Kaltes Wasser floss in Caelans Magen. »Gegen seinen Willen?«
»Ein Bückling hat keinen Willen«, sagte Harris. »Und schon gar nicht, wenn er in den Alphaturm kommt. He, ich wette, der ist mir Absicht da rein. Wahrscheinlich wollte er, dass ihn endlich jemand rammelt. Er ist noch unberührt. Hat er selbst gesagt.« Ein Schatten flog über Harris' Miene. »Bevor er abgehauen ist, der Dreckskerl. Das zahl ich ihm heim, ich schwör's dir.«
Caelan verspürte Übelkeit. Ihr Rudel-Chief hatte ihm erzählt, dass es weiter südlich seltsame Sitten gab, aber das?
»Die Omegas sind nicht unsere Sklaven«, sagte er. »Sie sind schwach und müssen von uns beschützt werden.«
Harris' Eckzähne erschienen. »Die Bücklinge sollen gehorchen, sonst nichts. Anwesende natürlich ausgenommen.« Er prostete dem Omega des Rudel-Chiefs zu, der schmallippig lächelte.
»Die Omegas sind schwach, aber wertvoll«, sagte Eric. »Schließlich bringen sie die Welpen zur Welt. Ich schätze, jedes Rudel hat seinen eigenen Weg, mit ihnen umzugehen.«
»Und der Weg der MacFarlanes ist es, sie zu schänden?«
Erics Gesicht blieb unbewegt. »Nur, wenn sie in unseren Bereich eindringen. Es muss Grenzen zwischen uns geben.«
»Grenzen.« Caelan sah in sein Whiskyglas. Das war es also gewesen. Kein unverschämter Rotschopf, der mit seinem Liebhaber spielte oder vor seiner Strafe abhaute. Sondern ein Junge, der vor einer Vergewaltigung floh.
»Natürliche Grenzen.« Der Rudel-Chief sah seinen Omega freundlich an. »Oder was denkst du?«
»Wir sind nicht gleich, das stimmt.« Lachlans Gefährte hatte eine melodiöse Stimme. »Und ich bin froh, dass ihr uns beschützt.«
»Und bestraft, oder?«, fragte Lachlan.
»Ja. Wenn wir es verdienen.« Etwas Dunkles lag hinter der Miene des Omegas. Als wollte er noch etwas hinzufügen. Aber er tat es nicht.
Schwach, dachte Caelan. Das dunkle Gefühl in seinem Magen blieb. Wo war er hier gelandet? Die MacKays und die MacFarlanes waren entfernte Cousins, aber offensichtlich unterschieden ihre Bräuche sich voneinander. Sehr.
»He, MacKay.« Harris deutete hinter sich. »Ist das bei euch im Norden üblich, dass ihr bei den Omegas sitzt?«
Was? Caelan sah zu Myles und Fraser hinüber. Wie erwartet redeten sie auf den Rotschopf ein. Erst jetzt erkannte er, dass sie die einzigen Alphas am Tisch waren. Auch auf den umliegenden Bänken saßen ausschließlich Omegas.
»Trennt ihr sie beim Essen?«, fragte er.
»Nur die unverpartnerten«, sagte Eric. »Es führt zu weniger Unruhe, wenn die Omegas niemanden reizen können.«
»Reizen?«
»Wenn sie niemanden mit ihrem Duft dazu bringen, sie anzufassen.« Eric schnüffelte. »Obwohl ich sie bis hier rieche. Die Hitze muss kurz bevorstehen.«
»Omegas können niemanden dazu bringen, sie anzufassen«, sagte Caelan. »Dazu sind sie zu schwach.«
»Eure Omegas vielleicht, MacKay.« Harris nahm einen Schluck Whisky. »Unsere sind eine Landplage. Der Bückling da hinten hat letzte Woche meinen Freunden schöne Augen gemacht. Und dann hat er sich verkrümelt. Hast schon recht, die besser zu erziehen wäre gut. Aber so macht's auch Spaß.«
Caelan sah einen nervös wirkenden Omega, mager und dunkelhaarig, dessen Blicke immer wieder zu den Alphatischen huschten. Er sah nicht aus wie ein Verführer.
Der Rotschopf saß ganz in der Nähe. Die beiden Trottel laberten immer noch auf ihn ein, und seine Miene wurde immer düsterer. Der Blondgelockte neben ihm dagegen strahlte. Lächelnd sagte er etwas zu Myles.
»Ich muss nach meinen Kameraden schauen«, sagte Caelan.
6. Finn
Finn wusste nicht, was ihn mehr nervte: Die beiden MacKays, die sich zu ihnen gesetzt hatten oder Leighton, der sich darüber freute.
»Den ganzen weiten Weg über, zu dritt?« Grübchen erschienen in Leightons Wangen. »Seid ihr euch nicht auf die Nerven gegangen?«
»Sind wir«, sagten die MacKays, wie aus einem Mund. Der mit dem breiten Gesicht, der immer lachte, war Myles. Der andere, den Finn erst für verträumt gehalten hatte, Fraser. Die schweren Lider und langen Wimpern hatten ihn getäuscht. Der war genau so albern wie Myles.
»Und kalt war es.« Fraser benutzte seine Lider und Wimpern, um Finn einen bedeutungsvollen Blick zuzuwerfen. »Sehr kalt. Ohne zarte Omegas, an denen wir uns wärmen konnten.«
»Was, gleich mehrere?«, knurrte Finn. »Überschätzt ihr euch da nicht?«
Myles lachte. »Fraser bestimmt. Der ist ein Zündspan, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Nein«, sagte Finn. Und es interessiert mich auch nicht, wollte er hinzufügen. Aber Myles redete schon weiter.
»Wird schnell heiß, aber leider hält es nicht lange.« Eckzähne blitzten. »Kaum, dass er angefangen hat, ist er auch schon fertig. Und so ein Zündspan ist kurz.«
Leighton kicherte. Fraser rempelte Myles mit der Schulter an.
»Und was bist du?«, fragte Finn missmutig. »Ein Baumstamm? Oder denke ich zu klein?«
Die beiden sahen ihn verblüfft an. Bevor sie antworten konnten, fiel ein Schatten über sie.
»Myles ist ein Stück Torf«, grollte der Steinerne. Seine Stimme war tief wie das Donnern der Brandung. »Ein hohles Stück Torf.«
»Torf brennt gut«, behauptete Myles.
»Ja, und es stinkt.« Der Steinerne schob seine Freunde auseinander, als wären sie Puppen und setzte sich zwischen sie. »Was treibt ihr hier?«
»Fuchsjagd.« Fraser zwinkerte Finn zu. »Unser liebster Zeitvertreib, wie du weißt.«
»Euer liebster Zeitvertreib ist, mich zu blamieren.« Der Steinerne sah ihn streng an. »Ist euch klar, dass Alphas und Omegas hier getrennt sitzen? Ihr stört die Ordnung.«
»Ach, aber hier ist es viel netter.« Myles beugte sich zu Finn und Leighton vor. Leighton kicherte. »Der Anblick zumindest.«
»Kann ich nicht behaupten«, knurrte Finn.
»Schau halt richtig hin.«
Finn kniff die Augen zusammen. »Ich sehe so schlecht. Wie wär's, damit du ein paar Schritte zurück machst, damit ich dich besser betrachten kann? Ungefähr hundert Schritte.«
Ein Schnauben erklang. Myles und Fraser wandten sich zu ihrem Kameraden um.
»War das ein Lachen?« Myles drückte den Zeigefinger in die Wange des Steinernen. Der packte seine Hand und hielt sie fest. Die Adern auf Myles' Unterarm traten hervor, aber er schaffte es nicht, sich herauszuwinden.
»Nein.« Ein Gewitter tobte im Gesicht des Steinernen.
»Du bist Caelan, oder?« Leightons Wangen leuchteten rot. Er sah wunderschön aus. »Caelan McKay?«
Was für ein bekloppter Name. Dieser Caelan ließ sich nicht einmal zu einem Nicken herab. Er löste den Griff um Myles' Handgelenk. Der rieb es und knurrte leise.
»Was willst du, Cael? Möchtest du etwa auch an unserer kleinen Jagd teilnehmen?«
»Die Beute reizt mich nicht.« Ein abschätziger Blick auf Finn. Eiskalte Augen. Er spürte einen winzigen Schauer und ärgerte sich. »Nicht im geringsten.«
»Na, da freut sich die Beute aber.« Finn stach mit dem Löffel in seinen Eintopf. »Sie wird schon von genug sabbernden Kötern belagert, da hat sie keine Zeit für einen manierenlosen Ochsen.«