Homeward Bound. H.J. Welch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H.J. Welch
Издательство: Bookwire
Серия: Pine Cove
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238343
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immer wieder in seinem Gedächtnis ab. Swift schien regelrecht beeindruckt gewesen zu sein. Als wäre es eine so große Sache, die Gebärdensprache zu lernen. Micha wusste genau, wie es war, wenn man sich allein fühlte und niemanden hatte, mit dem man reden konnte. Er hätte niemals zugelassen, dass seine Nichte das erleben müsste. Nicht, solange er es verhindern konnte.

      Es war ein gutes Gefühl gewesen, von Swift so gelobt zu werden.

      Und dann waren da noch diese anderen Worte, die sich in Michas Kopf festgesetzt hatten und die er kaum fassen konnte.

      »Ich verstehe es. Wir vertrauen dir immer noch.«

      Wie konnte Swift den Mist einfach so beiseitewischen, den Micha gebaut hatte? Hatte er nicht verstanden, dass Micha nur deshalb einer Haftstrafe wegen Beihilfe entgangen war, weil es sein erstes Vergehen war? Hatte Rhett es ihm nicht richtig erklärt?

      Es lief alles auf das Gleiche hinaus – Micha war wie vor den Kopf geschlagen und fühlte sich vielleicht sogar etwas bedroht durch die Tatsache, dass ein so netter Mensch wie Swift etwas mit ihm zu tun haben wollte. Swift hatte nämlich darauf bestanden, dass er und Micha ihre Handynummern austauschten, bevor er gestern mit seiner Mom und Imogen das Haus verließ.

      Und dann hatte er Textnachrichten geschickt.

      Es war lächerlich, denn obwohl sie sich nur einige nichtssagende Nachrichten geschickt hatten, las Micha sie wieder und wieder durch. Sie waren herzerwärmend und beruhigten seine Nerven, wenn er über seine unsichere Zukunft nachdachte und darüber, wie ihm die Kontrolle über sein Leben entglitten war. Swifts Worte gaben ihm Halt im Hier und Jetzt. Sie gaben ihm sogar fast so etwas wie Hoffnung.

      Und deshalb umarmte er seinen Dad in der Küche des Sunny Side Up zum Abschied und ging hinaus in die kühle Abendluft, wo er sofort sein Handy einschaltete, um die letzten Nachrichten noch einmal durchzulesen.

      Und entdeckte eine brandneue Nachricht von Swift, als er auf den Bildschirm schaute.

      Michas Herz pochte, als er Swifts Namen las. Früher hatten sie nie miteinander telefoniert. Micha fühlte sich seltsam bestätigt – als wäre er endlich ein erwachsener Mann mit erwachsenen Freunden, die Kinder und einen Beruf hatten.

      Hey, Kumpel. Du hast nicht zufällig Zeit, oder?

      Wie kryptisch. Die Nachricht war erst eine halbe Stunde alt. Micha hatte noch gearbeitet, sonst hätte er sie früher beantwortet. Trotzdem bekam er beinahe ein schlechtes Gewissen, weil er Swift hängen lassen hatte.

      Jetzt schon! Ich habe gerade meine Schicht im SSU beendet. Alles okay?

      Er blieb verlegen auf dem Bürgersteig stehen. Am Horizont ging die Sonne unter. Micha schaffte es nicht, den Bildschirm länger als einige Sekunden blockiert zu lassen, dann aktivierte er ihn wieder und sah nach, ob schon die blinkenden Punkte aufgetaucht waren, die anzeigten, dass Swift an einer Antwort schrieb.

      Nach einigen erschöpfenden Minuten des Hin und Hers, die Micha entsetzlich an den Nerven zehrten, fingen die Punkte endlich zu blinken an. Er schnappte nach Luft, verschluckte sich und musste abwinken, als einige Passanten besorgt stehen blieben. Es war hoffnungslos, aber er konnte nicht verhindern, wie aufgeregt er reagierte. Und das nur, weil Swift sich die Zeit nahm, ihm zu schreiben.

      Wir haben eine Krise. Ich bin fix und alle. Ich könnte Unterstützung brauchen.

      Micha hielt die Luft an und starrte auf den Bildschirm. Seine erste Reaktion war Mitleid. Er wusste sehr gut, wie traumatisch die Gefühlsausbrüche eines Kindes sein konnten. Sie fingen einfach zu schreien an, weil sie sich nicht besser artikulieren konnten. Und jetzt bat ihn Swift um Hilfe, obwohl Micha betont hatte, dass seine Geschwister schon Eltern waren und mehr Erfahrung mit Kindern hatten. Es war ein so erhebendes Gefühl für ihn, dass er sich nicht mehr darum scherte, ob er vielleicht nur Swifts zweite, dritte oder gar vierte Wahl war. Wenn sonst niemand greifbar war, hatte Micha Zeit für ihn. Pops war so nett gewesen, ihn bei der Versicherung seines Autos auf die Liste der Fahrer setzen zu lassen, sodass er sogar sein eigenes Transportmittel hatte, um auf die andere Seite der Stadt zu fahren.

      Micha hatte noch nie jemanden gerettet. Er war anderen Menschen immer nur zur Last gefallen. Die Vorstellung, jetzt ausnahmsweise nützlich sein zu können, war berauschend. Und sie kam überraschend. Weil Micha gar nicht erst infrage stellte, ob er helfen konnte oder nicht. Vielleicht wusste er innerlich, dass Swift recht hatte. Micha konnte gut mit Kindern umgehen.

      Ich bin gleich da. Wo wohnst du? Soll ich etwas mitbringen?

      Micha war komplett pleite, aber es kam ihm nicht wie eine überflüssige Ausgabe vor, für Swift oder Imogen Geld auszugeben. Wenn er ihnen über die ersten Tage hinweghelfen konnte, wollte er sich nicht lumpen lassen.

      Nein. Es wäre einfach nur toll, wenn du kommst. Ich könnte schreien!

      Michas Herz schlug einen Purzelbaum.

      Swift wollte ihn sehen.

      Nicht so, schalt er sich. Aber es war schön, diese Vorstellung für einen flüchtigen Augenblick zu genießen.

      Swift schickte sofort seine Adresse. Micha lief zu Pops' Auto und gab schon auf dem Weg dorthin die Adresse in sein Handy ein, um sich die Fahrtroute anzeigen zu lassen. Der Wegbeschreibung nach hatte er vier Minuten Zeit, um sich wieder zu beruhigen und mit der Tatsache abzufinden, dass Swift Coal ihm Aufmerksamkeit schenkte.

      Micha hielt sich zurück und drückte nur einmal kurz auf den Klingelknopf, als er vor Swifts Haus stand. Es war ein hübsches, einstöckiges Haus mit einer kleinen Treppe, die auf eine überdachte Veranda führte. Die Holzwände und das Dach waren graublau gestrichen, die Fenster und die Kanten an den Hausecken weiß. Der Vorgarten war mit Holzschnitzen bestreut und der kleine Weg zur Veranda mit rundlichen Steinen gepflastert. Hinterm Haus war ein grüner Rasen zu erkennen.

      Es fühlte sich wie ein Zuhause an, auch wenn es etwas klein war. Es hatte Herz. Imogen hatte Glück, in dieses Haus gekommen zu sein. Micha hätte diese Chance sofort beim Schopf gepackt.

      Er war in seine Gedanken versunken, als vor ihm die Haustür aufgerissen wurde.

      Michas Kopf wurde sofort wieder klar, als er die Panik in Swifts Gesicht sah. Leichter Brandgeruch schlug ihm entgegen und von weiter hinten im Haus war jämmerliches Heulen zu hören.

      »Oh, Gott sei Dank«, krächzte Swift. Er trug eine Jogginghose und ein altes, ausgewaschenes T-Shirt der Pine Cove Lumberjacks. Seine blonden Haare waren feucht und kringelten sich um die Ohren. Swift schluckte und warf einen besorgten Blick nach hinten. »Es wird immer schlimmer.«

      Micha wusste, wenn die Lage völlig außer Kontrolle geriet, gab es nur ein wirksames Hilfsmittel. Brie war darin besonders gut und Pops hatte auch sofort dazu gegriffen, als er Micha letzte Woche aus dem Gefängnis abholte.

      Micha überlegte nicht lange. Er ging auf Swift zu und umarmte ihn wie einen seiner Brüder.

      »Alles gut«, sagte er beruhigend und rieb ihm über den Rücken, ohne sich darum zu kümmern, dass Swift die Umarmung nicht erwiderte. »Du schaffst das schon. Kinder sind manchmal so.« Swift blinzelte wie eine Eule, als Micha ihn wieder losließ. »Was ist eigentlich passiert?«

      Swift holte zitternd Luft. Es war ein merkwürdiges Gefühl, diesen großen, starken Mann so hilflos zu sehen. Swift war aus Sorge um Imogen mit den Nerven am Ende. Genau das hatte Micha gemeint, als er von einem guten Vater sprach.

      Swift nickte. »Komm rein«, sagte er und trat zur Seite. Micha putzte sich auf der Fußmatte sorgfältig die Schuhe ab und betrat das Haus.

      Dann blieb er stehen.

      Oh. Wow. Er erkannte das Problem sofort.

      Er befand sich in einem Flur, der zur Küche führte. Rechts waren das Wohnzimmer und ein Badezimmer. Links befanden sich die beiden Schlafzimmer. Das Haus mochte von außen rustikal wirken – wie die meisten Häuser der Stadt –, aber innen hatte Swift ihm seinen Stempel aufgedrückt.

      Die Wände waren – wie außen – graublau mit weißen Leisten. Auf den Tischen standen silberfarbener Nippes und Schalen