Zu lebendig zum Sterben - Skandinavien-Krimi. Kirsten Holst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kirsten Holst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726569490
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      Ich schloss auf und betrat die Wohnung. Ich hatte ein Fenster im Wohnzimmer offen gelassen, aber trotzdem waren es um die dreißig Grad, obwohl es schon nach sechs war. Ich warf meine Tasche auf das Sofa und ging weiter ins Schlafzimmer, wo ich mich auszog.

      Ich warf alles auf einen Haufen, nahm die Sachen mit ins Badezimmer und schmiss sie in den Wäschesack. Ich duschte schnell, zuletzt kalt, und tapste auf nackten Füßen, ohne mich abzutrocknen, ins Schlafzimmer. Ich zog mir ein Höschen und eine ärmellose Bluse an und ging in die Küche. Ich öffnete den Kühlschrank, nahm den Eiswürfelbehälter aus dem Gefrierfach und ließ drei Würfel in ein hohes Glas fallen. Das füllte ich mit Eistee auf und ging auf den winzigen Balkon hinaus, den meine Vorgängerin, die mit dem Wasserbett, hatte anbringen lassen.

      Ursprünglich war hier in der Schräge ein ganz gewöhnliches Dachfenster gewesen, das sie durch eine Konstruktion mit Balkon und Glastür hatte ersetzen lassen. Es war der Balkon, der es mir angetan hatte, als ich die Wohnung zum ersten Mal sah. Ich konnte mir genau vorstellen, wie herrlich es sein musste, dort mit einem Drink in der Abendsonne zu sitzen.

      Obwohl es mir der Balkon angetan hatte, war es der Preis, der den Ausschlag gab. Die Leute reißen sich nicht um einen Nachlass, weil man sich später nicht über Mängel und Fehler beschweren kann. Dass es sich zudem noch um einen Selbstmord handelte, steigerte das Interesse nicht gerade.

      Es gab übrigens noch einen Grund, weshalb der Preis so niedrig war. Meine Vorgängerin hatte ebenfalls einen Nachlass übernommen. Ihr Vorgänger war ermordet worden. Glücklicherweise nicht in der Wohnung, aber trotzdem!

      Das wusste ich nicht, als ich sie kaufte. Rade erzählte es mir, während er Lampen aufhing und Nägel einschlug. Wäre ich abergläubisch gewesen, hätte ich das als schlechtes Omen betrachtet, aber ich glaubte nicht an so etwas.

      Vielleicht hätte ich es doch tun sollen.

      3

      Ich hatte den Wecker für den folgenden Morgen auf Viertel vor sieben gestellt, eine halbe Stunde früher als gewöhnlich. Ich zog mich schnell an, trank ein Glas Saft und radelte zum Schwimmbad in der Östre Allee. Seit ich wieder zu Hause war, war ich jeden Morgen geschwommen. Tausend Meter. Heute hatte ich es eilig, ich wollte zu meiner Verabredung mit Henrik nicht zu spät kommen. Normalerweise gehe ich eine Viertelstunde in die Sauna, bevor ich ins Becken springe, aber das ließ ich aus. Ich schwamm die tausend Meter in einer halben Stunde. Das reichte an meine beste Zeit bei weitem nicht heran, aber mir taten von der gestrigen Ruderpartie noch immer die Muskeln weh.

      Denn natürlich war es darauf hinausgelaufen, dass ich gerudert war. Die Jungen hatten meine gesamten Einwände beiseite gefegt, aber ich will ihnen nicht die Schuld geben. Ich bin ein großes Mädchen, ich hätte also Nein sagen können. Ganz einfach.

      Nach dem Schwimmen wusch ich mir unter der Dusche im Umkleideraum die Haare und brauchte fast zehn Minuten, um sie mit dem Föhn zu trocknen. Sie sind lang und dick und brauchen so lange, aber sie abschneiden zu lassen, bin ich nicht bereit. Ich nahm bei allem die Zeit, um genau zu wissen, wie viele Minuten ich morgens einplanen musste. Ich liebe es, die Dinge unter Kontrolle zu haben. Das ist auch eine meiner Schwächen.

      Es war erst Viertel nach acht, als ich wieder in der Stadt war. Ich hatte massenhaft Zeit. Wenn ich richtig zu arbeiten anfing, würde ich direkt vom Schwimmbad zur Arbeit fahren. Dann hätte ich, wenn ich Viertel vor sieben aufstand, sowohl für die Sauna als auch für die Sonnenbank Zeit. Doch heute fuhr ich nach Hause, um mein citydress anzuziehen. Ich stellte die Küchenuhr auf zehn vor neun und machte Kaffee und Toast, während ich mir ein taubenblaues Kostüm aus Seidenleinen mit einer passenden dünnen Seidenbluse anzog.

      Ich zog die Augen mit Kajalstift nach und legte hellblauen Lidschatten auf, der meine Augen noch blauer aussehen ließ, als sie von Natur aus waren. Ich beendete das Ganze, indem ich die Wimpern mit schwarzem Mascara tuschte und die Lippen korallenrot nachzog.

      Als Letztes zog ich ein Paar hochhackige Schuhe an, sah mich prüfend im Spiegel an und nickte zufrieden.

      So! Einfach und gepflegt und sehr, sehr damenhaft!

      Die Küchenuhr schellte, ich nahm meine Tasche, ging hinaus, schlug die Tür hinter mir zu und rüttelte ein einziges Mal an dem Türgriff, um mich zu versichern, dass sie geschlossen war.

      Henriks Firma heißt NSC, Nordjütisches Sicherheits-Consulting!

      »Das klingt wie der Zusammenstoß zweier Kulturen«, lachte ich – ein bisschen höhnisch –, als ich es hörte.

      Henrik zuckte nur mit der Schulter. »Stimmt, aber das ist es im Grunde genommen wohl auch.«

      Ich wohne mitten in der Stadt nur ungefähr fünf Gehminuten vom NSC entfernt, das direkt am Boulevard liegt, aber ich hatte ein paar Extraminuten einkalkuliert wegen der Treppe und der hochhackigen Schuhe.

      Ich schellte genau in dem Moment, in dem die Kirchenuhr neun Uhr schlug.

      Henrik öffnete mir selbst die Tür. Er riss die Augen auf, als er mich sah.

      »Hei, Bea! Du siehst fantastisch aus! Und pünktlich wie immer.«

      »Hei«, sagte ich ein wenig überrascht. Hatte er nicht einmal eine Sekretärin?

      Er deutete meine Überraschung richtig. »Meine Sekretärin – sie heißt Bente – kommt erst um zehn nach neun. Das passt besser mit ihrem Bus. Bis dahin bin ich fürs Praktische zuständig. Komm mit in mein Büro. Ich habe gerade Kaffee gekocht, willst du eine Tasse?«

      Ich nickte. »Ja, danke.«

      Ich hatte bereits zwei Tassen zu Hause getrunken, weshalb ich nicht Ja sagte, weil ich einen Kaffe brauchte, sondern um nicht ungesellig zu sein.

      Das NSC war in einer großen herrschaftlichen Wohnung in der zweiten Etage untergebracht. Soweit ich sehen konnte, während ich Henrik in sein privates Büro folgte, gab es außer der Rezeption noch ein paar Büros, eine Kantine und diverse Archivräume. Das NSC schien ein blühendes Geschäft zu sein.

      »Lass mich dich einmal richtig ansehen«, sagte er, als wir in seinem Büro waren. Einem großen, schönen Eckzimmer mit Stuckdecke, Rahmentür und stilvollen, aber nicht protzigen Möbeln, die Glaubwürdigkeit und Solidität förmlich ausstrahlten. Das war sicher auch beabsichtigt. Ich stand mitten im Zimmer und kam mir wie eine Idiotin vor, während Henrik mich ansah.

      »Unglaublich!«, rief er endlich. »Was für ein Glück, dass ich gestern nicht mit dir gewettet habe. Heute hätte ich nicht einmal gewagt, dich zu einem Bier einzuladen.«

      »Zu was dann?«

      Er lachte. »Breakfast at Tiffany’s!«

      »Dann warte erst mal, bis ich mir die Haare hochgesteckt habe. Champagner im Ritz muss es mindestens sein.«

      »Zweifellos! Aber hier und jetzt musst du dich mit Kaffee begnügen. Bitte, setz dich.« In einer Ecke des Raums stand ein Konferenztisch mit acht Stühlen und Henrik zog einen für mich vor. »Wie trinkst du deinen Kaffee?«

      »Schwarz, danke.«

      Er reichte mir eine Tasse und nahm mir gegenüber Platz.

      »Die anderen kommen erst um halb zehn, ich werde also die halbe Stunde nutzen, um dich auf den neuesten Stand zu bringen.«

      »Die anderen?«

      »Ja, es gibt noch drei andere«. Er lächelte. »Hast du geglaubt, du wärst alleine? Für eine Person ist die Aufgabe zu umfangreich. Obwohl ihr zu dritt seid, werdet ihr reichlich zu tun haben.«

      »Sollen die anderen deine Ausführungen nicht auch hören?«

      Er schüttelte den Kopf. »Das sind Veteranen, sie kennen das Geschäft. Zwei sind fest angestellt, die dritte arbeitet seit vielen Jahren freiberuflich für uns.«

      »Drei Mädchen?«

      »Ja. Oder Frauen. Du bist die Jüngste.«

      »Warum?«