Inge spürte, wie ihre Kräfte schwanden, dieser Mann war so hasserfüllt, dass er sich an ihrer Bettelei um ihr Leben nur weiden würde.
Was sollte sie jetzt tun?
Sie konnte nichts machen, sie war ihm ausgeliefert. Oder gab es da doch etwas?
Mit letzter Kraft hob sie ihren rechten Arm, und dann kratzte sie ihn am Hals.
Er schrie auf, ließ sie für einen Augenblick los, den Inge ergriff, um erneut um Hilfe zu schreien.
Sie hatte ihn ganz schön erwischt, er blutete am Hals, das Blut tropfte auf sie, weil er direkt über ihr war.
Sie sank in sich zusammen, aber er ließ nicht locker, er war wieder über ihr, um sein Werk zu vollenden. Er kannte keine Gnade, er wollte sie umbringen.
Inge konnte nicht mehr, sie ergab sich in ihr Schicksal.
Und dann geschah etwas, was sie nur am Rande mitbekam.
Sie vernahm Hundegebell, eine Männerstimme rief: »Hasso, komm her.«
Der Druck an ihrem Hals ließ nach, der Verbrecher stand auf, lief davon, ein Schäferhund war über ihr, doch das war überhaupt nicht bedrohlich, und wenig später sah sie einen Mann, der sich über sie beugte und sich ganz besorgt erkundigte: »Was ist passiert?«
Sie konnte nicht mehr, sie konnte kaum atmen, ihr Hals tat weh. Sie hätte gern etwas gesagt, doch es ging nicht, sie wurde ohnmächtig.
*
Als Inge wieder zu sich kam, entdeckte sie um sich herum Rettungssanitäter, neben ihr kniete ein Arzt, aus den Augenwinkeln sah sie den Mann mit seinem Schäferhund.
Ihre Erinnerung kehrte zurück.
Sie begann am ganzen Körper zu zittern, als ihr bewusst wurde, dass sie lebte, der Mann mit dem Schäferhund hatte ihr in letzter Sekunde das Leben gerettet!
Ihre Nerven hielten das nicht durch, sie begann hemmungslos zu schluchzen.
Der Arzt gab ihr eine Spritze, sie merkte den Einstich nicht, sie bekam auch kaum mit, dass man sie auf eine Trage legte und abtransportierte.
Was machte man da mit ihr?
Sie wollte sich dagegen wehren, doch sie war einfach zu kraftlos, Widerstand zu leisten, irgendwann ließ sie es geschehen. Sie war in Sicherheit, und das war es, was zählte. Außerdem begann die Beruhigungsspritze ihre Wirkung zu zeigen, eine träge Schläfrigkeit breitete sich in ihr aus.
Sie bekam nicht mit, dass man sie nach Hohenborn ins Krankenhaus brachte, dort untersuchte. Als man allerdings ihre blutverschmierte rechte Hand säubern wollte, schrie sie: »Lassen Sie das sein, unter meinen Fingernägeln müssen sich DNA-Spuren meines Angreifers befinden.«
Das war es, was sie zuerst hörte, als sie wieder klar bei Sinnen war, ihr Verstand funktionierte, das war wichtig, dass sie kaum schlucken konnte, das war zweitrangig.
An ihrem Bett saß Kriminalhauptkommissar Fangmann, der ihr das erzählte.
»Wieso sind Sie hier?«, erkundigte sie sich.
Er grinste.
»Weil Sie, halb bewusstlos wie Sie waren, nur zwei Dinge im Kopf hatten, das mit der DNA und nach mir zu verlangen, so einfach ist das.«
Ehe Inge dazu etwas sagen konnte, blickte sie auf ihre rechte Hand, die war sauber, keine Spur von Blut. Sollte alles umsonst gewesen sein?
Der Kommissar war ihrem Blick gefolgt, und ehe sie sich aufregen konnte, ergriff er beruhigend ihre Hand.
»Es ist alles in Ordnung, Frau Auerbach. Wir haben die Spuren gesichert, sie sind zur Auswertung im Labor, und wenn wir ihn im System haben, dann kriegen wir ihn, ansonsten ist es eine Frage der Zeit. Sind Sie noch zu schwach, oder können Sie mir sagen, was da wirklich passiert ist? Ein Mann mit einem Schäferhund, der sich zufällig am See befand, hat Sie offensichtlich gerettet, und er hat auch nach der Polizei und einem Krankenwagen gerufen. Genaue Angaben über Ihren Angreifer konnte er nicht machen, und ich vermute, Sie wahrscheinlich ebenfalls nicht. Aber das hat Zeit, kommen Sie erst einmal zur Ruhe, man wird Sie auf jeden Fall zur Beobachtung im Krankenhaus behalten, ich kann also später wiederkommen oder morgen.«
Er stand auf, wollte gehen, doch Inge hielt ihn am Ärmel fest.
»Es war der Mann, den ich an unserem Grundstück erwischt und dem ich das Smartphone abgenommen habe«, sagte sie leise, »er muss mich die ganze Zeit über beobachtet haben, und er …«
Sie konnte nicht weitersprechen, weil sie sich daran erinnerte, was am See geschehen war. Ihr Leben war keinen Pfifferling mehr wert gewesen, und wäre dieser Fremde mit seinem Schäferhund nicht hinzugekommen, dann …
Ein trockenes Schluchzen hinderte sie am weitersprechen, sie sah seine teuflische Fratze vor sich, spürte den Druck seiner Hände an ihrem Hals.
»Es ist gut, Frau Auerbach, quälen Sie sich nicht weiter. Ihre Angaben genügen mir schon mal.«
Nein!
Er durfte jetzt nicht gehen, ehe sie ihm alles erzählt hatte. Auch wenn es ein wenig mühsam war, auch wenn sie zwischendurch von Weinkrämpfen geschüttelt wusste. Er musste alles wissen, um diesen Verbrecher dingfest zu machen.
Sie erinnerte sich, sie versuchte, ganz ruhig zu bleiben, was Inge schließlich auch gelang. Dann erzählte sie diesem netten Herrn Fangmann alles, woran sie sich erinnern konnte.
Schon als sie zum ersten Mal bei ihm gewesen war, war dem Beamten aufgefallen, wie präzise diese Frau ihre Aussage gemacht hatte. Es jetzt tun zu können, nach allem, was geschehen war, war verdiente Anerkennung, Bewunderung.
Der Hauptkommissar bedankte sich bei Inge, dann sagte er: »Frau Auerbach, es war ganz großartig, dass Sie in einer solchen Gefahrensituation noch einen klaren Kopf behalten haben. Dass Sie diesen Mann gekratzt haben, das hilft uns sehr weiter, und natürlich werden wir noch häufiger den Sonnenwinkel im Auge behalten. Ich verspreche Ihnen, dass ich alles daransetzen werde, diese Bande zu fassen, damit Sie endlich wieder ruhig schlafen können.«
Inge wurde rot.
Ein Arzt kam herein, hantierte mit einer Spritze herum, die Inge schläfrig machte.
Das war für den Kommissar ein Zeichen, sich zu verabschieden, was Inge nur noch am Rande mitbekam.
Sie war in Sicherheit, das allein war es was zählte, und sie vertraute diesem netten Herrn Fangmann, dass er den Verbrecher und seine Komplizen fangen würde.
Inge bekam nicht mit, wie ihr Werner ins Krankenzimmer gestürmt kam und aufgeregt rief: »Inge, Liebes, was machst du denn für Sachen.«
Sie bekam auch nicht mit, wie Werner sich einen Stuhl neben ihr Bett zog, sich hinsetzte, ihre Hand ergriff und sie unverwandt anblickte. Man hatte ihm erzählt, was geschehen war. Und er wollte einfach nicht daran denken, was passiert wäre, wenn die Rettung nicht im letzten Moment gekommen wäre. Dieser Typ hätte Inge gnadenlos erwürgt.
Nein, das wollte er sich nicht vorstellen, weil ein Leben ohne seine Frau nicht ging. Sie war seine zweite Hälfte, sie war sein anderes Ich.
Eine Krankenschwester kam herein, um sich bei ihm zu erkundigen, ob er vielleicht einen Kaffee haben wollte. Sie zog sich lautlos zurück, als sie bemerkte, dass Professor Auerbach weinte.
*
Nach zwei Tagen war Inge wieder daheim, man brachte ihr Blumen. Inge konnte gerade verhindern, dass man sie für die Zeitung interviewte.
Das Leben im Sonnenwinkel hatte sich verändert. Die angenehme Sorglosigkeit war dahin, Angst ging um. Alle waren sie vorsichtig, allein traute sich niemand mehr an den See. Solange dieser Verbrecher auf freiem Fuß war, konnte es jeden von ihnen treffen. Wusste man denn, was im Kopf eines so skrupellosen Menschen vor sich ging?
Werner hatte sich für die