Vermutlich bleibt er nicht lange, dachte er traurig, als er den Kopf durch die Dachluke steckte. Micha würde sich bestimmt bald wieder auf den Weg machen, zurück in die Großstadt. Swift wollte die kurze Zeit mit ihm genießen, solange er konnte.
»Imogen hat gerne draußen mit dir gespielt.« Swift stützte sich mit den Ellbogen auf den Rand der Dachluke und sah zu, wie Micha sich durch Kisten mit Weihnachtsschmuck, Kleiderpuppen, Kinderräder und Golfschläger wühlte.
Micha sah ihn mit großen Augen an. »Oh, äh… Ich hoffe, es war dir recht.«
Swift runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
Micha drehte sich um und fummelte an einer Kiste, die mit Hudsons Zeugnisse beschriftet war. »Ich hätte dich erst um Erlaubnis fragen sollen. Das war gedankenlos von mir.«
Swift blinzelte. »Na ja, ich dachte mir schon, dass es jemand aus deiner Familie ist, der die Schaukel anstößt…«
Micha lächelte traurig. »Dann solltest du dir Augen im Hinterkopf zulegen. Du darfst nicht so vertrauensselig sein. Fremde Gefahr und so.«
Swift knabberte an seiner Unterlippe. »Oh Gott.« Er schlug sich die Hand vors Gesicht. »Ich fange schon an, Mist zu bauen. Ich bin ein Versager.«
Zu seiner Überraschung zog ihm Micha sanft die Hand vom Gesicht. Es war nicht zu glauben, wie leise er sich bewegen konnte. »Nein, das bist du nicht«, sagte Micha und drückte ihm die Hand. »Mist gebaut hättest du nur, wenn du sie an fremde Menschen abgeschoben hättest. Du hättest sie einfach dort lassen können.«
Swift sah ihn entsetzt an. »Niemals.«
Micha blinzelte hektisch und ließ lächelnd Swifts Hand los.
Swift vermisste seine Berührung sofort. Sie hatte ihn getröstet.
»Siehst du?« Micha räusperte sich, stand auf und ging zu den Kisten zurück. »Du machst das schon richtig. Niemand erwartet von dir, dass du jetzt schon alles kannst und weißt.«
Swift seufzte und brachte irgendwie ein Lächeln zustande. Sie sagten ihm alle, dass er es schon schaffen würde. Vielleicht sollte er langsam selbst daran glauben. Er zog sich durch die Luke auf den Dachboden, um Micha bei der Suche zu helfen. »Danke«, sagte er kopfschüttelnd. »Du konntest schon immer gut mit Kindern umgehen. Auch, als du selbst noch ein Kind warst.«
Micha sah ihn verwirrt an. »Wie meinst du das?«
Swift überlegte. Wieso verstand ihn Micha nicht? »Deine Nichten und Neffen. Sie beten dich an. Es war immer, als hättest du Zauberkräfte. Du wusstest, wie man mit ihnen reden muss. Du konntest sie sogar überreden, den Brokkoli zu essen.« Swift pfiff durch die Zähne und schüttelte wieder den Kopf. »Und Carlee? Niemand hat die Gebärdensprache so schnell gelernt wie du. Logan und Nell hatten sich schon Sorgen gemacht, dass Carlee sich ausgeschlossen fühlen würde, aber das war überflüssig. Deinetwegen.«
Micha sah ihn immer seltsamer an. Swift fragte sich schon, ob er etwas Falsches gesagt hatte, doch dann leckte sich Micha über die Lippen und lächelte leicht. »Daran erinnerst du dich noch?«
»Meinst du das ernst? Natürlich erinnere ich mich daran.« Swift lachte. »Glaub mir, du warst ein sehr bemerkenswerter Junge.«
Michas Lächeln wurde verlegen. Er legte sich die Fingerspitzen ans Kinn und zeigte dann mit der flachen Hand auf Swift, der die Geste erkannte. Es war ein Zeichen aus der amerikanischen Gebärdensprache – ASL – und bedeutete Danke.
»Gern geschehen«, sagte Swift leise.
Micha sah ihm in die Augen, räusperte sich dann und rieb sich den Nacken. »Ich habe diese dämlichen Barbies immer noch nicht gefunden.«
»Ich helfe dir suchen.« Swift fing an, die Kisten mit den familiären Erinnerungsstücken der Perkins' zu sondieren.
Er war nicht so geschickt wie Micha, aber dafür ein ganzes Stück größer, sodass er es nur mit etwas Glück vermeiden konnte, ein Loch in die niedrige Decke zu stoßen. Nach einiger Zeit quiekte Micha aufgeregt. Er war innerlich immer noch der süße kleine Junge, an den sich Swift erinnerte, auch wenn er nach außen den Eindruck eines harten Kerls erzeugen wollte.
»Glaubst du, das ist die richtige Kiste?« Micha drehte sich zu ihm um und strahlte ihn glücklich an. Das war schon viel besser als der gehetzte, verschlossene Eindruck, den er vorhin in der Küche gemacht hatte.
Und tatsächlich – Micha hatte die Kiste mit den Kindersachen seiner Nichte Pepper gefunden. Sie enthielt Kleidung, Spielzeug, selbst Decken, Fingerfarben und Locken ihrer Haare.
»Bist du sicher, dass deine Schwester nichts dagegen hat, wenn ich mich an den Sachen bediene?«, fragte Swift.
Micha schnaubte. »Natürlich. Sie ist der unsentimentalste Mensch, den ich kenne. Leon musste sie erst überreden, die Sachen aufzuheben für den Fall, dass Rhett oder Hudson irgendwann Töchter bekommen. Oder Enkel vermutlich.«
»Oder für dich«, meinte Swift. Micha blinzelte ihn verwirrt an, was Swift nicht recht verstehen konnte. »Für den Fall, dass du Kinder bekommst«, erklärte er. »Sorry. Ich dachte nur, dass du dir bestimmt auch Kinder wünschst, weil du so gut mit ihnen umgehen kannst. Aber das ist, äh… wahrscheinlich nicht jedermanns Sache.«
Warum kam er sich nur vor, als wäre er gerade ins Fettnäpfchen getreten?
Micha machte ein trauriges Gesicht. »Ich glaube nicht, dass ich jemals Vater werde«, meinte er und hob eine der Kisten hoch. Sie musste schwerer sein, als er erwartet hatte, denn sie glitt ihm sofort wieder aus den Händen. Swift streckte sofort die Hände aus und griff zu, ohne lange darüber nachzudenken.
Und plötzlich war Michas Gesicht nur noch Zentimeter von seinem entfernt und ihre Hände berührten sich.
Sie starrten sich an. Dann lachte Micha verlegen und trat einen Schritt zurück. »Danke«, murmelte er.
Swift schaute auf die Kiste. Er wollte nicht aufdringlich sein, fragte sich aber, warum Micha glaubte, nie Vater zu werden. Swift packte die Kiste fester und überlegte, wie er Micha danach fragen könnte, ohne ihn noch mehr aufzuregen.
Dann drehte Micha sich um und suchte nach der zweiten Kiste. Swift hatte seine Chance verpasst. Micha fand die Kiste, hob sie hoch und sah Swift mit einem traurigen Lächeln an.
»Das war's. Wollen wir wieder nach unten gehen?«
Swift zögerte. Die Antwort war natürlich Ja, aber seine Füße wollten sich nicht bewegen. Warum musste dieser Augenblick schon zu Ende sein?
»Ja, das war's. Bleibst du länger in der Stadt?«
Die Frage brachte Micha aus dem Konzept. »Äh, ja. Ich weiß noch nicht genau, was ich machen werde. Aber ich will mir einen Job suchen und eine Weile bleiben.«
Swift grinste. »Prima! Ich dachte mir, wir könnten uns vielleicht treffen und über… Kinderkram reden. Falls du Lust hast?«
Er kam sich ziemlich dämlich vor, als Micha ihm einen verwirrten Blick zuwarf. »Ich helfe dir natürlich gern«, sagte Micha bedächtig. »Wenn ich es kann. Aber Rhett, Logan oder Darcy… Die haben alle eigene Kinder.«
Hmm. Swift wusste auch nicht so recht, warum er sich lieber von Micha helfen lassen wollte. Vielleicht wollte er nur eine alte Freundschaft auffrischen. Aber das war idiotisch. Micha war viel jünger als er. Micha würde sein Leben genießen wollen, würde ausgehen und sich amüsieren wollen. Swift durfte nicht vergessen, dass nicht jeder so extrovertiert war wie er selbst, der jede Zufallsbekanntschaft sofort auf seine Freundesliste bei Facebook setzte.
»Ja, da hast du recht«, meinte er lachend. »Ich will wohl nur ein guter Vater werden. Aber… jetzt, wo du wieder in der Stadt bist, kannst du uns jederzeit besuchen. Wenn du willst.«
Er ging zu der Luke, um seine Kiste nach unten zu bringen.
»Aber…«
Swift drehte sich wieder um, als er Michas Stimme hörte.