Ich weiß noch genau, daß mir, als ich Sam Pryors Hütte verließ und zur Stadt zurückging, etwa ein halbes Dutzend Spalpeens begegnete, wandernde Landarbeiter, die wohl wegen der bevorstehenden Ernte nach Killala gezogen waren. Sie waren so grob gekleidet, wie man sich das nur vorstellen kann, in Friesjacken, so alt und verwittert, daß sie ein Teil der Landschaft hätten sein können, und ohne Hüte, um ihre verfilzten und zerzausten Haare zu bedecken. So könnten die rauhen Söldner ausgesehen haben, die in den historischen Stücken des erhabenen Shakespeare erwähnt werden. Sie unterhielten sich höchst angeregt auf irisch, und einige lachten über die Bemerkungen einer wilden Kreatur, die noch größer war als MacCarthy. Als wir uns begegneten, unterbrachen sie sich jedoch und grüßten mich äußerst höflich und mit jeglicher Ehrerbietung, wobei sie an den Straßenrand traten. Als ich an ihnen vorübergegangen war, nahmen sie ihre Unterhaltung wieder auf und zogen sich damit in ihre Welt zurück, die für mich ein einziges, in ihrer Sprache eingeschlossenes Geheimnis war.
Ich schien in meinen Händen zwei ausgezackte Mosaikstücke zu halten – die Welt von Pryors Hütte und die der papistischen Arbeiter auf der Straße. Die Stücke paßten nicht zusammen, und ich konnte mir auch das Muster, zu dem sie gehörten, nicht vorstellen.
Zwei Nächte darauf wurde der Leichnam von Phelim O’Carroll, einem kleinen Bauern auf dem Gut von Lord Glenthorne, nackt in einem seichten Moorweiher gefunden. Er war auf grausamste Weise mißhandelt worden, sein Rücken war nichts als rohes Fleisch. O’Carroll, obwohl ein Mann in mittleren Jahren, war ein berüchtigter Dorfkämpfer und deshalb als Whiteboy in Verdacht gewesen. Zweifellos war versucht worden, ihm Informationen abzupressen, was aber offenbar vergebens gewesen war. Seine Totenwache wurde in seiner Gemeinde abgehalten, aber über diese Zeremonie kann ich glücklicherweise nichts schreiben. Der Brauch der Totenwachen im ländlichen Irland ist einfach obszön, und eine Beschreibung würde nur Ekel erwecken. Es ist hinlänglich bekannt, daß diese Wachen keine nüchternen Nachtwachen am Leichnam eines verschiedenen Vaters oder Freundes sind, sondern eher Anlässe für Trunkenheit und Ausschweifungen. Die Art dieser »Wachspiele«, wie sie auch genannt werden, kann uns nur am Los des Christentums verzweifeln lassen, auf so entsetzliche Weise wird die heidnische Vergangenheit in ihnen verewigt. Über Spiele wie »Kraftprobe«, »Bulle und Kuh«, »Kerzenhalten« und »Schweineverkaufen« möchte ich lediglich erwähnen, daß Männer und Frauen daran teilnehmen, daß bei einigen die Männer nackt sind, daß in anderen alle Vorkommnisse einer Hochzeitsnacht gemimt werden. Die Volksweisheit, daß bei Totenwachen mehr Ehen geschlossen werden als auf Jahrmärkten oder Tanzfesten, hat viel Wahres an sich, so hemmungslos führen sich jung und alt auf. Und doch geschieht alles in einem Geist der Unschuld und ohne gotteslästerliche Absichten, nicht einmal dann, wenn der Leichnam auf seine leblosen Füße gestellt und der Travestie eines unzüchtigen Tanzes unterworfen wird. Dieses Land ist wahrlich im Sumpf einer uralten Vergangenheit versunken. Aber ich schweife ab.
Ein weitaus größeres Maß für Trauer und Leidenschaft der Menschen wäre bei der Beerdigung des armen O’Carroll auf dem Friedhof von Killala zu beobachten gewesen, denn dem Sarg folgte schweigend ein langer Trauerzug, der, wie der Brauch gebietet, den weitesten Weg nahm und einen großen Kreis in Richtung der Sonnenlaufbahn beschrieb. Ich nahm an der Bestattung teil, hielt mich in respektvoller Entfernung und war zutiefst bewegt. Als der Sarg in die Erde gesenkt worden war, trat eine Gruppe von verhüllten Frauen vor und begann mit der Totenklage, über die so viel geschrieben worden ist und die, wenn auch unleugbar barbarisch, nicht ohne Musikalität ist und die tiefste Trauer auf eindrucksvolle Weise zum Ausdruck bringt. Es ist eine Art Geheul, und ich beobachtete, daß Mr. Hussey offenbar mit kühler Abneigung lauschte und mich mehrmals voller Verlegenheit ansah, während sein Kaplan, Murphy, zutiefst gerührt war und O’Carrolls Neffen, einem schwatzhaften Grünschnabel, voll Mitgefühl den Arm um die Schultern legte. Ansonsten aber lauschte die riesige Trauergemeinde regungslos und hatte nur Augen für das grobe Holz des Sarges.
In die Erde, die auf den Sarg geschaufelt wurde, wurde O’Carrolls Blut gemischt, das sein Neffe aus einer kleinen Flasche goß, denn unter den Leuten hier hieß es, daß auf einer Beerdigung Blut vergossen werden muß. Wenn es einem rituellen Zweck diente, dann war es ein verschwendetes Symbol, denn das von Pryor und O’Carroll vergossene Blut sollte sich in den kommenden Monaten vervielfacht über uns ergießen.
Am folgenden Abend, als Mr. Gibson von einer geschäftlichen Besprechung in Killala zurückkehrte, wurde aus einer Hecke gegenüber seiner Einfahrt auf ihn geschossen. Gibson ist ein kühner Mann und reitet niemals unbewaffnet aus. Er zog seine Pistole, lenkte sein Pferd auf die Hecke zu und schlug vier Männer in die Flucht, die er weder gefangennehmen noch identifizieren konnte, obwohl er später erklärte, einer habe große Ähnlichkeit mit seinem Pächter Malachi Duggan gehabt. Gibson war als Grundbesitzer und als Richter unbeliebt, und alle wußten, daß er wie Cooper energisch darauf gedrängt hatte, mit Gewalt gegen die Whiteboys vorzugehen. Und doch behauptete Duggan, als er vor Gericht verhört wurde, energisch seine Unschuld und bot an, zwanzig Zeugen zu bringen, die sie beschwören konnten.
Wir hatten nun in Killala einen kleinen Krieg, mit Verletzungen auf der einen und einem Todesfall auf der anderen Seite. Es wimmelte von Gerüchten, entstanden aus Angst und einem natürlichen Argwohn. Unter den Papisten hieß es, daß es ihnen ergehen würde wie den Bauern von Wexford unter dem Kriegsrecht in den Monaten vor dem Aufstand. Landwehr und reguläre Truppen würden eingesetzt werden, um Auspeitschungen vorzunehmen und Ernten und Hütten niederzubrennen, wobei die Miliz von Tyrawley als ihre röhrenden Hunde fungieren sollte. Und viele Protestanten, vor allem die der unteren Stände, glaubten, daß ein allgemeines Massaker stattfinden würde, sowie die Franzosen gelandet wären. Angst und Feindseligkeit waren in den schäbigen Straßen von Killala fast greifbar. Ein Bauer, der groß und unheildrohend in einem kleinen protestantischen Laden aufragte, deutete auf das Stück Seil oder das Zinngeschirr, das er brauchte, und der Kaufmann reichte es ihm schweigend und reserviert, mit zusammengekniffenen Lippen.
Die Ängste der Menschen haben immer schon die Tore ihrer Phantasie geöffnet, noch kuriosere Vorstellungen konnten ihren Einzug nehmen. Die Iren sind ein sehr phantasievolles Volk und haben Erde und Luft mit unsichtbaren Lebewesen bevölkert, jedem Hügel und Cairn eine liebliche oder groteske Vorstellung zugeschrieben. Aber das heißt nur, daß sie in ihren Aberglauben versunken sind und daß ihr Verhalten von den dunklen Reden alter Frauen und wandernder Wahrsager gelenkt wird. In den besten Zeiten bedeutet das ein Hindernis auf ihrem Weg zur Zivilisation, und ich muß einfach glauben, obwohl das vorurteilsvoll erscheinen mag, daß der römische Glaube dem Unglaublichen Schutz gewährt. Wenn sich große Ereignisse regen, kann diese Neigung zum Träumen gefährliche Formen annehmen.
So war es auch jetzt. Die Unruhen, die Ulster und Wexford verheert hatten, hatten Mayo bisher verschont, waren jedoch nicht unbemerkt geblieben. Hier, wie auch an anderen Orten in Irland, hatten Wahrsager und herumziehende Gaukler und Geschichtenerzähler übertriebene und reichgefärbte Darstellungen dieser elenden Auseinandersetzungen mitgebracht. Prophezeiungen wurden von Kneipe zu Kneipe, von Dorf zu Dorf getragen und hatten den großen Tag der Befreiung vorausgesagt, der die Knechtschaft des gälischen Volkes aufheben würde. Solange Mayo ruhig blieb, wurde solchem Unsinn kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Aber nun lauschte eine aufmerksame Landbevölkerung der apokalyptischen Dichterei unwissender Menschen und wiederholte sie am Torffeuer. Die Frau eines Müllers in Athlone hatte einen Sohn mit vier Daumen geboren, und dieser Müller würde die Gälische Armee anführen. Die entscheidende Schlacht würde irgendwo hinter dem Shannon geschlagen werden, im Tal des Schwarzen Schweines. Schwarze Schiffe mit hohen Masten eilten aus Frankreich und Spanien herbei, an Bord befanden sich die Kämpfer Erins. Wie sich feststellen läßt, bezogen die glorreichen Prophezeiungen Mayo nicht