’s eine Schande, eine solche Dienstmagd im Hause zu haben!
Und doch war Frau Tiralla froh und atmete erleichtert auf, als Marianna jetzt mit einem Korb voll Kartoffeln in die Küche trat. Sie war glücklich, nicht mehr in der Leere so allein zu sein; sie vergass ganz zu schelten darüber, dass es nun schon Mittag läutete und die Kartoffeln noch nicht auf dem Herde kochten.
Die Magd hatte Herrn Tiralla abfahren sehen — nach Gnesen fuhr er, so hatte ihr der Jendrek gesagt — ei, was brauchte sie sich da zu sputen?! Mit der Pani würde sie schon fertig werden; wenn sie der nach dem Munde redete, dann war die schon still und zankte nicht. Was die bloss mit ihren Ratten hatte?! Gift sollte der Herr holen — durchaus — wie wäre sie denn sonst je so zärtlich gewesen?! Hatte sie, die Marianna, das nicht gestern an der Türe erlauscht? Ei, wie die ihm um den Bart gegangen war, gesponnen hatte sie wie ein Kätzchen, das sich auf dem Schösse zusammenringelt. Rattengift — o weh!
Es war der Magd gewesen, als müsse sie ihrem Herrn, da sie ihn heute davonfahren sah, nachrufen: ‚Halt, fahre nicht!‘ Aber sie hatte sich doch auf den Mund geschlagen: was ging sie’s denn an? Wenn er so ein Esel war — seine Schuld! Und dann hatte sie über dem Liebeln mit dem Jendrek hinter der Stallwand ganz den Herrn vergessen. Erst jetzt, als sie in der Küche die Herrin antraf, fiel ihr alles wieder ein.
„Der Herr ist ausgefahren,“ sprach Frau Tiralla. Und obgleich Marianna nicht fragte, setzte sie rasch hinzu: „Nach Gnesen!“ Und dann mit einem Erröten, das die Lüge ihr in die Wangen trieb: „Er will sich Winterstoffe ansehen, zum Anzug, bei Rosenthal!“
Die Magd sagte noch immer nichts, nickte nur und fing an, flink die Kartoffeln aus dem Korbe zu schälen.
„Er wird auch wohl in die Apotheke fahren um Rattengift!“ Frau Tiralla konnte nicht anders, das drängte sich ihr über die Lippen, ganz wider ihren Willen. Sie musste das sagen. Die Stummheit der Magd trieb ihr das heraus. Warum schwieg die so andauernd, was dachte die?! Ein Zittern befiel sie.
Die Magd hob den Kopf. „Da kann sich die Pani ja freuen!“ Sie seufzte und liess den Kopf wieder sinken: „Armes Herrchen!“
„Wieso — was meinst du? ‚Armes Herrchen‘ — warum sagtest du das?!“ Frau Tirallas Zittern wurde immer stärker.
„Ei, is sich denn nicht ‚armes Herrchen‘, bei solch abscheuliches Wetter fahren zu müssen? Wer weiss, wann wiederkommt armes Herrchen!“ Marianna lächelte.
War dieses Lächeln nun harmlos oder boshaft?! Frau Tiralla zerbrach sich den Kopf: nein, nein, die war doch ganz harmlos! Aber der Schrecken, der sie befallen hatte, wollte noch nicht weichen. Bei Gott, sie musste zusehen, sich mit der Magd zu verhalten! Und wenn die Liederliche ihr auch noch so zuwider war, sie musste gut Freund mit ihr sein! So ging sie denn, als die Magd, jetzt gänzlich verstummend, am Herd stand und immer in einem Topf rührte, in ihre Bettkammer und holte ein buntschottisches Tuch, das sie gern um ihre Schultern getragen hatte. „Da,“ sagte sie und legte es der noch immer am Herd Rührenden um, „es ist kalt, und ich sehe, du hast nichts, um dich zu wärmen!“
„Padam do nóg!“ Wie ein Blitz fuhr Marianna herum, bückte sich und küsste der Herrin Knie. „Ei, schönes Tuchchen, so schönes Tuchchen das! Alle Heiligen mögen es Pani vergelten! Möge sie gesegnet sein bis ans Ende ihrer Tage!“ Sie küsste auch das Tuch und tanzte mit ihm in der Küche herum. „Wie mir gut steht! Ei, ei! Und so weich ist, so warm! Ei, und so bunt!“ Strahlend wie ein beschenktes Kind, legte sie den Finger auf die bunten Farben und weidete sich daran.
Nein, von der hatte sie nichts zu befürchten! Frau Tiralla wurde plötzlich sehr guter Dinge. Nein, so alt war sie denn doch auch noch nicht und auch noch nicht so abgestumpft, um nicht begreifen zu können, wie ein armes junges Ding sich über ein buntes Tuch freut! Sie lachte mit der Glückseligen.
Unter Lachen und Spässen bereiteten sie das Mittagsmahl.
Als Rózyczka verspätet aus der Schule kam, sehr müde und überangestrengt vom Waten durch den Schnee, bereitete die Mutter, gut gelaunt, der Uberhungerten noch einen Extraschmaus: einen goldgelben Eierkuchen mit Himbeermus. Dann kochten sich beide Frauen einen starken Kaffee, stellten auch für Herrn Tiralla ein Töpfchen zurück und wärmten ihm das Bett aus mit heissen Steinen. Warm sollte er liegen nach kalter Fahrt.
III.
Rózyczka — Rosa war sie getauft, aber er nannte sie immer Rózyczka, Röschen — war ihres Vaters Lieblingskind. ‚Sein Ebenbild‘, wie Frau Tiralla sagte in einem seltsamen Ton. Ja, die Tochter hatte des Vaters blaue Augen, wenn auch nicht ganz so fahl und wässrig, auch seine Haare, die einstmals, ehe sie missfarben und grau wurden, so blondrot gewesen sein mochten; darum auch hatte die Mutter sich hundertmal abgewandt, wenn das kleine Mädchen auf ihren Schoss verlangt und mit täppisch liebkosenden Fingerchen ihre Wange zu streicheln begehrt hatte.
Aber heute abend war Frau Tiralla liebevoller gestimmt. Verwundert blickte das Mädchen auf, als es eine weiche Hand auf seinem Scheitel fühlte, und schmiegte sich dann sanft mit einem dankbar-glücklichen Aufleuchten der matten Augen an die Mutter.
Herr Tiralla war aus Gnesen heimgekehrt, und nun war es der Frau, als stünde ein Stern über ihrem Haus und wiese ihr hell den Weg, den sie zu gehen hatte. In ihr war eine