Zu lebendig zum Sterben - Skandinavien-Krimi. Kirsten Holst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kirsten Holst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726569490
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mir ein kleines mitwisserisches Lächeln. Sie jedenfalls hatte verstanden, was ich gemeint hatte.

      »Wie sieht sie aus?«, fragte ich.

      »Sie ist Anfang dreißig«, begann Henrik.

      »Erst Anfang dreißig?«, rief ich. »Hast du nicht gesagt, dass ihr Mann fast siebzig ist?«

      »Doch. Der Altersunterschied ist ziemlich groß.«

      »Ja, und ob!«, sagte ich verwundert.

      »Und sie sieht gut aus. Groß, blond, sehr elegant. Ich glaube, wir haben irgendwo ein Foto von ihr, das du dir ansehen kannst.«

      Ich warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. Mir ging langsam auf, dass NSC mehr mit K & L zu tun hatte, als ich zuerst angenommen hatte.

      Warum sollten sie sonst ein Bild von Marion Back-Hansen haben und warum sollten wir uns mögliche Ladendiebe notieren, um gegebenenfalls später darauf zurückgreifen zu können?

      »Wie viele Angestellte hast du eigentlich?«, fragte ich ein wenig später, als ich mit Henrik allein war.

      »Noch immer genauso neugierig, was?«, sagte er zufrieden. »Damit habe ich auch gerechnet.«

      Aber ich bekam keine Antwort auf meine Frage.

      Wir verließen das Büro nacheinander mit einem zeitlichen Abstand von einigen Minuten.

      »Wir können es kaum vermeiden, uns bei K & L zu begegnen«, sagte Ruth, als sie ging. »Vergiss nicht, dass wir uns nicht kennen.« Sie sah auf meine Schuhe. »Und kauf dir Badesalz für die Füße. Du ahnst nicht, wie anstrengend das ist und wie weh dir die Füße tun werden.«

      Ich lächelte und dachte nachsichtig, dass zwischen sechzig und dreißig trotz allem ein Unterschied war, aber das Lächeln war steif geworden, als ich sieben Stunden später mit einem Paket Fußbadesalz unter den vielen anderen Einkäufen und pochenden Kopfschmerzen nach Hause hinkte.

      Ich dankte meinem Gott und Schöpfer, dass ich heute Abend nicht rudern musste. Ich wollte nur noch nach Hause und – die Füße in einem Eimer Wasser, ein Glas Rotwein vor mir und Chopins Nocturnes im CD-Player – auf meinem Balkon sitzen.

      Wenn das so weiterging, würde ich schreiend davonlaufen, bevor die Woche um war.

      »Du warst müde gestern«, sagte Ruth, als wir uns am nächsten Tag im Büro trafen. »Ich habe dich gesehen, als du gegangen bist.«

      »Ich war gestern müde und ich bin heute müde«, sagte ich kurz angebunden.

      Karin lächelte. »So ist es mir auch gegangen, als ich angefangen habe.«

      »Mir auch«, nickte Inge.

      »In Wirklichkeit habe ich große Kaufhäuser immer gehasst«, sagte ich. »Ich weiß, dass viele Leute sie lieben, aber ich gehöre nicht dazu. Mir sind da zu viele Menschen, zu viele Waren, zu viel Berieselungsmusik, zu viel Lärm ...«

      »Kurz gesagt, alles ist einfach zu viel!«, lachte Ruth. »Aber es hilft, wenn du dir die tricks of the trade aneignest.«

      »So lange halte ich das nicht durch«, sagte ich missmutig.

      »Aber sicher doch«, sagte Karin. »Das lernst du schnell.«

      »Okay«, sagte ich herausfordernd. »Bringt sie mir bei!«

      Es war Ruth, die die Herausforderung annahm.

      »Dein Problem ist, dass du deine Rolle nicht definiert hast, Bea«, sagte sie. »Wenn du da durch die Tür gehst, gehst du nicht in ein großes Kaufhaus.«

      »Doch, weiß Gott, dass ich das tue!«, protestierte ich. »Mit Sicherheit.«

      »Und da irrst du dich! Du bist nicht in einem großen Kaufhaus.«

      »Verdammt. Wo bin ich dann?«

      Ruth lächelte. »An deinem Arbeitsplatz. Darauf musst du dich konzentrieren. Du kommst dir wie eine Kundin vor, wenn du durch die Tür gehst, und dann wird alles einfach zu viel. Niemand kann acht bis zehn Stunden Kundin sein. Aber du bist keine Kundin. Dir sind die Waren egal, die Preise, die Reklame, die anderen Kunden und der Lärm, all das ist dir völlig egal. Du machst keinen Einkaufsbummel. Du musst dich lediglich auf die Abteilungen und die Personalgruppen konzentrieren, die auf deinem Tagesplan stehen. Die Sachen kaufen, die wir besprochen haben, und aufpassen, wie die Käufe ablaufen.«

      Die beiden anderen nickten zustimmend.

      »Es ist genau wie beim Autofahren«, fuhr Ruth fort. »Wenn du von Punkt A nach Punkt B willst, konzentrierst du dich darauf. Du machst dir keine Gedanken, was an anderen Orten in der Stadt passiert, du beachtest die Schaufenster nicht, die Leute auf der Straße oder den Verkehrslärm. Du machst keine Spazierfahrt, du bist auf dem Weg von A nach B. Sonst würde dir das auch zu viel.«Sie sah mich an. »Kannst du mir folgen? Verstehst du, was ich meine?«

      Ich nickte. »Aber ich glaube, das ist leichter gesagt als getan.«

      »Wenn wir das können, kannst du das auch«, sagte Karin aufmunternd.

      »Du brauchst nur hinter den knack of it zu kommen«, fügte Ruth hinzu.

      Ich warf ihr einen schnellen Blick zu und hatte eine persönliche Frage auf der Zunge, aber in dem Moment kam Henrik herein und erst nach dem morgendlichen Treffen, als Ruth und ich als Letzte noch übrig waren, bekam ich die Gelegenheit, sie zu stellen.

      »Darf ich dich etwas Persönliches fragen oder ist das gegen die Regeln?«

      Sie lachte. »Nein, frag nur.«

      »Du gebrauchst manchmal englische Ausdrücke. Ich weiß, dass das ziemlich üblich geworden ist, aber du gebrauchst sie anders. Du klingst fast amerikanisch.«

      Ruth lachte. »Das ist nicht so verwunderlich. Ich bin Amerikanerin.«

      Ich sah sie erstaunt an. »Amerikanerin? Aber du sprichst doch ...«

      Sie unterbrach mich. »Ja, ich bin in den USA geboren, aber meine Eltern waren beide Dänen und in meiner Kindheit haben wir zu Hause Dänisch gesprochen. Ich habe in den USA gelebt, bis ich über vierzig war. Habe da gearbeitet, war verheiratet, wurde geschieden und habe wieder gearbeitet.«

      »Warum bist du dann nach Dänemark gekommen?«

      »Meine Eltern sind zurückgegangen, als sie pensioniert wurden. Sie hatten immer davon geträumt, nach Hause zurückzukehren, außerdem reichte ihr Geld hier bedeutend länger. Aber dann ist meine Mutter gestorben und mein Vater wurde krank und kam nur schlecht alleine zurecht, deshalb bin ich nach Hause gekommen. Er ist ein paar Monate später gestorben, ich glaube, er konnte nicht ohne meine Mutter leben.«

      In gewisser Weise glich ihre Geschichte meiner.

      »Aber warum bist du geblieben? Du hättest zurückgehen können.«

      »Die Hormone, weißt du. Ich habe hier meinen zweiten Mann kennen gelernt. Wir haben uns zusammengetan und diese Firma hier gegründet.«

      »Ihr habt die gegründet?«

      Sie lachte. »Ja, aber damals war das etwas ganz anderes. Jütisches Detektivbüro nannten wir uns. Meist ging es um untreue Ehepartner und so etwas. Wir waren nur zu zweit, mein Mann und ich. Er war ein großartiger Mann, aber er hatte keine großen Visionen. Das änderte sich gerade etwas, als er plötzlich starb, und deshalb habe ich mich entschlossen, an Henrik zu verkaufen, der gerade in die Firma gekommen war und sie gerne übernehmen wollte. Und ich habe es nicht bereut. Ich habe noch immer einen Anteil, der mir ein wirklich schönes Einkommen sichert, und ich arbeite als freie Mitarbeiterin, wenn ich Lust dazu habe und wenn mich die Aufgabe interessiert.«

      »Wie jetzt?«

      »Ja, wie jetzt, und jetzt sollte ich machen, dass ich aus der Tür komme.«

      »Ja«, nickte ich. »Was hast du übrigens in den USA gemacht?«

      Sie lachte. »Ja, was