Roberta blickte ein wenig skeptisch drein.
»So etwas funktioniert vielleicht in der Stadt, aber hier draußen bei uns? Ich weiß nicht. Da wo ich früher lebte, gab es auch in meiner Nähe ein vegetarisches Restaurant, das ist mit Pauken und Trompeten eingegangen.«
»Roberta, es gehen immer wieder Restaurants ein, gleichgültig, welche Küche angeboten wird. Es kommt darauf an, dass du gut bist, und das scheint diese Julia Herzog zu sein, sie weiß, was sie will, und ich finde alles auch durchdacht. Sie hat eine kleine Erbschaft gemacht, und die ermöglicht ihr, ihren Traum zu leben. Ich denke, es kann funktionieren. Ich habe auch ein ganz anderes Angebot als meine Vorgänger, und da gab es ebenfalls viele Skeptiker und Zweifler. Aber ich habe auch an mich geglaubt, und es hat funktioniert. Ich finde, der ›Seeblick‹ darf nicht von einer Kette bewirtschaftet werden, da muss ein Einzelkämpfer mit Visionen und Herzblut dran.«
»Und wie ich dich kenne, hast du auf einen ganzen Batzen Geld verzichtet«, sagte sie.
Roberto lachte.
»Ja, habe ich, aber es ist genug für uns übrig geblieben, und niemand sollte gierig sein.« Er seufzte. »So, jetzt weißt du es, es gibt kein Zurück mehr. Susanne und ich freuen uns, unsere Valentina und unser neues Baby werden unter uralten Olivenbäumen spielen. In das alte Gutshaus müssen wir noch eine Menge hineinstecken, ehe es unseren Vorstellungen entspricht, aber so etwas macht mir ja Freude, und dafür habe ich auch ein Händchen. Alles ist ganz wundervoll, bis auf eines …« Seine Stimme wurde leiser, er blickte sie nachdenklich an, »du wirst uns fehlen, Roberta. Es ist ein Geschenk, dein Freund zu sein, und Susanne ist ganz begeistert von dir, weil du ihr von Anfang an offen und freundschaftlich begegnet bist, obwohl sie die Nachfolge deiner Freundin Nicki angetreten hat.«
»Die dich verlassen hat«, fügte Roberta hinzu. »Was ich bis heute nicht verstehe. Und obwohl Nicki meine Freundin ist, muss ich ganz ehrlich sagen, Susanne ist die bessere Frau für dich. Ihr passt ganz wunderbar zusammen. Sie bringt Ruhe in dein Leben, man kann nicht immer auf Wolke Sieben herumturnen, das Leben findet im Alltag statt. Roberto, es ist alles gut wie es ist. Ihr werdet mir auf jeden Fall auch fehlen. Es war schön, mal kurz zum ›Seeblick‹ zu gehen, wunderbar zu essen und vor allem, um zu entspannen, gute Gespräche zu führen. Aber so ist es wohl, alles hat seine Zeit. Ich wünsche euch auf jeden Fall alles Liebe und Gute für den Neuanfang in Italien.«
»Susanne hat es dir ja bereits gesagt, und ich kann es nur wiederholen. Du bist jederzeit herzlich eingeladen, und für dich steht sogar ein kleines Gästehaus bereit, in dem du dich erholen und entspannen kannst.«
Er stand auf, weil er wirklich in Eile war, Roberta bedankte sich bei ihm, dass er extra hergekommen war, um es ihr zu erzählen, dann begleitete sie ihn zur Tür. Sie umarmten sich, verabschiedeten sich voneinander, sie sah ihm nach wie er zu seinem Auto ging, ihr noch einmal zuwinkte, dann stieg er ein und fuhr davon.
Als Roberta wieder ins Haus ging, war ihr das Herz schon ganz schön schwer. Jetzt konnte sie es nicht mehr verdrängen, nicht mehr auf ein Wunder hoffen. Jetzt stand es fest, Roberto Andoni, Susanne und die kleine Valentina würden ihre Zelte hier abbrechen.
Es waren schon mehr Leute gegangen, und deren Weggang hatte sie auch bedauert. Aber das jetzt mit den Andonis, das ging ihr so richtig ans Herz. Sie würde Roberto und Susanne vermissen, am meisten jedoch die kleine Valentina, diesen Sonnenschein, dieses entzückende Baby, das so viele Wünsche und Träume in ihr erweckt hatte.
Die Einladung stand, und die war von Herzen ausgesprochen. Würde sie ihr folgen?
Darüber musste sie sich jetzt keine Gedanken machen. Sie würde eine Weile traurig sein, dann hatte der Alltag sie wieder eingeholt. Alles hatte seine Zeit, Menschen kamen und gingen, Ehen, Lieben und Freundschaften zerbrachen, nichts war für die Ewigkeit bestimmt.
Sie zog ihre Schuhe an, die sie sich extra für diesen Zweck gekauft hatte, dann schlüpfte sie in ihre Wetterjacke und verließ das Haus. Vorsichtshalber steckte sie den Schlüssel vom Haus am See ein. Sie wollte zwar, um den Kopf freizubekommen, um den See laufen, aber man sollte nie nie sagen. Vielleicht würde sie auch nur bis zu seinem Haus gehen und sich dort ihren Träumen an ihn hingeben. Sie vermisste Lars so sehr. Ganz besonders in Situationen wie dieser jetzt. Wie schön wäre es, jetzt bei ihm zu sein, sich ganz eng an ihn zu kuscheln und sich von ihm trösten zu lassen …
Sie hätte wohl besser nicht an den Mann ihrer Liebe gedacht, denn jetzt wurde sie noch trauriger.
Roberto ging mit seiner Familie nach Italien, um mehr von ihnen zu haben, um mehr Zeit mit ihnen verbringen zu können, weil ihm Frau und Kinder heilig waren.
Und sie? Was hatte sie?
Einen Traummann, der klug war, der fantastisch aussah, die unglaublichsten Augen der Welt hatte, mit dem sie reden und lachen und weinen konnte, den sie liebte, der sie liebte, aber der sich dennoch für die Eisbären mehr interessierte als für sie.
Sie war jetzt nicht ganz fair, Lars hatte von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Ihm konnte sie keinen Vorwurf machen, er konnte nichts dafür, dass es da neben ihrem über alles geliebten Beruf noch etwas anderes gab …
*
Rosmarie Rückert trank schnell noch einen Tee, dann würde sie sich auf den Weg in die Seniorenresidenz machen. Sie hätte niemals für möglich gehalten, welchen Spaß es machte, den alten Herrschaften etwas vorzulesen, mit ihnen Spiele zu machen, sich mit ihnen zu unterhalten.
Rosmarie hatte sogar schon einen Tanztee organisiert, und es war ganz unglaublich, mit welcher Begeisterung sie alle getanzt und sich gefreut hatten.
Es gab ja Bewohner, die von ihren Angehörigen regelmäßig besucht wurden, aber viele von ihnen hatte man einfach in dem Altenheim, und das war auch eine Seniorenresidenz, auch wenn das hochtrabender klang, geparkt und sie dann vergessen.
Stella wohnte ja jetzt in Stockholm, aber Fabian wohnte nicht weit von ihnen entfernt. Was würde er wohl tun?
Seit sie alles aus der Nähe erlebte, stellte sie sich diese Frage oft. Würde er sie und Heinz ebenfalls irgendwo parken?
Auf Glanzpapier wurden ja immer wieder die Vorteile eines Lebens in verschiedenen Häusern angeboten, die so teuer waren, dass sie sich ein normaler Sterblicher überhaupt nicht erlauben konnte. Geld war nicht das Problem, davon besaßen sie genug. Heinz hatte vor Jahren sogar schon mal überlegt, sich an so einer Edelresidenz gewinnbringend zu beteiligen.
Also, solange sie Herrin ihrer eigenen Sinne war, würde sie freiwillig nie in so ein Haus gehen. Wenn sie nicht mehr konnte, würde sie sich eine Pflegerin ins Haus holen. Heinz sah das anders, er würde irgendwann ganz gern mal in so ein betreutes Wohnen ziehen, doch das musste er dann allein tun, sie nie!
Aber zum Glück war es noch nicht so weit, sich darüber Gedanken zu machen, wenngleich sie Leute kannte, die sich für später bereits vorsorglich in so ein Haus eingekauft hatten. Dafür musste man geboren sein. Schluss jetzt mit diesen Gedanken.
Sie trank etwas von ihrem Tee, es klingelte, Meta, ihre Haushälterin öffnete, sie hörte ein Stimmengemurmel, dann kam jemand in den Raum, und Rosmarie stellte ihre Teetasse weg, sprang auf, glaubte einen Geist zu sehen.
Dieser Geist war allerdings sehr lebendig, kam auf sie zugerannt, umarmte sie stürmisch und begrüßte sie in einem guten Deutsch mit französischem Akzent.
Es war Cecile, die uneheliche Tochter ihres Mannes, um die sie ein solches Theater gemacht hatte, und mit der sie längst ein Herz und eine Seele war. Es war ein inniges, herzliches Verhältnis, das es zwischen ihr und ihren eigenen Kindern leider nicht gab. Das lag an ihrem Fehlverhalten, weil sie sich früher nicht um Stella und Fabian gekümmert hatte, sondern sie von Kinderfrauen aufgezogen worden waren. Cecile war erwachsen gewesen, als sie im Leben der Rückerts aufgetaucht war, und das hatte Rosmaries Einstellung zum Leben geändert.
»Cecile«,