In rascher Abfolge fuhr die Frisierdame mit einem langstieligen Rosshaarbürstchen mal in einen kleinen, braunen Tuschkasten und dann wieder über Lenas lange, dunkelblonde Wimpern. Sie wiederholte die Prozedur so lange, bis die Augen wie von dunklen Fächern umrahmt wurden.
«Glaubst du, dass ich ihm gefalle?» Lena betrachtete das Ergebnis der Schönheitsbemühungen wohlwollend im Spiegel.
«Wem?», fragte Maggie geistesabwesend. Sie war zu einem der großen Fenster getreten und beobachtete – die Hände hinter dem Rücken verschränkt – das geschäftige Treiben auf der James Street. Huxley betrat, nachdem er zaghaft angeklopft hatte, das Zimmer und entzündete an den Wänden und auf den Kommoden Kerzen, die sofort ein schmeichelndes Licht verströmten.
«Na, Sir Edward!», rief Lena. «Oder denkst du etwa, ich rede von meinem Vater?»
«Sicher wirst du beiden gefallen», bestätigte Maggie mit einem anerkennenden Lächeln. «Jeder Mann wird vor dir niederknien, sobald er dich sieht. Wenn du immer so herausgeputzt umhergehen würdest, müsste dein Vater mir kündigen und stattdessen eine Leibgarde engagieren.» Sie lächelte dünn. Dann bekannte sie mit einem gewissen Bedauern in der Stimme: «Schade, dass es schneit, sonst könntest du mit einem offenen Zweispänner in den Club fahren, und jeder würde denken, dass du eine Prinzessin bist.»
«Bis zur King Street ist es ja nicht weit», bemerkte Lena, während die Frisierdame ihre Utensilien einpackte und sich zum Gehen anschickte. Lena stand auf, und strich ihr Kleid glatt. Dann bedankte sie sich bei der Frau und entlohnte sie fürstlich. Nachdem Huxley die Dame hinausbegleitet hatte, gesellte Lena sich zu Maggie ans Fenster. Mit sehnsüchtigen Blicken verfolgte sie die tanzenden Schneeflocken, wie sie auf die Menschen herniedersegelten und alles wie mit Puderzucker bestäubt aussehen ließen.
Schließlich räusperte sich Maggie. «Eine innere Stimme sagt mir, dass ich dich auf keinen Fall alleine all diesen lüsternen Junggesellen überlassen darf. Aber dein Vater wird hoffentlich dafür sorgen, dass dir weder dieser Sir Edward Blake noch sonst jemand unsittlich nahe kommt.»
Lena stutzte, als sie sah, wie Maggies Augen einen traurigen Ausdruck annahmen. Plötzlich erkannte sie das Problem.
«Denkst du etwa, ich würde dich aus meinen Diensten entlassen, wenn ich erst einen Heiratskandidaten gefunden habe?»
«Natürlich würdest du das», entgegnete Maggie tonlos. «Wofür bräuchtest du dann noch eine Anstandsdame?»
«Ach Maggie», rief Lena, machte einen Satz auf sie zu und umarmte sie stürmisch.
Die junge Frau mit dem strengen Auftreten war ihr längst so sehr ans Herz gewachsen, dass ihr der Gedanke, auf ihre humorvolle Gesellschaft verzichten zu müssen, einen heftigen Stich versetzte.
«Wie kannst du nur glauben, dass ich jemals wieder ohne dich auskommen könnte?», fragte Lena aufgebracht. «Wenn du willst, kannst du dein ganzes Leben in meinem Haushalt verbringen. Wenn nicht als Anstandsdame, so doch als Gesellschafterin. Also mach dir keine Sorgen!» Lena entließ Maggie aus ihrer Umklammerung und schaute ihr prüfend in die Augen. «Oder willst du mich nicht mehr als Freundin, wenn ich erst einmal vermählt bin?»
«Mein ganzes Leben? Mit dir? Was für ein schrecklicher Gedanke», unkte Maggie und versuchte sich an einem koboldhaften Lächeln.
«Natürlich nehme ich das Angebot gerne an», sagte sie heiser und strich Lena in einer liebevollen Geste über die Wange. «Ganz gleich zu wem und wohin es dich verschlägt. Ich kann dich ja schließlich nicht einfach deinem Schicksal überlassen.»
Lena wurde plötzlich ernst. «Glaubst du, an den merkwürdigen Gerüchten, die man sich über Sir Blake erzählt, ist etwas Wahres dran?» Unterschwellig verspürte sie eine gewisse Unruhe, und es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie Maggie hätte mitnehmen dürfen.
«Ich frage mich andauernd», bemerkte Lena mit einem Stirnrunzeln, «was wohl die Beweggründe von Edward Blake sein mögen, einen solch weiten Weg übers Meer auf sich zu nehmen, um ausgerechnet in London seine zukünftige Frau zu finden?»
«Hieß es nicht beim letzten Debütantinnen-Tee», ergänzte Maggie, «dass Edward Blake dank seines Vaters, einem weithin bekannten Baronet, über ein äußerst stattliches Vermögen verfüge? Neben einer riesigen Plantage in Jamaika soll er der zukünftige Erbe etlicher anderer Ländereien in Übersee sein.»
«Ja, ich erinnere mich. Allein in Redfield Hall auf Jamaika sollen es Hunderte Arbeiter sein, die dort ihr tägliches Werk verrichten, ja, wenn nicht Tausende!», sagte Lena mit verklärtem Blick.
«Wer weiß.» Maggie legte den Kopf schief. «Vielleicht sehen die Frauen in Jamaika ja alle aus wie Vogelscheuchen? Oder er sucht sich lieber ein ehrliches, schönes Mädchen in Europa, das es nicht auf sein Geld abgesehen hat.»
Lena machte sich selten Gedanken über Geld und Besitz. Aber das musste sie ja auch nicht. Schließlich war ihre Familie alles andere als arm. Johann Huvstedt war ein recht vermögender Hamburger Kaufmann, der mit seiner einzigen Tochter die halbe Zeit des Jahres in London lebte, um von hier aus seine Geschäfte mit Tabak, Tee, Baumwolle und Zucker aus Übersee zu koordinieren.
Doch Lena wusste, dass Reichtum für ihren Vater auch Verpflichtung bedeutete: Verpflichtung gegenüber seinem Unternehmen und den darin beschäftigten Personen. Aber auch gegenüber der Gesellschaft. Schon vor dem frühen Tod von Lenas Mutter ging er jeden Sonntag zur Kirche und organisierte Wohltätigkeitsveranstaltungen, die aus den Elendsvierteln Hamburgs und Londons bewohnbare Orte machen sollten. Regelmäßig spendete er hohe Summen, sodass die Straßen von Hamburg auch in den Armenvierteln gepflastert werden konnten, und er förderte die Erbauung von Abwasserkanälen, damit das Trinkwasser aus der Themse endlich wieder genießbar wurde. Darüber hinaus unterstützte er in beiden Städten im Winter die kostenlose Verteilung von Brennholz und Brot an Bedürftige.
Mehrfach hatte sich Lena die Frage gestellt, warum ihr Vater überhaupt eine Verbindung mit einem Mann wie Edward Blake für empfehlenswert hielt. Denn im Gegensatz zu den karibischen Pflanzern wie den Blakes legte er stets Wert darauf, keine Sklaven zu beschäftigen, sondern seine Arbeiter angemessen zu entlohnen. Handelten Plantagenbesitzer wie die Blakes nicht mit Gütern, an denen angeblich Sklavenblut klebte? Das behaupteten jedenfalls die Demonstranten diverser kirchlicher Abolitionisten-Organisationen, die sich gegen die Sklaverei stellten und in London manchmal zu nicht genehmigten Versammlungen aufriefen.
Aber dann verwarf Lena ihre Zweifel wieder. Rosanna Rhys-Patrick, eine Freundin aus Internatszeiten, die ebenfalls an dem bevorstehenden Ball teilnehmen würde und deren Vater auch im Zucker- und Kaffeegeschäft reich geworden war, hatte die Gegner der Sklaverei Lügner genannt. Wenn die Neger nicht auf den Plantagen arbeiten könnten, müssten sie ihr Dasein in irgendeiner afrikanischen Wildnis fristen, wo es ihnen weitaus schlechter erging als in der Obhut ihrer weißen Herren. Und überhaupt hatte noch nie jemand etwas so Grauenhaftes wie Blut an Kaffee oder Teesäcken zu Gesicht bekommen. Rosanna vertrat die weit verbreitete Meinung, dass die Gerüchte eine Erfindung von irgendwelchen verrückt gewordenen Fanatikern waren, die sich aus Neid und Streitlust gegen die von Gott gegebene Ordnung auflehnten.
«Ich an deiner Stelle …» Maggies Stimme riss Lena aus ihren Gedanken. «… würde selbst herausfinden wollen, ob mit dem Mann etwas nicht stimmt. Lass dein Herz sprechen, es wird dir den richtigen Rat geben.»
Kapitel 2
1831 Januar // London // Almack’s Assembly Rooms
Steh endlich auf!», polterte eine dunkle, männliche Stimme quer durch das prunkvoll eingerichtete Schlafzimmer, von dessen hohen Fenstern man auf den halb fertigen Buckingham Palace sehen konnte. «Anstatt am späten Nachmittag mit einer Negerhure im Bett zu liegen, solltest du ein wohlriechendes Bad