»Wir gehen jetzt«, sagte Finn und schob seine Freunde vor sich her. Mit einer Hand. Das Licht der Fackel wärmte sein blasses Gesicht. Seine Lippen waren geschwungen wie Wellenkämme.
Caelan sah ihnen nach, bis ihre Schritte auf der Treppe verklungen waren. Da hinten musste der Omega-Turm liegen. Dort waren sie in Sicherheit. Finns misstrauischer Blick verfolgte ihn immer noch. Ja, die Augen waren grün, aber nicht wie Moos. Eher wie die ersten Frühlingsblätter, durch die das Sonnenlicht fiel. Strahlend, mit einem Hauch Gold.
Er bemerkte erst, dass Fraser etwas gesagt hatte, als der ihn an der Schulter packte. Caelan wandte den Kopf. »Was?«
»Was war da los, Cael? Was hast du da vom Turm erzählt?« Er zögerte. »Und was zur heiligen Sackrunzel ist das für ein Gesichtsausdruck? Bist du besoffen?«
War dieser süßliche Whisky so stark? Hitze rann durch Caelans Adern.
»Ich erkläre euch alles. Gehen wir zurück.«
***
Später, als sie wieder in ihrem winzigen Zimmer waren, fand Caelan keine Ruhe. Er lief auf und ab, was aufgrund der beengten Verhältnisse sehr hektisch wurde, und versuchte, das Chaos in seinem Inneren zu begreifen. Es brodelte in seiner Brust und immer wieder blitzte das Bild von Finn auf, Finn mit der Fackel in der Hand. Wild, mutig. Stark.
Aber das konnte nicht sein. Omegas waren schwach und unterwürfig. Was war da schiefgelaufen? War Finn etwa doch ein Alpha? Nein. Er roch wie ein Omega. Er hatte die zierliche Statur eines Omegas. Aber etwas stimmte mit ihm nicht.
Oder mit mir stimmt etwas nicht, dachte Caelan.
»Bist du nervös?«, fragte Fraser. »Cael? Geht es dir gut?«
»Ja.« Nein. Warum rann diese Hitze durch seinen Leib? Hitze. Vielleicht war es das. Wenn die ersten Omegas soweit waren, brachten sie die Alphas durcheinander. Bestimmt stand Finns Hitze kurz bevor. Aber warum dachte er dann nicht an Albie, den dunkelhaarigen Omega? Der war bereits in voller Hitze.
»Mach dir keine Sorgen, Cael.« Myles streckte sich auf seinem Strohsack aus. »Wir besiegen die Sutherlands. Darum sind wir hier, oder?«
Die Sutherlands. Schon seit Minuten hatte Caelan nicht mehr an sie gedacht. Oder an Connor. Er brummte etwas Zustimmendes und behauptete, dass er noch einmal ins Freie wollte. Dem Wolf etwas Auslauf gönnen.
Weder Myles noch Fraser kamen mit, glücklicherweise. Vermutlich würden sie ihre Ferkeleien von der Reise fortführen, nun, da sie den Raum für sich hatten.
Die Wachen ließen ihn durch und er streifte gleich am Tor die Kleidung ab. Und ließ den Wolf heraus. Seine Glieder verformten sich, er streckte den Rücken durch und ließ die Vorderpfoten ins kalte Gras sinken. Über ihm leuchtete ein gigantischer Mond, fast voll. Sein kühles Licht glänzte auf den Hügeln, die sanft geschwungen waren wie Finns Lippen. Schroffe Felsbrocken durchbrachen das Grün, erhoben sich dort, als hätte die Erde sie mit Gewalt ausgestoßen. Selbst die erinnerten ihn an Finn. An die Wildheit seiner Augen, den Zorn in seiner Haltung.
»Viel Spaß, MacKay«, sagte eine der Wachen und Caelan rannte los. Über Wiesen, die fruchtbar und schwer rochen, Felsen, deren Duft ihm noch vom Sonnenlicht erzählten. Das Meer war nah und er schmeckte das Salz auf seiner Zunge. All seine Sinne waren geschärft, wenn er zum Tier wurde.
Nur als Wolf fühlte er sich ganz. Die Rudel wurden immer zivilisierter, verbargen ihre wölfische Seite, wo sie konnten. Selbst die Kriege wurden nicht mehr in Wolfsgestalt ausgeführt. Schwerter und Pfeile hatten sich als tödlicher erwiesen als Klauen und Reißzähne. Caelan glaubte den neuen Weisheiten nicht. Den Männern, die behaupteten, der Wolf sei nur ein kleiner Teil ihrer Persönlichkeit. Er war die Hälfte. Und es war falsch, das zu vergessen.
Die Landschaft flog unter seinen Pfoten hinweg und der Wind strich über sein Fell. Die Wiesen wurden zu gezackten Klippen. Alle Muskeln spannten sich und er sprang. Hetzte einen Felsen hoch, den er als Mensch mühsam hätte erklettern müssen, sprang von einer Spitze zur nächsten. Er hörte das Meer vor sich, schmeckte die Gischt.
Und dann sah er es. Wie ein schwarzes Tuch lag die See unter ihm. Samten im Mondlicht, trügerisch glatt, wo sie am Horizont verschwand. Und unendlich mächtig. Wellen donnerten gegen die Klippen, tief unter seinen Pfoten. Er schaute über die Kante.
Wenn ich stürze, bin ich tot, dachte er. Egal, in welcher Gestalt.
Sein Atem ging kaum schneller, doch sein Herz raste. Immer noch war Finn überall, durchzog seine Gedanken wie ein roter Faden grauen Tartanstoff. Sie trugen feine Stoffe, hier im Süden. Überhaupt war hier alles größer und edler. Er warf einen Blick zurück auf die Burg, die weit hinter ihm lag. Vor dem Nachthimmel wirkte sie schwarz, die mächtigen Türme wie Stöckchen. Links lag der Omegaturm und Caelans Wolfsaugen erkannten, dass in einigen Fenstern noch Licht brannte. Ob Finn noch wach war? Hatte die Hitze schon eingesetzt?
Ob er an mich denkt? Caelan zuckte zusammen. Missmutig legte er sich auf den schroffen Felsen und stützte den Kopf auf die Vorderpfoten.
Es ist egal, ob er an mich denkt. Vollkommen egal. Und wenn er es tut, bedenkt er mich vermutlich mit Schimpfwörtern.
Kommt her, ihr hässlichen Alpha-Schweine!
Er war mutig, dieser Rotschopf. Nicht mutig für einen Omega. Mutig. Wie seine Augen geblitzt hatten, geisterhaft im Schein der Fackel. Myles hatte behauptet, dass er ihm Angst gemacht hatte. Es war keine Angst, die nun durch Caelans Brust floss. Es war etwas Heißes, Primitives. Und doch so zart wie der Windhauch, der über sein Fell strich. Ein Tropfen landete auf seiner Nase. Es begann zu regnen. Wie eine zarte Berührung ging es auf ihn nieder, der weiche Regen, der sie den halben Weg über begleitet hatte. Der ständig fiel, und den er kaum wahrnahm, wenn er nicht in Wolfsgestalt war.
Was ist das?
Er erinnerte sich an Finns nackten Körper. Heute Mittag hätte er ihn als durchaus ansprechend bezeichnet. Hübsch. Etwas mickrig. Nun lechzte alles in ihm danach, einen zweiten Blick auf den Omega zu werfen. Noch einmal die milchweiße Haut zu sehen, die schimmerte wie das Mondlicht auf den schwarzen Wellenkämmen. Die Sommersprossen zu berühren, süße, winzige Tupfen, die Schultern und Nacken bedeckten.
Hatte er gerade wirklich »süß« gedacht? Dieses Wort war Caelan MacKay noch nie in den Sinn gekommen, so lange er denken konnte. Er fröstelte. Ein Schauer durchlief ihn.
Verdammt, dachte er. Nein.
Die Sutherlands würden kommen. Er würde kämpfen, würde Connors Tod rächen. Er musste die Burg befestigen, die Wachen und Krieger einweisen und dafür sorgen, dass alles bereit war, wenn der Feind angriff.
Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich zu verlieben.
8. Finn
Am nächsten Tag begann es bei Leighton und zwei anderen. Finn konnte es kaum ertragen, wie fiebrig sein Freund schaute, wie verzweifelt er sich nachts auf seinem Strohsack wand.
Der Mond schien in den winzigen Raum, in dem sie mit vier anderen Omegas lagen. Albie war ebenfalls darunter. Die ganze Nacht über konnte Finn nicht schlafen, lauschte in angespannter Erwartung auf die Geräusche hinter sich. Leightons unterdrücktes Stöhnen, das Knistern des Strohs, das Rascheln der Laken. Erst verschämt, dann lauter, als sein Freund die Vorsicht vergaß. Das leise Wimmern. Es fuhr ihm direkt zwischen die Beine und sorgte dafür, dass er ebenfalls Hand an sich legte. Erst unauffällig, dann viel zu laut. Er biss in das raue Leintuch, um das Jaulen zu unterdrücken. Der süße Hitzeduft hing schwer im Raum. Als Finn fertig war, begann Albie von Neuem, und dann wieder Leighton. Der murmelte etwas. So leise, dass nur Finn es verstand.
»Caelan.« Hitzige Worte, in Stroh und Leinen gemurmelt. Inbrünstig und zärtlich.
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