Chanter le vin (»den Wein durch den Gesang feiern«) gehört seit jeher zu den kulturellen Traditionen des Herzogtums Burgund. Viele der zeitlosen französischen Trinklieder, wie beispielsweise »Chevalier de la Table Ronde« oder »Boire un petit coup« stammen aus Burgund; in ihnen wird eine Kultur des guten Weins, des guten Essens, der guten Gesellschaft und nicht zuletzt der guten Unterhaltung gepflegt:
Le Duc de Bordeaux ne boit qu’ du Bourgogne,
mais l’Duc de Bourgogne, lui, ne boit que de l’eau,
ils ont aussitôt sans vergogne
un verr’ de Bourgogne contr’ le port de Bordeaux.
(»Der Herzog von Bordeaux trinkt nur Bourgogne,/aber der Herzog von Bourgogne trinkt nur Wasser/daher hatte keiner Grund zu klagen, als sie tauschten/ein Glas Bourgogne gegen den Port aus Bordeaux.«)57
Unterdessen war östlich des aufstrebenden Herzogtums der Großteil des früheren burgundischen Königreiches im Chaos versunken. Nach dem Tod Lothars I. im Jahr 855 folgten mehrere Teilungen, Wiedervereinigungen und erneute Teilungen. Ein kurzlebiges territoriales Gebilde jedoch hinterließ dauerhafte Spuren. Unter Lothar II. (reg. 835–869) wurden die südlichen und westlichen Bezirke einschließlich Lyon und Vienne zu einem neuen Regnum Provinciae zusammengeschlossen, das dadurch die Bezeichnung »Niederburgund« erhielt. In der Folge nannten sich die im Norden und Nordosten gelegenen Gebiete »Hochburgund«. Die Grenzen veränderten sich nach kurzer Zeit, die Namen aber blieben.
Das Königreich Provence, das 879 geschaffen wurde und auch Königreich Niederburgund – le Royaume de Basse-Bourgogne – genannt wurde, hatte mit einer kurzen Unterbrechung 54 Jahre Bestand. Sein Territorium umfasste das Rhône-Tal von Lyon bis nach Arles und die ursprüngliche römische Provinz bis zum Fuß der Meeresalpen. Kulturell war es zur Hälfte burgundisch und zur anderen Hälfte provenzalisch geprägt, wodurch eine neue Sprache entstand, das Frankoprovenzalische. Das bedeutendste Verwaltungszentrum war Arelate (Arles). Dies war der fünfte burgundische Staat und das vierte Königreich (nach Bryce die Nr. III).
Die ersten Jahre dieses Reiches wurden geprägt von Graf Boso (reg. 879–887), der ebenso wie sein jüngerer Bruder Richard Justitiarius dank seiner Verwandtschaft mit dem Frankenkönig und künftigen Kaiser Karl dem Kahlen in die politische Führungsschicht aufsteigen konnte. Er war zunächst Graf von Lyon, doch während Karls Italienfeldzug 875–877 wurde ihm das Amt eines missus dominicus (Gesandter oder Botschafter) übertragen, und er konnte ein enges Verhältnis zum Papst aufbauen. Papst Johannes VIII. adoptierte ihn als Sohn, und Boso begleitete den Pontifex 878 auf seiner Reise in das Westfrankenreich. Als das Westfrankenreich im Jahr darauf innerhalb von 18 Monaten den zweiten König aufgrund einer plötzlichen Krankheit verlor, fasste Boso den Entschluss, sich selbstständig zu machen. Er kehrte in die Provence zurück und überzeugte die dortigen Bischöfe und die Großen des Reiches, ihn auf einer Synode durch eine »freie Wahl« zum König von Niederburgund zu proklamieren. Er bediente sich der Formel »Dei Gratia id quod sum« (»Dank der Gnade Gottes bin ich, was ich bin«), die seine Auserwähltheit zum Ausdruck bringen sollte. Bosos Handstreich stieß auf Widerstand, doch letztlich konnte er sich behaupten. Er starb 887 und wurde in Vienne beigesetzt; aus seiner Familie, den »Bosoniden«, gingen schließlich drei einflussreiche Adelsgeschlechter hervor.58 Zwei seiner Verwandten regierten nach ihm die Provence: sein Sohn, Ludwig der Blinde (reg. 887–928), der auch König von Italien und nomineller Kaiser war, und sein Schwiegersohn Hugo von Arles (reg. 928–933).
Graf Bosos Reich kontrollierte den einträglichen Handel im Rhône-Tal sowie die wichtigsten Verbindungswege zwischen dem europäischen Binnenland und dem Mittelmeerraum. In seinen alten Städten standen Kultur und Wirtschaft in hoher Blüte. Zwar wurden die Küstengebiete regelmäßig von den Sarazenen heimgesucht, viele Hafenstädte an der Riviera hatten sich Überfällen von Piraten zu erwehren, und der Seehandel mit Italien war unsicher. »Räuberbarone« und Burgherren kontrollierten viele der Bergtäler. Doch ein ehrgeiziger Herrscher wie Boso wusste, dass er ein sehr wertvolles Stück Land besaß. Die Kirche bildete einen Faktor der Kontinuität und der Stabilität. Alle größeren Städte waren ein eigenes Bistum, auch das Klosterwesen spielte eine wichtige Rolle. Die Klosterinsel Lerinum (Lérins), die um 410 vom Heiligen Honortus gegründet worden war, hatte viele Geistliche hervorgebracht, die im gesamten südlichen Gallien im Einsatz waren.59 Dieses Kloster, mittlerweile stark verkleinert, unterstand nun Cluny.
Das Begräbnis des Westgoten Alarich, des »Herrsciners aller«, im Jahr 410 im Flussbett des Busento, Kalabrien. Holzschnitt, um 1855, nach einer Zeichnung von Eduard Bendemann (1811–1899).
»Die Geschichte Frankreichs begann in Vouillé« im Jahr 507: Der Franke Chlodwig tötet Alarich III., den König der Westgoten. Kreidelithografie von Nikolai D. Dmitrijeff Orenburgsky (1838–1898), nach einem Gemälde von Friedrich Tüshaus (1832–1885), 1875.
Y Gododdin – Eine Seite aus dem mittelalterlichen Buch Aneirins, eines altwalisischen Epos aus dem 7. Jahrhundert, das in einer Handschrift aus dem 13. Jahrhundert überliefert ist.
Vogel, Baum, Fisch und Ring – Symbole aus der Legende des hl. Mungo (6. Jahrhundert) im Wappen der Stadt Glasgow.
Statue von William Wallace (1272–1305) in Aberdeen, Schottland. – Kinogängern als Braveheart und seinen gälischen Zeitgenossen als Uilleam Breatnach, »William der Brite«, bekannt.
Rheingold: eine Episode aus der Nibelungensage, einem mittelalterlichen Heldenepos, das den Untergang des ersten Burgunderreiches im 5. Jahrhundert aufgriff. Ölgemälde von Peter von Cornelius, 1859.
Eine seltene Münze mit dem Kopf des Merowingerkönigs Dagobert (um 603–693), »der seine Hose verkehrt herum trug«.
Guntram, auch Guntramnus von Burgund (um 525–592), „the battle crow“, König und Heiliger, bestimmt seinen Neffen Childebert II. als seinen Nachfolger. Miniatur aus den „Chroniken von Frankreich“, gedruckt von A. Verard, Paris, 1493 (handkoloriert). Französische Schule, 15. Jahrhundert.
Friedrich Barbarossa (reg. 1162–1190): deutscher Kaiser, König von Italien und König von Burgund, 1172 in Arles gekrönt, und seine Söhne König Heinrich VI. und Herzog Friedrich VI. Mittelalterliche Malerei aus der Chronik der Welfen, 1179–1191.
Philipp der Gute und Karl der Kahle: Herzöge des burgundischen Herrschaftsverbundes im 15. Jahrhundert. Aus den Chroniken des Hennegaus. IVliniatur von Roger van der Weyden, 1477.
Karl der Kühne, auch