Der Omega im Turm. Jay Boss. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jay Boss
Издательство: Bookwire
Серия: Burg der Wölfe
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783969877791
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geschlossenen Augen hörte er dem Plätschern zu und lauschte gleichzeitig auf die Schritte, die weit weg schienen. Über ihm, bestimmt noch zwei Stockwerke entfernt.

      Schneller, dachte Finn und nahm sich trotzdem die Zeit, die befleckte Brille mit ein paar Spritzern zu garnieren. Hoffentlich setzte sich der Richtige hier drauf.

      Finn grinste hämisch. Dann zuckte er zusammen. Die Schritte kamen näher. Immer näher. Und der Strahl wollte nicht versiegen. Er flehte seine Blase an, endlich leer zu werden, aber es war einfach zu viel Holunderwein gewesen.

      Er ist schon fast bei mir, dachte Finn. Verdammt!

      Der Strahl senkte sich und gerade, als die letzten Tropfen fielen, hörte er ein Schnuppern hinter sich. Eine Stimme erklang, die eisige Schauer über seine Wirbelsäule sandte.

      »Sieh mal einer an. Was macht ein kleiner Bückling wie du hier?«

      Von all den verdammten Alphas, die in diesem Turm hausten, war es ausgerechnet Harris. Finns ganzer Körper verkrampfte sich. Seine Schultern schnellten nach oben und sein Hals wurde trocken. Er versuchte zu schlucken, aber es ging nicht.

      Nein, dachte er.

      »Willst du nicht antworten, Bückling?« Das Lauern in der Stimme war das eines Raubtiers. Eines Raubtiers, das die Beute schon in den Klauen hat, aber noch ein wenig spielen möchte.

      Ich bin keine Beute, dachte Finn. Ich bin kein Opfer und ganz bestimmt kein Bückling.

      »Ich musste halt pissen«, knurrte er. Einen Moment lang sah er die Wand vor sich an, dann atmete er tief ein. Beißender Gestank verätzte seine Nase. Im Abort tief einzuatmen, war immer ein Fehler. Er hob den Kopf, ließ den Kilt herunter und drehte sich um.

      »Kleiner Fuchs.« Harris' Grinsen war abscheulich. In seinem Gesicht breitete sich boshafte Freude aus. »Du bist das.«

      Als ob er das nicht schon von hinten erkannt hätte. Finns Haare waren so feuerrot, dass man ihn gar nicht verwechseln konnte. Finn wich einen Schritt zurück, aber Harris kam direkt nach. Und er war viel zu groß und breit. Finns Herz raste. Seine Hände waren schweißnass und trotzdem reckte er das Kinn in die Höhe. Er konnte den Schweiß auf Harris' Körper riechen.

      »Lass mich vorbei.« Ungeschickt versuchte er, seinen Kilt zu richten. »Ich bin fertig und Declan wartet auf mich.«

      »Nicht so hastig.« Scharfe Zähne blitzten. Harris' Gesicht kam nah, viel zu nah. »Den Kilt kannst du schön oben lassen. Dreh dich wieder um.«

      Panik schoß durch Finns Körper. »Nein. Lass mich durch!«

      Er versuchte, sich an Harris vorbeizudrängeln. Dessen Hand schoss vor und Krallen gruben sich in Finns Schulter. Der Wolf sprach aus Harris, als er den Mund öffnete.

      »Umdrehen, hab ich gesagt«, raunte er. »Sofort, kleiner Fuchs. Oder du verlierst gleich mehr als deine Unschuld.«

      Alles in Finn zog sich zusammen. Am liebsten hätte er losgeheult. Aber das würde ihn nicht retten. Nicht vor Harris. Nicht auf Burg McMacFarlane, auf der das Recht des Stärkeren galt. Finn war nicht stark. Aber manchmal ließen die Stärkeren sich austricksen. Er schluckte.

      »Ja, ist gut«, murmelte er und sah zu Boden. Auf Harris' dreckbeschmierte Stiefel. »Aber sei vorsichtig, ja? Das ist mein erstes Mal.«

      Freude blitzte in Harris' Augen auf. »Das stimmt, ja?« Er lachte »Also bin ich echt der, der den kleinen Fuchs entkorkt. Scheiße, die anderen werden heulen vor Neid.«

      »Bin ich so ein interessantes Gesprächsthema?«, murrte Finn.

      »Nicht du, nur dein enger Arsch.«

      Alphas. Miese Wichser. Finn gab vor, schüchtern zu lächeln und hob seinen Kilt. Sein Schwanz war vor Panik klein wie ein Radieschen geworden. Ganz im Gegenteil zu Harris'. Als der sich freimachte, glaubte er, einen Rammbock vor sich zu haben. Finn atmete noch einmal tief ein und drehte sich um. Er bückte sich. Ausatmend packte er die Steine.

      »Vorsichtig, ja?«, bat er noch einmal.

      »Ich mach das, wie ich will, kleiner Fuchs. Du bist schließlich in unser Gebiet eingedrungen.«

      Das war ein Notfall, dachte Finn, aber er konnte sich jetzt nicht mit Wortgefechten aufhalten. Eine grobe Pranke packte seine linke Arschbacke. Wäre Finn in Hitze gewesen oder einfach erregt, wäre sein Loch jetzt feucht geworden. Es war staubtrocken. Er biss die Zähne aufeinander.

      »Halt still«, befahl Harris.

      »Ja« sagte Finn. »Ist gut, Harris.«

      Er verwandelte sich. Alles daran setzend, seine Wolfsform blitzartig anzunehmen, wechselte er den Körper. Die Verwandlung schmerzte, wie immer, wenn man sie hetzte. Arme wurden zu Vorderläufen, Hände zu Pfoten. Der Abort vor ihm verschwand, als er zu Boden sank. Finn wirbelte herum, drückte sich mit den Hinterläufen am Stein ab und schoss los. Zwischen Harris' gespreizten Beinen hindurch.

      Die Treppen hinunter. Er stolperte, kugelte über den Läufer an ihrem Fuß und kam wieder auf die Beine. Hinter sich vernahm er Wutgeheul. Harris.

      Er musste hier weg. Aus dem Alphagebiet und zurück ins Schreibzimmer. Theoretisch durfte Harris ihm im neutralen Teil der Burg nichts antun. Aber Finn war nicht so blöd, darauf zu vertrauen.

      Er hetzte über den Steinboden, sprang über Teppiche. In Wolfsform war er noch kleiner als als Mensch, doch seine Läufe waren kräftig und er war leicht und wendig.

      Keuchen hinter ihm. Zu nah. Harris holte auf. Er musste sich ebenfalls verwandelt haben, um so schnell zu ihm aufzuschließen.

      Krallen kratzten hinter ihm über den Stein. Der Flur schien endlos, Harris' Atem viel zu nah. Da, die Biegung. Nur noch um diese Ecke und die rettende Schreibstube wäre …

      Dumpfer Schmerz, plötzlich. Sein Schädel prallte gegen etwas und dann segelte Finn durch die Luft. Jaulend kam er auf. Er flog gegen die Mauer und Pein schoss in seine Schulter.

      Heißer Speichel tropfte in seinen Nacken. Harris' beißender Atem strich über sein Nackenfell. Als er aufblickte, sah er kalte Augen, umgeben von grauem Fell.

      Hab ich dich, sagten sie.

      »Was ist hier los?« Die Stimme war befehlsgewohnt. »Harris?«

      Finn hätte beinahe gewimmert vor Glück. Eric. Die rechte Hand des Rudel-Chiefs.

      Harris verschwand aus seinem Blickfeld und endlich konnte Finn erkennen, wogegen er geprallt war: gegen einen Felsen. Den Steinernen.

      Die drei Männer, die er am Tor gesehen hatte, standen im Flur neben Eric. Alle schwarzhaarig, aber ganz unterschiedlich. Einer schien, als bräuchte er nur den kleinsten Anlass, um in wildes Gelächter auszubrechen, der nächste wirkte verträumt und der dritte steinern.

      Seine felsgrauen Augen blickten auf Finn hinab. Von nahem war er noch gigantischer, noch mächtiger. Finn kam sich vor, als würde er vor einer hoch aufragenden Klippe liegen. Eilig rappelte er sich auf, immer noch in Wolfsform.

      Der Steinerne sprach. »Kannst du nicht aufpassen?«, raunzte er Finn an. Der hätte ihm am liebsten eine gescheuert. Aber das war schwer, auf vier Pfoten.

      »Verwandelt euch«, sagte Eric. »Ihr wisst, dass ihr innerhalb der Burgmauern menschlich sein müsst.«

      Eine blöde Regel. Nicht nur, weil es keinen Grund gab, sich ihrer wölfischen Natur zu schämen. Sondern, weil Finn nun nackt vor drei Fremden, Eric und Harris stand. Und dafür schämte er sich viel mehr als für den Wolf in sich.

      Erics hageres Gesicht verzog sich. Er seufzte. »Was ist hier los?«

      »Nichts«, brummte Finn und zwang sich, die Fäuste zu ballen. Er würde sich nicht mit den Händen bedecken wie ein verschüchterter Knabe. Das erwarteten sie doch von einem Omega.

      »Nur ein wenig Spaß.« Harris grinste Finn an. Doch er senkte den Kopf, als Eric näherkam. Das menschliche Äquivalent dazu, sich vor