Homeward Bound. H.J. Welch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H.J. Welch
Издательство: Bookwire
Серия: Pine Cove
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238343
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setzte seine Kiste auf der Hüfte ab. Sein Mund öffnete sich und schloss sich wieder. Seine Augen glänzten glasig.

      Mist. Dieses Mal schien Swift das Fettnäpfchen voll getroffen zu haben.

      »Was ist denn los, Micha?«

      »Du lädst mich zu dir ein?«, platzte Micha heraus, wurde rot und schniefte. »Warum willst du meinen Rat? Ich bin ein Versager. Ich baue nur Mist. Rhett muss dir doch alles erzählt haben.«

      Swifts Herz zog sich zusammen. Vorsichtig stellte er die Kiste ab und ging auf Micha zu. Micha stellte seine Kiste ebenfalls ab, ohne Swift dabei aus den Augen zu lassen. Swift legte ihm die Hände auf die Schultern. Micha sah ihn mit seinen glänzenden braunen Augen an.

      »Wenn ich kein Versager bin, bist du auch keiner. Okay?«, sagte Swift.

      Micha schluckte und zog eine Grimasse. »Swift, ich… ich bin verhaftet worden.«

      Swift zog die Augenbrauen hoch. »Ja«, sagte er bedächtig. »Aber Rhett meinte, es wäre ein Missverständnis gewesen. Du wusstest nicht, was dieser Kerl plante. Er hat dich ausgetrickst und da reingezogen.«

      Micha blinzelte einige Male. »Das wusstest du alles schon?«

      Swift rieb ihm mit den Daumen über die Schultern. »Ja. Und es tut mir leid, dass dir das passiert ist. Aber ich verstehe es. Wir vertrauen dir immer noch. Ich beurteile die Menschen danach, was sie hier und jetzt tun.« Er lächelte. »Und ich habe einen Mann erlebt, der liebevoll und geduldig zu dem Kind war, das heute der wichtigste Mensch in meinem Leben geworden ist. Ja. Du kannst mich und Imogen jederzeit besuchen. Sie hat gerade viel Aufregung in ihrem Leben gehabt und ich bin mir sicher, sie wird sich über ein bekanntes Gesicht freuen.«

      Micha rieb sich nickend die Augen. Swift trat zur Seite, bevor es noch peinlicher wurde. Es hatte sich so richtig angefühlt, Micha an den Schultern zu halten.

      Hoffentlich behielt er recht. Micha lächelte ihm verhalten zu. »Vielen Dank.«

      »Kein Problem«, versicherte ihm Swift. Es war schön, mit Micha so offen reden zu können. Er hielt offensichtlich noch viel Schmerz in sich zurück, aber seine Abwehrhaltung ließ langsam nach. »Wollen wir Imogen suchen?«

      Michas Gesicht hellte sich auf. Es war herzerwärmend.

      »Ja«, sagte er und hob seine Kiste wieder auf. »Sie wird sich über ihre neuen Sachen so freuen!« Micha machte eine Pause und sah sich auf dem Dachboden um. »Ich weiß, Darcy hat gesagt, du könntest dir Peppers Sachen nehmen, aber… Imogen liebt Piraten und Entdeckungen und Raumschiffe und so. Wollen wir noch nach den Kisten von Charles suchen? Dass sie ein Mädchen ist, heißt noch lange nicht, dass sie keine Dinosaurier mag.«

      Swift atmete auf. »Wow«, sagte er und fühlte wieder den Kloß im Hals. »Du kennst sie schon besser als ich. Mein Gott.«

      »Sorry«, entschuldigte sich Micha hastig.

      »Du musst dich nicht entschuldigen«, sagte Swift und blies die Backen auf. »Ich habe mir seit heute Morgen schon Dutzende Male gesagt, es gäbe keinen Grund zur Panik und ich müsste nur einen Schritt nach dem anderen machen. Aber ich bin es gewohnt, alles genau zu planen. Alles! Es dauert immer einige Zeit, bis ich mich an eine neue Situation gewöhnt habe. Und diese Zeit habe ich jetzt nicht. Imogen ist hier. Jetzt. Und sie braucht mich.«

      Micha lächelte mitfühlend. »Würde es dir helfen, wenn ich dir sage, dass du das prima machst? Und…« Er biss sich auf die Lippen. »… wenn ich dir irgendwie helfen kann, wäre mir das eine Ehre. Ich habe momentan noch keinen Job und falls du einen Babysitter brauchst, dann… Nun, dann springe ich gerne ein.«

      Eine merkwürdige Wärme breitete sich in Swifts Magen aus. Wie Micha ihn ansah… Er war nicht sicher, wie er Michas Blick interpretieren sollte, aber sein Herz schlug schon wieder diese kleinen Purzelbäume.

      »Danke«, sagte er aufrichtig. »Ich glaube, auf dieses Angebot komme ich noch zurück.«

      Kapitel 6

      Micha

      Micha konnte es schaffen. Jedenfalls redete er sich das ein. Er holte tief Luft, hielt sich an der Kante der Theke fest und starrte die Kasse an. Er musste sich erst daran erinnern, dass sie nicht sein Feind war.

      Er war das gewohnt. Er hatte in Seattle in Bars gearbeitet. Trotzdem kam ihm diese Schicht im Diner seiner Eltern vor wie eine Mischung aus Hirnoperation und Atomwissenschaft. Er durfte sie nicht im Stich lassen und Mist bauen.

      Micha hatte als Teenager, wie jedes andere Familienmitglied auch, oft im Diner ausgeholfen. Ob in den Sommerferien oder als Teilzeitjob – sie trugen alle dazu bei, damit im Sunny Side Up immer alles wie am Schnürchen lief. Micha holte wieder tief Luft. Aus der Küche drang der köstliche Geruch der Bratkartoffeln, die Dad dort zubereitete. Micha schaute in die zufriedenen Gesichter der Gäste, die sich angeregt unterhielten.

      Der Diner war das Herz der Stadt. Hier verabredeten sich junge Paare, hier fanden Geschäftsessen statt oder man traf sich einfach nur zum Plausch mit Freunden. Seit über zwei Generationen wurden hier die Einheimischen genauso freundlich willkommen geheißen wie Zugezogene oder Fremde, die nur auf der Durchreise waren.

      Im Gegensatz zu seiner Familie war es Micha nicht leichtgefallen, sich in Pine Cove heimisch zu fühlen. Trotzdem war er unglaublich stolz auf die Leistung seiner Eltern.

      Er drückte die Finger durch und bediente die Tasten in der richtigen Reihenfolge, um die Bestellung einzugeben. Seine Schicht näherte sich bereits dem Ende und er musste nicht mehr lange durchhalten.

      »Alles in Ordnung, Onkel Micha?«

      Er schaute auf. Es war seine Nichte Rona, die ihn freundlich anlächelte. Sie ging noch zur Schule – vorletzte Klasse – und half an mehreren Tagen in der Woche für einige Stunden aus. Rona hatte Logans kastanienbraune Haare und Sommersprossen, aber das schiefe, glückliche Lächeln ihrer Mutter. Sie schob einige Geldscheine in die Trinkgelddose und nahm zwei Speisekarten von dem Stapel, der auf der Theke lag.

      Weder Rona noch ihre Familie waren auf das Geld angewiesen, das sie hier verdiente. Aber sie war – wie Swift und Rhett – ein sehr kontaktfreudiger Mensch. Sie machte diese Arbeit gern und die Perkins legten Wert darauf, ihren Kindern schon früh Verantwortung zu übertragen und Arbeitsmoral beizubringen.

      Micha musste zugeben, dass er auch gerne mit Menschen zu tun hatte. Er machte sich nur allzu oft Gedanken, was sie wohl von ihm halten mochten – vor allem im Sunny Side Up. Er wollte nämlich keinesfalls den Ruf seiner Familie schädigen, indem er eine falsche Bestellung auslieferte oder unabsichtlich einen Gast verärgerte.

      Doch das war nicht passiert. In wenigen Minuten war seine Schicht zu Ende und er konnte mit Fug und Recht behaupten, ehrliches Geld für ehrliche Arbeit verdient zu haben. Es war schon einige Monate her, seit er das letzte Mal so stolz auf sich gewesen war.

      Micha schüttelte den Kopf und lächelte Rona an. »Alles bestens. Danke.«

      Sie zwinkerte ihm zu und machte das Zeichen für Gern geschehen.

      Carlee, ihre jüngere Schwester, hatte einen angeborenen Hörschaden und die ganze Familie hatte sich zusammengetan, um so schnell wie möglich die amerikanische Gebärdensprache zu lernen. Sie wechselten oft zwischen den beiden Sprachen oder machten die passenden Gebärden zu ihren Worten, auch wenn Carlee nicht in der Nähe war.

      Micha wurde an Swift erinnert und sein Herz fing an zu pochen.

      Seit ihrem Gespräch auf dem Dachboden waren zwei Tage vergangen und Micha konnte immer noch nicht aufhören, daran zu denken. Er spielte das Erlebnis – die guten Augenblicke wie die schlechten – immer wieder in seinem Kopf ab wie einen Film. Swift hatte… ihn verwirrt.

      Micha konnte verstehen, warum Swift Bammel hatte, nachdem er so plötzlich Vater geworden war. Aber Micha hatte es ernst gemeint, als er sagte, dass Swift ein guter Vater sein würde. Swift sorgte sich um die Menschen und würde seine neue Rolle meistern. Micha war allerdings erstaunt darüber,