»Hallo.« Myles strahlte den ganzen Raum an, aber vor allem jemanden, der ganz hinten saß. Oh. Hinter einem Dutzend Augenpaaren, die sie ansahen, erkannte Caelan den Rotschopf. Der starrte finster zurück. Ja, er schaute ihn an, als wollte er ihn zum Kampf herausfordern. Langsam hob er etwas hoch. Etwas Graues. Caelans Umhang. Der Omega wackelte mit der Augenbraue, spöttisch, als wollte er sagen: Hol's dir doch, wenn du dich traust.
Diese kleine Kackbratze, dachte Caelan. Er würde ihn später zurechtweisen. Gerade begnügte er sich damit, in die Runde zu nicken.
»Caelan, Fraser und Myles vom MacKay-Rudel«, sagte Lachlan. »Sie sind hier, um uns zu helfen, falls die Sutherlands angreifen.«
Ein Raunen ging durch den Saal. Omega-Augen weiteten sich. Selbst der Rothaarige wirkte verunsichert. Gut.
»Falls die Sutherlands angreifen?«, fragte ein Alpha aus der vorderen Reihe. »Warum sollen sie uns angreifen?«
Lachlan MacFarlane zögerte nicht. Seine Miene wurde härter, als er antwortete. »Sie ziehen nach Süden. Nach den Kämpfen mit unseren Freunden, den MacKays, sind sie auf die nächste Beute aus.«
Kälte rann durch den Saal, trotz des Feuers im Kamin. Es war so still, dass sie die Scheite knacksen hörten.
»Na, dann sollen sie kommen!« Ein fast glatzköpfiger Alpha sprang auf. »An uns werden sie sich die Zähne ausbeißen!«
Jubelrufe brandeten durch den Saal, gefolgt von farbenfrohen Beschreibungen, was man den Sutherlands antun würde, wenn sie sich zur Burg der MacFarlanes trauten. Selbst einige Omegas machten mit.
Plötzliche Trauer ergriff Caelan. So hatte er selbst gejubelt, vor einem halben Jahr. Als die Sutherlands auf Burg MacKay zumarschiert waren. Es schien Jahrhunderte her zu sein. Connor war an seiner Seite gewesen.
»Genau!«, röhrte Lachlan. »Wir sind stärker als diese Bastarde! Wir haben sie damals am Loch Shin geschlagen und in Ullapool! Wir werden es wieder tun! Und wir haben unsere Cousins hier, die wissen, wie diese Dreckskerle kämpfen!« Wieder landete seine Hand auf Caelans Schulter.
Der Jubel wurde lauter. Myles und Fraser badeten darin. Caelan stand stocksteif da und kämpfte gegen die Erinnerungen, die in ihm aufstiegen. Sie hatten gejubelt, damals. Und dann waren die Sutherlands gekommen und der Jubel war verstummt. Unbehagen krallte sich in ihm fest, als er an das Banner dachte, rostrot wie getrocknetes Blut. Wie Peitschenhiebe hatte es geklungen, wenn es im Wind flatterte.
»Setz dich zu uns«, sagte Lachlan und deutete auf seinen Tisch. Sein Omega-Gefährte saß dort, nicht mehr jung, aber hochschwanger. Daneben drei Männer, von denen Caelan nur einen kannte: Eric, die rechte Hand des Rudel-Chiefs. Die anderen beiden mussten ebenfalls hochrangig sein, wenn er nach dem aufwendigen Karomuster ihrer Kilts ging. Sein eigener war schlicht. Aber auf Äußerlichkeiten kam es nicht an.
»Gerne«, sagte er und wollte das Wort an seine Gefährten richten. Aber die unhöflichen Mistkerle waren schon unterwegs in die Menge. Vermutlich wollten sie sich um ihre bescheuerte Wette kümmern.
Wehe, ihr macht den MacKays heute Schande. Wenn die beiden Trottel einen Zweikampf herausfordern oder mit einem vergebenen Omega erwischt werden, erwürge ich sie eigenhändig.
Die Freundschaft zwischen den MacKays und den MacFarlanes war erst wenige Jahrzehnte alt und empfindlich wie ein halb verheilte Wunde. Ein falscher Schritt und alle Rudelmitglieder würden sich sofort an die Schlacht am Naver erinnern, bei der sie auf verschiedenen Seiten gestanden hatten.
Das Essen kam und alle jubelten erneut. Zwei Omegas schleppten den Kessel mit Eintopf herein und ein dritter verteilte ihn auf den Tellern. Angefangen beim Rudel-Chief und seinen Vertrauten. Und Caelan. Schon bald waren sie in ein Gespräch vertieft. Lachlan wollte alles über die Sutherlands und ihre Angriffsstrategien wissen, an das Caelan sich erinnerte.
»Wie viele sind es noch?«, fragte Lachlan und hielt seinem Omega das Whiskyglas hin. Der füllte es nach.
»Ich weiß es nicht«, sagte Caelan. »Angegriffen wurden wir von mindestens fünfhundert. Aber sie haben viele verloren.« Grimmiger Stolz stieg in ihm auf. »Mein Bruder und ich haben allein siebenundzwanzig von den Drecksäcken abgestochen.«
Beeindrucktes Nicken und Schulterklopfen. Ein Kloß steckte in Caelans Hals, aber er ignorierte ihn. Er wollte jetzt nicht an Connor denken.
»Sie sind geschwächt, aber sie machen weiter. Burg MacKay hat ihnen nicht gereicht. Das Rudel wird sich ausruhen, neu aufstellen und weiterziehen.« Er probierte den Whisky. Süßer als der, den er gewohnt war. Trotzdem nicht schlecht.
Lachlan winkte und ein weiterer Mann gesellte sich zu ihnen. Harris, der Krieger, den sie zusammen mit dem rothaarigen Omega erwischt hatten. Ob Myles doch recht hatte und die beiden sich miteinander vergnügt hatten? Bilder stiegen in ihm auf, in denen die weißen Schultern und schlanken Hüften des Rothaarigen eine wichtige Rolle spielten.
»Harris.« Lachlan bedeutete ihm, sich zu setzen. »Caelan erzählte, dass sie bei ihnen über die Burgmauern geklettert sind. Kann das bei uns auch passieren?«
»Nein.« Harris lachte verächtlich. »Unsere Mauern sind doppelt so hoch wie die im Norden. Bis die auf der Mitte sind, haben wir sie längst entdeckt.«
Lachlan rieb sich das stoppelige Kinn. »Caelan, du schaust dir morgen die Mauern an, zusammen mit Harris und Eric. Überprüft, ob sie sicher sind.«
Eric und Harris nickten. Harris eher widerwillig. »Aber ich sag's euch, die sind sicher.«
»Das dachten wir auch«, erwiderte Caelan.
»Das glaub ich.« Harris schnaubte leise.
Caelan sah ihn an, unverwandt. Myles nannte das seinen Todesblick. Angeblich war es anderen Menschen unangenehm, wenn man sie lange musterte, ohne zu blinzeln. Harris erwiderte den Blick erst, dann rutschte sein Blick auf die Tischplatte und dann räusperte er sich.
»Wie sind sie über die Mauer gekommen?«, fragte Eric.
»Haken und Seile.« Caelan erlöste Harris und sah auf den Whisky in seinem Glas. »Sie waren schnell. Wir haben sie runtergeschnitten, wo wir konnten, aber sie hatten einen Scheinangriff am Tor gestartet und wir haben zu spät gemerkt, was sie vorhaben.«
»Dein Bruder ist dort gestorben, nicht wahr?« In Erics Frage schwang verhaltenes Mitleid mit.
»Nicht auf der Mauer.« Connor war vor dem Omegahaus gestorben. Er hatte sein Leben für seinen Gefährten gegeben, der zu schwach gewesen war, um zu kämpfen. Körperlich und im Herzen. Nach Connors Tod, nachdem die Sutherlands sie überrannt hatten, war Connors Gefährte zum Partner eines Sutherland-Alphas geworden.
»Es tut mir leid.« Lachlan lächelte grimmig. »Aber bald kannst du es ihnen heimzahlen, mein Junge.«
»Deshalb bin ich hier.«
Schulterklopfen und Lachen. Alle stießen mit ihm an, selbst Harris. Der schien sich hier wohl zu fühlen und blieb. Am Tisch des Rudels-Chiefs zu sitzen war eine Ehre und er würde erst gehen, wenn sie ihn verjagten. Caelan widerstand der Versuchung, ihn nach dem rothaarigen Omega zu fragen. Ungefähr eine Minute lang.
»Was war da heute Mittag los?« Er grub den Löffel in seinen Eintopf und schob ihn sich in den Mund.
Harris schnalzte mit der Zunge. »Ach, der kleine Fuchs war mal wieder unverschämt. Dem sollte dringend einer die Bäckchen versohlen.«
»Der Ansicht bin ich auch.« Der Eintopf schmeckte nicht schlecht, auch wenn Caelan die Kräuter seiner Heimat vermisste. »Bei uns würde ein Omega es niemals wagen, in einen Bereich einzudringen, der verboten ist.«
»Hier schon.« Ein dreckiges Grinsen. »Aber ich beschwer mich gar nicht. Wenn die Bücklinge so blöd sind, in unseren Turm zu kommen, können wir mit ihnen machen, was wir wollen.«
War das sein Ernst? Caelans Erstaunen