Flamme von Jamaika. Martina Andre. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Andre
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726292879
Скачать книгу
zum Ende seines Aufenthaltes in London einen verhaltenen Abschiedskuss auf ihren Handrücken andeutete.

      So lange würde es dauern, bis sie sich in Jamaika wiedersehen würden. Ihr Vater hatte für Ende Juli die letztmögliche Schiffspassage vor den großen Herbststürmen gebucht. Vorher war es nicht möglich, alle Vorbereitungen für Lenas Übersiedlung in die Karibik zu treffen, und genau genommen schickte es sich auch nicht. Ein wenig steif standen Edward, Lena und ihr Vater im Schatten des auslaufbereiten Dreimastschoners, zusammen mit der Countess of Lieven und einigen Abgeordneten des House of Lords, die extra zum Hafen gekommen waren, um Lord William Blake zu verabschieden, der trotz seiner halbjährigen Abwesenheit in London einen Parlamentssitz innehatte.

      Mit einem tiefen Blick in seine dunkelblauen Augen versuchte Lena, ihren Verlobten regelrecht festzuhalten.

      «Wie soll ich es nur aushalten, dich bis in den späten Sommer hinein nicht sehen und nicht mit dir sprechen zu können?»

      In Wahrheit meinte sie natürlich etwas ganz anderes, aber vom Küssen konnte sie in Gegenwart all dieser Menschen nicht sprechen. Dabei bedauerte sie es zutiefst, dass jede Form körperlicher Annäherung in den letzten drei Wochen schon allein durch Maggies ständige Anwesenheit so gut wie unmöglich gewesen war. Keinerlei Intimitäten vor der Vermählung, lautete das eherne Gesetz. Und erstaunlicherweise hatte Edward nichts unternommen, um diese Regel zu brechen.

      «Ich werde dich ebenfalls vermissen», beruhigte er sie. «Aber wenn du in ein paar Monaten in Falmouth an Land gehst, wird die Freude umso größer sein. Und außerdem können wir uns bis dahin jederzeit schreiben.»

      «Ein schwacher Trost», befand Lena, zumal die Briefe, die sie sich schrieben, ebenfalls einer Art Zensur unterlagen, weil ihr Vater mit Sicherheit wissen wollte, was darin zu lesen stand.

      Edward umarmte sie noch einmal fest, bevor er zusammen mit Lord William Blake an Bord ging. Mehr war nicht zu erwarten. Erst als das Schiff ablegte, wurde ihr bewusst, dass er in all der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, kein einziges Mal von Liebe gesprochen hatte.

      Kapitel 3

      August 1831 // Jamaika // Paradiesgarten

      Hafen in Sicht», brüllte der Matrose vom Rabennest herunter und versetzte damit das gesamte Dreimastvollschiff in Aufruhr.

      Die Mary-Lynn war ein schneller Segler mit hundertfünfzig Mann Besatzung und ebenso vielen Passagieren, die sich die vier Etagen je nach Herkunft mit mehr oder weniger schmackhaftem Proviant und einem reichhaltigen Angebot an kostbarer Fracht teilten: Stoffe und Kosmetikartikel aus Paris, Wein aus Deutschland, Werkzeug und Möbel aus Wales und Whisky aus Schottland, alles sicher in Kisten verpackt. Dazu kam ein Heer blinder Passagiere, die jegliche Anlandung genutzt hatten, um unbemerkt an Bord schleichen zu können – Ratten und Kakerlaken. In jedem Hafen wurden es mehr, wie Dr. Beacon, der Schiffsarzt, Lena nur allzu bereitwillig erklärte.

      Die Ratten waren der Hauptgrund, warum Lena darauf verzichtete, aus ihrer Luxuskajüte, direkt unter dem Oberdeck und neben der Offiziersmesse, allzu weit in den Bauch des Schiffes vorzudringen. Ein anderer war Maggie, deren Gesundheitszustand sich zunehmend verschlechterte, was Lenas durchgehende Anwesenheit erforderte.

      «Wa… wa… was», stammelte Maggie, bleich wie der Tod und mit neu hinzugekommenen, schwarzen Schatten unter den Augen, die sie beängstigend krank aussehen ließen.

      Lena legte ihr beruhigend die Hand auf die Stirn, die sich trotz der fürchterlichen Hitze kalt und trocken anfühlte. Dass sie nicht schwitzte, lag daran, dass ihr ausgedörrter Leib nicht bereit war, auch nur einen weiteren Tropfen Wasser zu erübrigen. Und während das Schiff unentwegt in den Wellen stampfte und rollte, ergriff Maggie ein erneuter Würgereiz, der wie seine Vorgänger ins Leere verlief, weil ihr Magen seit Tagen keinerlei Inhalt mehr vorweisen konnte.

      «Sie muss unbedingt trinken», hatte Dr. Beacon mit einer gewissen Dringlichkeit im Blick empfohlen, bevor er nach der morgendlichen Visite ihre Kajüte verlassen und in Richtung Achterdeck davongeeilt war.

      Dort wartete eine Handvoll Deutsch-Lutheraner, die sich ebenfalls auf der Überfahrt nach Jamaika befanden und dringlich seiner Zuwendung bedurften. In der vergangenen Woche waren zwei der Lutheraner-Kinder am Sumpf-Fieber erkrankt und drohten zu sterben. Die Männer und Frauen in ihrer züchtigen, einfachen Aufmachung hofften darauf, in der Karibik endlich ihr Glück zu machen. Als Lena zufällig von der Krankheit der Kinder erfuhr, hatte sie mit den Frauen Tee, Zucker, getrocknetes Obst und Zwieback geteilt, das sie auf Anraten ihres Vaters vorsichtshalber in einer eigenen Proviantkiste mit sich führte.

      Zu Beginn der Schiffsreise hatte die Bordküche für die gehobene Klasse noch einen gewissen Luxus aufbieten können, was die Speisen betraf, aber schon nach einer Woche ging die Qualität der Mahlzeiten drastisch zurück. Ab der dritten Woche war die Versorgung mit frischen Lebensmitteln zunehmend schwieriger geworden, wenn man vom täglich gefangenen Fisch einmal absah. Erst auf der Rückfahrt würde die Mary-Lynn wieder mit Kaffee und Zuckermelasse, Apfelsinen, Mangos und Ananas beladen sein, die dann im halb reifen Zustand ihren Weg nach Europa antraten.

      Lena griff nach der emaillierten Schnabeltasse, die Dr. Beacon ihr bereitwillig überlassen hatte, und versuchte erneut ihrer Begleiterin, die wie tot in ihrer Koje lag, den längst kalt gewordenen Kamillentee einzuflößen.

      «Du musst endlich mehr trinken», herrschte Lena ihre Freundin mit verhaltener Stimme an, als diese auf ihre Bemühungen nicht reagierte. Sie stellte die Tasse auf den Boden und trommelte sachte mit den Fingern auf Maggies eingefallene Wangen. «Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir den sicheren Hafen von Falmouth erreichen. Edward wird uns sogleich in unser neues Zuhause bringen. Dort wirst du wieder ganz gesund werden, das verspreche ich dir!»

      Maggie brabbelte irgendetwas Unverständliches als Antwort, und Lena ging erneut dazu über, ihr einen Schwamm, getränkt mit einer Lösung aus Wasser, Honig und Zitronensaft, vorsichtig an die Lippen zu pressen.

      Beinahe vier Wochen waren sie nun unterwegs, obwohl das Schiff als eines der schnellsten seiner Klasse galt. Aber wer hätte wissen können, dass die Wirbelsturm-Saison dieses Jahr so heftig ausfiel und sie permanent in schwere Stürme gerieten. Außerdem hatte nichts darauf hingedeutet, dass Maggie keine Schiffsreisen vertrug. Immerhin hatte sie auf der Überfahrt von Hamburg nach London keine entsprechenden Symptome gezeigt und auch sonst hatte sie nichts dergleichen erwähnt. Möglicherweise war Maggies innere Abwehr gegen dieses Unternehmen daran schuld, dass ihr Magen nun so empfindlich reagierte. Im Grunde wollte sie Lenas bevorstehende Ehe mit Sir Edward Blake nicht gutheißen.

      «Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich der Richtige für dich ist», hatte Maggie überraschend nach einem Abend im Royal-Theater verlauten lassen, den sie gemeinsam mit Edward und seinem Vater in einer teuren Privatloge verbracht hatten. «Ich habe ihn beobachtet. Bei dem Stück heute Abend hat er einige Male an den falschen Stellen gelacht. Meist dann, wenn jemandem Böses widerfahren ist. Überhaupt finde ich, dass sein Blick verschlagen ist. Seine Augen stehen viel zu eng beieinander. Und erst die seines Vaters! Wenn er eine Frau anschaut, wirkt er wie ein reißender Wolf, der sich einem Lamm nähert. Wenn ich ehrlich bin, habe ich ein wenig Angst vor den beiden», mahnte sie weiter.

      Maggie war eifersüchtig, gar keine Frage. Aber um sie nicht zu verlieren, hatte Lena schließlich mildere Töne angestimmt und sie am Ende davon überzeugt, ihr trotz aller Vorbehalte in die Karibik zu folgen, und sei es nur, um sie vor dem von ihr prophezeiten Untergang zu erretten.

      Auch ihr Vater, der sie wegen dringender Geschäfte nicht selbst nach Jamaika eskortieren konnte, war ihr beruhigter erschienen, als sie ihm bestätigte, dass Maggie sie in die Fremde begleiten würde.

      Als die Stimmen an Deck lauter wurden, beschloss Lena, nach oben zu gehen, um zu sehen, wie sie endlich in den lang ersehnten Hafen einliefen. An der Reling hatten sich bereits jede Menge Schaulustige eingefunden, die in der gleißenden Sonne standen und staunten, wie blau das Meer rund um Jamaika war. Die Luft draußen war warm und feucht, aber