»Du solltest dich vielleicht über kinderfreundliche Rezepte informieren«, sagte Micha. »Sie essen wesentlich kleinere Portionen als Erwachsene. Besonders, wenn der Erwachsene gerade aus dem Fitnessstudio kommt. Und sie sind kleine Süßmäuler. Oh! Und du kannst ihr einen von diesen niedlichen kleinen Tellern besorgen, die unterteilt sind in Protein, Kohlehydrate, Gemüse…«
Micha merkte, dass er zu plappern anfing, verstummte und biss sich auf die Lippen. Er schaute auf die Bierflasche mit dem zerfetzten Etikett.
Swift lachte nur.
»Das sind wunderbare Vorschläge. Danke, Mann. Ich bin dir so dankbar, dass du gekommen bist.« Swift schüttelte grinsend den Kopf und schnitt weiter den Schinken, den er für die Käsesoße brauchte. »Wann immer du etwas brauchst, bin ich für dich da. Versprochen.«
Micha riskierte einen kurzen Blick und schaute schnell wieder zur Seite, bevor er rot werden konnte. Swift war ein netter Kerl, aber sein Angebot war nur freundschaftlich gemeint. Micha sollte ihm dafür dankbar sein und es nicht überinterpretieren.
»Ich bin froh, mal aus dem Haus zu kommen und etwas anderes zu machen. Es ist echt cool«, gestand er. »Nicht, dass ich meiner Familie nicht dankbar wäre!«, platzte er dann heraus, als er merkte, wie sich das angehört haben musste. »Es kann nur sehr anstrengend sein, weil so viel los ist.«
Swift sah ihn nachdenklich an, während er in dem Topf mit der Käsesoße rührte. »Was du durchgemacht hast, muss hart gewesen sein. Haben sie dich in der Untersuchungshaft wenigstens gut behandelt?«
Als Swift das Gefängnis erwähnte, fühlte sich Micha so gedemütigt, dass er am liebsten die Flucht ergriffen hätte. Aber in Swifts Blick, ebenso wie in seiner Stimme, lag nur Mitgefühl. Micha atmete tief durch. Vielleicht war es ja sogar eine gute Idee, mit jemandem darüber zu reden.
»Nach dem ersten Schock war es ganz okay. Ich war nur in Untersuchungshaft, nicht in einem richtigen Gefängnis. Ich habe mich möglichst unauffällig verhalten. Und danach – also nach der Gerichtsverhandlung – war ich verdammt erleichtert, weil ich gleich entlassen wurde. Ich muss jetzt nur sauber bleiben.« Er lachte reumütig. »Und ich nehme es nicht als selbstverständlich hin – weder meine Kleidung wieder zurückzuhaben, noch zu essen, was mir schmeckt, oder in meinem eigenen, ruhigen Zimmer zu schlafen.« Er schüttelte den Kopf. Ihm war etwas schwummrig zumute. »Ich will mit Menschen wie dem Kerl, der mir diese Schwierigkeiten eingebrockt hat, nichts mehr zu tun haben. Ich will nicht im Knast landen. Und ich bin verdammt froh, dass meine Familie für mich da war und mich aufgenommen hat.«
Swift runzelte die Stirn. »Sie lieben dich«, sagte er, als wäre das selbstverständlich. »Außerdem hast du nichts angestellt. Rhett meint, du wärst da unwissentlich mit reingezogen worden. Es ärgert mich, dass sie dich überhaupt so lange in Haft behalten haben. Aber ich bin auch froh, dass du es jetzt hinter dir hast.« Swift sah aus, als hätte er noch mehr sagen wollen, dann aber seine Meinung geändert. Er zeigte auf Michas Bier. »Hey, lass das nicht warm werden«, scherzte er. Dann musste ihm etwas eingefallen sein, denn sein Gesichtsausdruck änderte sich. »Oh Mist. Machst du dir Sorgen, weil du noch fahren musst? Du kannst gerne auf meinem Sofa übernachten. Es ist ein Schlafsofa und man kann es ausziehen.«
Er strahlte hoffnungsvoll. In Michas Bauch flatterten Schmetterlinge.
Verdammt aber auch. Swift lud ihn erst zum Abendessen ein und bot ihm dann das Sofa an?
Micha wurde sofort von Zweifeln gepackt. Er wollte so sehr daran glauben, dass Swifts Angebot ernst gemeint war. Dass Swift ihn besser kennenlernen, vielleicht sogar sein Freund werden wollte. Aber diese bösartige Stimme in seinem Kopf meldete sich wieder zu Wort. Warum sollte jemand dich zum Freund wollen?, sagte sie.
Micha war allerdings noch nie gut darin gewesen, auf seinen Verstand zu hören.
Sein Schwanz war wesentlich leichter zu überzeugen und forderte seinen Verstand auf, den Mund zu halten. Wann sonst sollte er denn die Möglichkeit bekommen, Zeit mit Swift zu verbringen?
Dann verschwanden die letzten Zweifel, als Micha sich daran erinnerte, was Swift über Imogen gesagt hatte. »Na ja«, meinte er bedächtig. »Wenn ich hier übernachte, kann ich dir morgen helfen, Imogen für die Schule vorzubereiten.«
Swifts Lächeln wurde noch strahlender, als wäre ihm dieser Gedanke noch gar nicht gekommen. »Oh ja! Das wäre prima. Danke, Mann. Du bist der Beste.«
Der Rest des Abends verlief ohne weitere Zwischenfälle.
Imogen war von der Pasta begeistert und ließ sich anstandslos baden. Selbst Butter verbrachte den Rest des Abends damit, friedlich unter Imogens Bett zu lauern.
Micha machte sich Gedanken über die Wohnungseinrichtung. Besonders über das gesichtslose Zimmer Imogens. Hier musste dringend etwas geschehen, aber Swift darauf anzusprechen, wäre unhöflich gewesen. Micha konnte Vorschläge machen, wenn er danach gefragt wurde, wollte sich aber nicht ungebeten einmischen.
Zu seiner Enttäuschung machte Swift einen vollkommen erschöpften Eindruck, als Imogen endlich im Bett lag. Micha hatte sogar ein schlechtes Gewissen, sich dabei helfen zu lassen, das Sofa herzurichten und ihn nach der Bettwäsche zu fragen, weil er nicht wusste, wo Swift sie aufbewahrte. Seine Hoffnung, noch ein Bier mit Swift trinken zu können, löste sich in Wohlgefallen auf. Es wäre sowieso egoistisch gewesen. Swift war auch so schon mehr als großzügig gewesen. Micha sollte nicht allzu gierig sein und noch mehr von ihm erwarten.
Er legte sich schließlich auch ins Bett, schloss die Augen und atmete einige Male tief durch. Es war ein guter Tag gewesen. Er hatte ohne Zwischenfälle eine ganze Schicht im Diner durchgestanden.
Er hatte ein verstörtes Kind beruhigt und war von einem erwachsenen Mann eingeladen worden. Einem Mann, der obendrein auch noch verdammt sexy und süß und ein liebenswerter Spinner war. Und er war für kurze Zeit seiner Familie entkommen, die es zwar gut mit ihm meinte, ihn dadurch aber auch oft unter Druck setzte.
Ja. Alles in allem war heute der beste Tag gewesen, den er seit langer Zeit erlebt hatte.
Micha war schon fast eingeschlafen, als sein Handy klingelte. Er runzelte die Stirn. Pops wusste, dass er hier war, und hatte gemeint, es wäre in Ordnung. (Er hatte sogar gemeint, es wäre Wunderbar! und Micha damit zum Schmunzeln gebracht. Pops freute sich fast noch mehr als Micha selbst, dass er neue Freunde fand.) Vielleicht war es Spam?
Micha sackte der Magen in die Kniekehle, als er das Handy aktivierte und den Namen auf dem Bildschirm erkannte.
Es war eine unbekannte Nummer und er las den Namen des Absenders erst am Ende der Nachricht. Sofort wurde ihm übel und er hielt das Handy fest umklammert.
Habe gehört, du bist raus. Dein Haus vermisst dich. Wann kommst du zurück? Dale.
Er musste sich eine neue Nummer zugelegt haben, denn Micha hatte die alte blockiert. Er biss die Zähne zusammen, schaltete das Handy aus und legte es auf die Armlehne des Sofas. Er wollte nicht über eine Antwort nachdenken.
Weil diese Antwort eindeutig war: Niemals. Er würde nie wieder in das Haus in Seattle zurückkehren.
Aber er hatte das Gefühl, dass Dale diese Antwort nicht hören wollte.
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