Finn und Leighton drehten sich um. Wenn er wieder zu Verstand kam, würde Albie zu schätzen wissen, dass sie ihm seine Privatsphäre gegönnt hatten. Gerade nicht. Da stöhnte er, und Finn konnte nicht erkennen, ob es lustvoll oder gequält war.
»Unglaublich«, flüsterte Leighton Finn zu. »Wenn ich mich auch so verhalte, fessel mich bitte.«
»Albies Hitze ist immer stark.« Finn hoffte wirklich, dass Leighton sein Verhalten vom letzten Jahr vergessen hatte.
»He, weißt du noch, wie du dich vor mir auf dem Boden gewälzt hast?«
Hitze stieg in Finns Wangen. »Weißt du noch, wie du gedacht hast, hinter dem Vorhang hört dich keiner?«
»Sei ruhig.« Leightons Ohren schimmerten rot. »Was in Hitze geschieht, ist nie geschehen, klar?«
»Sehe ich genauso.« Finn unterdrückte den Aufruhr in seinem Inneren. Albies gehetzte Geräusche machten es nicht einfach.
»Was wollten diese beiden MacKays eigentlich von dir?« Leighton betrachtete die Wand, als wäre sie hochinteressant. »Seit wann kriegst du so viel Aufmerksamkeit von Alphas? So hübsch bist du echt nicht.«
Finn ignorierte den Schmerz. »Ich bin wunderschön«, knurrte er. »Keine Ahnung, was die hatten. Denen bin ich heute Mittag begegnet, als Harris mich verfolgt hat.«
»Als du Caelan getroffen hast, meinst du.« Leighton überlegte. »Er ist schön, oder? Wirklich schön. Bei ihm merkt man den Wolf mehr als bei anderen, aber das ist ziemlich anziehend.«
»Er ist ein humorloser Langweiler. Bei dem schlafen dir die Füße ein, wenn er dein Gefährte wird.«
»Er hat Humor. Immerhin hat er über deinen Witz gelacht. Und so lustig war der nicht.« Leighton zögerte. »Du versuchst nicht, dich bei ihm anzubiedern, oder?«
»Was?! Warum sollte ich mich bei ihm anbiedern?«
»Weil du scharf auf ihn bist?« Leightons Blick war eine Klinge. »Du bist irgendwie komisch, seit du ihn getroffen hast. Du kannst dich auf nichts mehr konzentrieren und beim Essen hast du dauernd zu ihm rübergeschaut.«
»Habe ich nicht!« Finn ballte die Fäuste. Hatte er das? Der Umhang in seinem Schoß hatte ihn irritiert. Auch jetzt glaubte er, dass ihm der verwirrende Duft des Alphas noch anhaftete. Schwer und würzig und wild wie das Meer bei Sturm.
»Hoffentlich.« Das Lachen war aus Leightons Augen verschwunden. »Er gehört mir, klar? Caelan ist mein Gefährte. Dräng dich nicht dazwischen.«
Ein langgezogenes Heulen hinter ihnen. Albie war fertig. Finn wandte sich zu ihm um und sah, wie er eine besudelte Hand am Boden abwischte. Langsam erhob er sich.
»Na, besser?« Leighton grinste schon wieder.
»Ein bisschen.« Albies Augen schimmerten fiebrig. »Ihr kennt das ja.«
Sie kannten es. Es reichte nie. Das Einzige, was die Erlösung brachte, war das Ende der Hitze. Oder die Berührung eines Alphas, aber die konnte genau so gut mehr Schmerzen mit sich bringen. Oder sogar den Tod. Finn schluckte schwer.
»Komm, wir bringen dich in den Turm«, sagte er und hakte Albie unter. »Da bist du sicher.«
»Sicher? Vor wem?«, erklang eine Stimme hinter ihnen.
Sie fuhr in Finns Magen wie ein Dolchstoß. Panik erfüllte ihn und als er sich umdrehte, wollte er heulen.
Vier Alphas standen am anderen Ende des Flurs. Er kannte sie. Er kannte ihre vor Gier verzerrten Gesichter. Es waren Freunde von Harris, andere Wächter. Leon, Darragh, Dexter und Lincoln. Alle kräftig, alle gefährlich. Klar, die waren Kämpfer. Auch, wenn sie gerade keine Schwerter in den Händen hielten.
Finns Füße waren aus Blei. Lauf!, dachte er, aber er tat es nicht. Und als er sich umwandte, sah er, dass hinter Albie und Leighton ein weiterer Kerl aufgetaucht war: Cooper. Er grinste ein zahnlückiges, hungriges Grinsen. Finn schauderte. Mist. Sie hatten zu langen gebraucht. So lang, dass die Fünf sie einkesseln konnten. Der sechste, Harris, fehlte. Finn hatte einmal gehört, dass diese Gruppe sich das Pack nannte.
Er spürte Leighton und Albie hinter sich. Instinktiv schob er den Körper vor sie, schirmte sie vor den Blicken der Vier vor ihm ab. Vielleicht konnten die beiden Omegas mit einem Alpha fertig werden. Und er … Wie zur dreifachen Arschfalte sollte er mit denen zurechtkommen?
Gar nicht, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Leg dich einfach hin und hoff, dass sie es nicht übertreiben.
»Ich will ihn zuerst, klar?« Leon atmete schwer. Noch war er einen halben Flur weit entfernt.
»Nein.« Der Wolf färbte Dexters Stimme, roh und lüstern. »Er gehört mir.«
»Wir teilen.« Leon grinste fiebrig. »Kleiner Fuchs, geh aus dem Weg, dann passiert dir nichts. Wir wollen nur ihn. Der hat uns letztens schon hingehalten. Dabei will er es. Das kann ich riechen.« Seine fleischige Zunge leckte über vernarbte Lippen.
Panik krallte sich in Finn. Sein Körper versteinerte. Er war so klein, so schwach. So nichts. Ein Würmchen, im Vergleich zu den anderen.
»Ich will nicht!«, rief Albie. Er war leichenblass. »Ich hab euch letzte Woche schon gesagt, dass ich nicht will!«
Dexter lachte und die anderen stimmten ein. »Ein Bückling will nichts. Ein Bückling bückt sich.« Das Echo seiner Stimme hallte durch den Flur. »Kommt, Jungs. Zeigen wir ihm, wo wir unsere Messer versteckt haben.«
»Nein!« Finn war überrascht, wie kräftig er klang. »Ihr fasst ihn nicht an! Wir sind nicht im Alpha-Turm! Ihr habt nicht das Recht, ihn anzufallen!«
Die Vier verharrten. Ärger zog über ihre Gesichter. Nur Dexter lächelte weiter.
»Sieht aus, als müssten wir den kleinen Bückling in den Alpha-Turm schleppen. Los, packt mit an!«
»Nein!« Finn breitete die Arme aus. Eine komplett nutzlose Geste. Die vier näherten sich, lauernd und gierig. Hinter Finn erklang ein nasses Geräusch. Ein gehetzter Blick über die Schulter und er sah, wie sich eine Pfütze zwischen Albies Beinen bildete. Panisch sah der Finn an, die Augen weit wie die eines sterbenden Kaninchens.
»Lass mich nicht allein«, flüsterte er. »Bitte, Finn.«
»Finn!« Leighton ging langsam rückwärts. Auf Cooper zu, dessen Blick aber auf Albie gerichtet war. »Finn! Hauen wir ab! Die wollen nur ihn!«
Eine feige kleine Stimme flüsterte Finn zu, dass Leighton recht hatte. Sie konnten ungeschoren hier rauskommen. Die Fünf würden Albie verschleppen und wenn er schwer verletzt wieder auftauchte, würden sie behaupten, er wäre ihnen freiwillig in ihren Turm gefolgt. Finns Wort würde gegen ihres stehen, und das Wort eines Omegas hatte kein Gewicht. Er atmete ein. Seine Kehle war so eng, dass es wehtat.
»Ich lass dich nicht allein, Albie«, flüsterte er und schoss los. Zur Seite. Zur Wand, an der die nächste Fackel hing. Er riss sie aus der Halterung, gerade, als Dexter fast bei Albie war und schlug sie gegen dessen Arm. Heulend sprang Dexter zurück.
»Du kleiner Drecksack!« Hass loderte aus seinen Augen. »Mein Arm! Dafür reiß ich deinen Arsch in Stücke, Finn!«
Finn hielt die Fackel vor sich. Die Flammen loderten, beleuchteten seinen schwächlichen, zitternden Arm. »Lass uns in Ruhe!«
»Niemals!«, fauchte Dexter. »Der kleine Bückling gehört uns! Und du auch!«
Noch zögerten sie. Noch standen die Vier vor ihm und starrten auf die Fackel in seinen Händen.
»Was soll das, Bückling?« Leon grinste. »Meinst du, du kannst uns aufhalten? Du Schwächling?«
Die Worte drangen unter Finns Haut. Ja, er war schwach. Schwach und erbärmlich und klein noch dazu. Das Zittern in seinem Arm wurde stärker. Doch gerade, als er ihn senken wollte, als er sein nutzloses Vorhaben aufgeben wollte, erwachte etwas in ihm. Wut. Grenzenlose, verzehrende Wut. Er packte den Metallgriff