Zu lebendig zum Sterben - Skandinavien-Krimi. Kirsten Holst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kirsten Holst
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726569490
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nicht. Wir hatten keinerlei Zweifel, dass er auf frischer Tat ertappt worden war. Pickel-Aksel war der Dieb in der Klasse und er war ziemlich dreist. Er begnügte sich nicht mit indischen Servietten, das kannst du mir glauben. Er klaute Transistorradios, Tonbandgeräte, Uhren und Füllfederhalter. Teure Sachen!

      Gladys und ich waren vor Entsetzen wie gelähmt. Wir wagten nicht, uns mit unseren Servietten hinauszuschleichen, aber wir wagten auch nicht, sie zurückzulegen, also endete es damit, dass wir sie in der Toilette hinunterspülten und flüchteten.«

      »Und das war das Ende deiner kriminellen Karriere«, lachte Henrik.

      »Ja, verdammt nochmal! Ich habe nicht die Nerven zur Kriminellen. Ich hatte noch dazu Angst, dass die Servietten die Toiletten verstopften und uns auf die eine oder andere Weise verrieten. Gladys hielt mich für verrückt. ›Zum Teufel ob verstopft oder nicht‹, sagte sie. ›Die wissen doch nicht, dass wir das waren.‹«

      »Das konnten sie auch nicht«, sagte Henrik.

      »Natürlich nicht, aber damals habe ich begriffen, dass man unglaublich paranoid werden kann, wenn man ein schlechtes Gewissen hat, nicht? Ich bildete mir ein, dass die Toiletten videoüberwacht waren. Dort ziehen sich die Leute doch immer die geklauten Sachen an.«

      »Woher weißt du das?«

      »Das weiß doch jeder. Nachher haben Gladys und ich uns natürlich weisgemacht, dass alles total spannend und superlustig war, aber ich wagte mich erst Wochen später wieder zu K & L.«

      »Was ist aus deiner Freundin geworden?«

      »Aus Gladys? Keine Ahnung. Ich bin aufs Internat gekommen, sodass wir fast von einem Tag auf den anderen auseinander gedriftet sind, aber in Wirklichkeit hatte es wohl schon an dem Tag bei K & L begonnen. Weil wir etwas voneinander wussten. Etwas Beschämendes. Obwohl wir darüber gelacht haben, war es uns peinlich. Mir jedenfalls.«

      Ich trank einen Schluck von meinem Bier. Es war bereits lauwarm.

      Henrik schüttelte den Kopf. »Wäre das jetzt eine richtige Erbauungsgeschichte, wäre die Moral die, dass du und deine Freundin vom Weg der Verdammnis gerettet wurdet, nachdem ihr schon fast auf die schiefe Bahn geraten wart, und seitdem ehrlich und glücklich gelebt habt, weil Tugend belohnt wird, während Pickel-Aksel in einer Erziehungsanstalt gelandet ist.«

      »Das ist er bestimmt auch«, sagte ich leichthin. »Was aus Gladys geworden ist, weiß ich, wie gesagt, nicht.«

      »Das tue ich aus guten Gründen auch nicht«, sagte Henrik. »Aber ich weiß, was aus Pickel-Aksel geworden ist.«

      »Hast du ihn gekannt?«, fragte ich verblüfft. »Du bist doch gar nicht auf unsere Schule gegangen.«

      »Nee, aber wenn das der ist, den ich meine, hat er heute ein blühendes Geschäft. Er verkauft Gebrauchtwagen. Und seine Firma heißt Pickel-Aksel!«

      Ich brach in Gelächter aus. »Wunderbar! Das sieht ihm ähnlich, auf diese Weise Kapital aus seinem Spitznamen zu schlagen, aber von ihm würde ich nie ein gebrauchtes Auto kaufen. Er war trotz seiner Pickel sehr charmant, aber er war ein bisschen zu clever.«

      »Das ist er bestimmt noch immer, aber seine Autos sind in Ordnung. Er hat einen guten Ruf in der Branche.«

      »Woher weißt du das?«

      »Es gehört zu meinem Job, so etwas zu wissen. Es gehört auch zu meinem Job, nach neuen Mitarbeitern Ausschau zu halten. Und dich können wir brauchen.«

      »Als Ladendetektivin. Vergiss es.«

      »Nein, du hast mir nicht richtig zugehört. Als Beraterin.«

      »Ist das nicht das Gleiche? What’s in a name?«

      »Nein, das ist nicht das Gleiche und ich kann dir nicht versprechen, dass du die ganze Zeit Außendienst hast, es gehört wohl auch ein Teil ganz gewöhnlicher Büroarbeit dazu. Aber gerade im Moment können wir ein Gesicht, das noch nicht so abgenutzt ist, ganz gut gebrauchen.«

      »Danke.«

      »Ich meinte ...«

      »Ja, ja, ja, ich weiß genau, was du gemeint hast. Wozu?«

      »Wir haben einen Auftrag von einem großen Kaufhaus. Sie meinen, dass zu viel verschwindet.«

      »Doch nicht etwa von K & L?«

      Er lächelte entschuldigend. »Doch, in der Tat.«

      »Okay«, seufzte ich. »Diebstahl?«

      »Ja, vermutlich. Oder Betrug.«

      »Also doch Ladendetektivin.«

      »Ja und nein. Du sollst nicht die Kunden, sondern das Personal im Auge behalten. Nur ein oder zwei Personen werden wissen, dass du überhaupt da bist. Und nur der Direktor weiß, wer du bist.«

      »Was soll ich tun?«

      »Das erfährst du, wenn du Ja sagst.«

      Ich dachte nach, dann schüttelte ich den Kopf. »Nein, das ist nichts für mich.«

      »Was willst du dann machen?«

      »Das weiß ich nicht«, sagte ich.

      »Du klingst so resigniert.«

      »Das bin ich nicht. Das Ganze ist nur ...«

      Henrik sah mich fragend an. »Was?«

      »Das ist nicht so leicht zu erklären. Manchmal habe ich meine Zweifel, ob ich wirklich hier bleiben soll. Ich habe wohl geglaubt, dass ich einfach nach Hause kommen und dort wieder anfangen kann, wo ich aufgehört habe, aber alles hat sich verändert. Die Stadt hat sich verändert, die Dänen haben sich verändert, ich habe mich verändert. In den paar Monaten, die ich jetzt hier bin, habe ich nur unregelmäßig Zeitung gelesen, aber ich glaube, dass das Leben hier härter geworden ist. Es scheint so, als übernähme man nur das Schlechteste aus dem Ausland. Vieles von dem, was mir in den USA nicht gefallen hat, finde ich nun hier wieder, während die guten Dinge fehlen. Vielleicht irre ich mich und habe Dänemark ein wenig idealisiert, während ich fort war, dafür ist man wahrscheinlich anfällig, wenn man im Ausland lebt; es kann aber auch sein, dass mir die Veränderungen nur nicht aufgefallen sind, als ich noch hier gelebt habe. Sie kommen ja allmählich.«

      »Was meinst du zum Beispiel?«

      »Das scheinen alles nur Nebensächlichkeiten zu sein. Aber nimm zum Beispiel das Fernsehen. Es ist schlechter geworden. Es gibt fast nur noch Quizsendungen und minderwertige amerikanische Serien. Viel brutaler als früher. Dann sind da die Einwanderer, mit ihnen gab es früher nicht diese Schwierigkeiten. Irgendetwas müsst ihr falsch gemacht haben. Und die Sprache. Sie ist so hässlich geworden, dass meine Großmutter sich im Grabe umdrehen würde. Alle fluchen und gebrauchen eine Menge englischer und amerikanischer Ausdrücke. Ich habe Fernsehwerbung gesehen, in der nicht ein einziges dänisches Wort vorkam, das ist doch grotesk! Selbst kleine Kinder laufen herum und sagen Fuck you und Oh, shit. Und außerdem habt ihr einen Rockerkrieg und brutale Überfälle.«

      »Letzteres ist doch nichts Neues«, wandte Henrik ein. »So etwas kommt immer wieder vor.«

      »Vielleicht. Aber ich finde das erschreckend. Und all die fetten Menschen. Jedes Mal wenn ich zu Hause war, gab es mehr davon. Extrem dicke. Bald ist es so wie in den USA, wo die Hälfte der Bevölkerung Übergewicht hat. Und dann die Trinkerei.«

      »Laut Statistik wird weniger getrunken.«

      »Ja, danke, nur sind es jetzt Kinder von vierzehn, fünfzehn Jahren, die sich jedes Wochenende voll laufen lassen, ohne dass jemand einschreitet, obwohl sie halb betäubt mit einem Bier in der Hand durch die Gegend torkeln. In Philadelphia würde man sie festnehmen und zu einer Geldstrafe verurteilen und die Gastwirte würden ihre Lizenz verlieren.«

      »Wir waren doch selbst nicht besser, oder?«

      »Wir waren viel älter, Henrik. Für uns wäre es als Vierzehnjährige undenkbar gewesen, ein Bier in einer Kneipe zu