Er blickte sie erstaunt an.
»Die Welt hier ist klein, ich habe es von Frau Auerbach erfahren, der Mutter Ihrer Vermieterin.«
»Frau Auerbach ist eine sehr sympathische Person«, sagte er. »Und ist es nicht rührend, sie hat uns sogar schon Brot und Salz gebracht, das soll ja Glück bringen, und das können wir gebrauchen.«
»Glück kann man immer gebrauchen«, bemerkte Angela, sie konnte ihm jetzt nicht sagen, dass sie von Inge sein Schicksal kannte. Sie hatte nur nicht den Namen Bredenbrock mit ihrem Retter vom See in Verbindung gebracht.
Sie erzählte ihm, dass sie mit ihrer Mutter noch nicht lange im Sonnenwinkel wohnte, dass sie sich aber unglaublich wohlfühlten. »Hier lebt man nicht so anonym wie in der Großstadt, hier gibt es wirklich noch eine gut funktionierende Nachbarschaftshilfe.«
»Das hört sich gut an, doch sagen Sie das mal meinen Kindern, die kommen sich hier vor wie in dem Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses. Sie vermissen die Großstadt sehr, und es gelingt mir nur hin und wieder sie abzulenken. Als wir in einem Freizeitpark waren, hatte ich das Gefühl, der Knoten sei geplatzt. Die gute Stimmung hielt keine vierundzwanzig Stunden an, dann war es wieder vorbei. Ich hoffe, sie heute ein wenig zu versöhnen. Ich habe ihnen versprochen, ein Ratatouille für sie zu machen, das lieben sie seit einem Frankreichaufenthalt. Und im Gegensatz zu anderen Kindern mögen sie Gemüse. Ich will mein Bestes geben, aber ich habe keine Ahnung, ob mir das gelingen wird.«
Sie unterhielten sich noch ein wenig, dann klingelte sein Handy. Er machte ein ganz bestürztes Gesicht, entschuldigte sich und bemerkte: »Verflixt noch mal, ich habe total einen Termin an meiner neuen Schule vergessen. Der ist mir durchgegangen, und meine Kinder kann ich nicht erreichen, die sind mit der kleinen Auerbach unterwegs, und mein Kochen, das kann ich jetzt ebenfalls knicken. Kennen Sie das auch? Wenn etwas schiefläuft, dann läuft aber auch alles schief.«
Angela bekam schon Mitleid mit ihm, klar überforderte ihn alles, und wenn er nun auch noch für seine Sprösslinge kochen musste.
Sie hatte plötzlich eine Idee.
»Ich habe lange in Frankreich gelebt, und ich bin bekannt für mein Ratatouille, lassen Sie mich das doch übernehmen, und ich kann dann auch Ihre Kinder ins Haus lassen und bleiben, bis Sie wiederkommen.«
Er starrte sie an, glaubte, sich verhört zu haben.
»Das würden Sie tun?«, erkundigte er sich.
Sie nickte.
»Ja, gern sogar. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass hier im Sonnenwinkel die Nachbarschaftshilfe groß geschrieben wird. Außerdem haben Sie etwas gut bei mir, schon vergessen, dass Sie meine Fahrradkette wieder aufgezogen haben?«
Er war noch immer verunsichert, aber auch sehr erleichtert. Angela nahm es in die Hand, die nötigen Einkäufe zu tätigen, denn das, was er da in seinem Einkaufskorb hatte, daraus konnte man etwas Leckeres zubereiten, aber ganz gewiss kein Ratatouille.
Alles war schnell erledigt, dann gingen sie zusammen in sein Haus, er gab ihr die Schlüssel, erklärte ihr alles, und wenig später hörte man ihn mit seinem Auto eilig davonbrausen.
Er hatte es schon richtig ausgedrückt, als er sagte, er und seine Kinder zögen ein. Fast nichts war an seinem Platz, da gab es noch eine Menge Arbeit. Er konnte einem so richtig leidtun, er war ein so netter, sympathischer Mann, dieser Herr Dr. Bredenbrock. Also, wenn sie jünger wäre, dann könnte er ihr gefallen. Aber das war jetzt nicht das Thema.
Da die Küche bereits eingerichtet war, hatte sie da wenigstens keine Probleme. Sie sah sich um, deckte schon mal den Tisch für die Kinder, und dann begann sie mit ihrer Arbeit. Es machte Spaß, und um ihre Mutter musste sie sich zum Glück keine Gedanken machen. Die von Roths hatten sie mit nach Hohenborn genommen, ohne Rollstuhl, nur mit einem Rollator, das war eine Premiere, und ihre Mutter war aufgeregt wie ein kleines Mädchen an Weihnachten. Angela dankte dem Himmel immer wieder, dass sie hierher gezogen waren, ohne zu ahnen, dass im Sonnenwinkel auch Magnus und Teresa von Roth lebten, die ihre Mutter von verschiedenen Treffen kannte. Es war ein Glücksfall, und es war so rührend, wie die beiden sich um ihre Mutter kümmerten, aber auch Inge Auerbach tat eine ganze Menge.
Es war für sie selbstverständlich, dass sie hier in diesem Haus aushalf. Sie würde Peter Bredenbrock sagen, dass sie gern hier und da einspringen würde. Sie wusste ja nicht, wie es um die schulischen Leistungen seiner Kinder bestellt war. Kind eines Lehrers zu sein bedeutete ja nicht, die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben. Sie würde da gern helfen, die Hausaufgaben beaufsichtigen oder ihnen Nachhilfeunterricht erteilen, ganz besonders in Sprachen. Ja, das war eine gute Idee.
Angela wurde aus ihren Gedanken gerissen, als es an der Haustür klingelte.
Das mussten die Kinder sein, ein perfektes Timing. Das Essen war gerade fertig geworden.
Angela rannte zur Tür, öffnete, es waren Maren und Tim.
»Wer sind Sie denn?«, herrschte Maren sie unfreundlich an. »Was machen Sie in unserem Haus, und wo ist unser Vater?«
Angela konnte den Kindern gerade noch erklären, dass ihr Vater einen dringenden Termin hatte. »Den hat er verschwitzt, und deswegen musste er ganz schnell weg. Ich bin hier, weil ich …«
Sie kam überhaupt nicht dazu, ihren Satz zu beenden.
»Und Sie glauben, sich bei uns einschleichen zu können …« Maren warf Angela einen bitterbösen Blick zu, »unser Vater hat eine Frau, er braucht keine neue, außerdem hat er uns. Verschwinden Sie.«
Sie riss ihren Bruder mit sich weg, rannte an Angela vorbei, die Treppe hinauf. Man hörte Türenschlagen.
Angela brauchte eine ganze Weile, ehe sie sich davon erholt hatte. Wie war dieses Mädchen denn drauf? Und was reimte sich diese Göre zusammen?
Inge Auerbach hatte ja vorsichtig angedeutet, dass es sich bei Maren und Tim um schwierige Kinder handelte.
Schwierig war überhaupt kein Ausdruck, sie waren unerzogen und frech, wobei sich Angela sofort korrigieren musste, der Junge hatte kein einziges Wort gesagt. Es war offensichtlich die Schwester, die das Sagen hatte.
Angela war für einen Augenblick wie gelähmt, dann wurde sie so richtig wütend und rannte, ohne weiter zu überlegen, die Treppe hinauf.
Aus einem der Zimmer drang laute Musik. Damit beruhigten sich Teenies offensichtlich alle.
Sie klopfte, es tat sich nichts, sie drückte die Türklinke herunter. Es war abgeschlossen.
Angela donnerte an die Tür, rief: »Mach bitte sofort die Tür auf.«
Es tat sich nichts, dafür wurde die Musik lauter gedreht.
Angela hatte keine Ahnung, wie man mit pubertierenden Teenagern umging, aber sie ahnte, dass sie sich jetzt nicht die Butter vom Brot nehmen lassen durfte. Dann hatte sie verloren, sie musste sich behaupten, auch wenn sie Konflikte hasste, die hatte sie mit ihrem Exmann zur Genüge gehabt. Sie hatte sich geschworen, so etwas niemals mehr haben zu wollen, doch manchmal konnte man es sich nicht aussuchen.
Sie versuchte es erneut, und wieder geschah nichts, da wurde sie wütend. Wussten diese Gören eigentlich, was ihr Vater für sie auf sich nahm?
Was sie jetzt tat, das tat sie nicht nur für sich, sondern auch für diesen bedauernswerten Mann.
»Wenn du nicht sofort die Tür aufmachst«, schrie Angela, so laut sie konnte, »dann trete ich sie ein. Und das werde ich tun, so wahr mir Gott helfe.«
Die Musik wurde abgestellt, dann näherten sich Schritte, es wurde aufgeschlossen, und dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit.
Ehe sich das Mädchen es anders überlegen konnte, stieß Angela die Tür auf, so heftig, dass Maren beiseite springen musste. Auf einen Blick sah Angela, dass sich Tim ebenfalls im Zimmer befand. Er saß ein wenig verängstigt auf einem Stuhl.
»So«, sagte