Treasure Love. Sandra Pollmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Pollmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Treasure Hunt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783968160009
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ich kaum älter schätzte als sechzehn. „Zum Hyatt Park Hotel“, flüsterte ich mit bibbernden Lippen und begann zu husten, als der Rauch meine Lungen füllte.

      „Ah, so edel?“, sinnierte die Fremde. „Dein Freier muss gut Kohle haben. Da musst du mehr rausholen als einen Blowjob, hörst du?“

      Ich grinste und nickte bestätigend. Wenn du wüsstest, Kleine!

      „Danke für die Zigarette.“ Sie tat mir wirklich

      leid, aber es gab nichts, was ich in diesem Moment für sie hätte tun können.

      „Nicht dafür“, wiegelte das Mädchen mit einer lockeren Handbewegung ab und ich setzte meinen Weg fort.

      Was versprach ich mir eigentlich von dieser Aktion? Kopflos wie eh und je war ich losgestürzt, ohne über die Folgen nachzudenken. Vielleicht war Ben ja schon abgereist. Dann stünde ich schön dumm da, ohne Geld und Handy. Nicht einmal meine Wohnungsschlüssel hatte ich mitgenommen!

      Aber kurz bevor ich mich vollkommen meinen elenden Gedanken hingeben konnte, entdeckte ich hinter der nächsten Straßenbiegung die hell erleuchtete Fassade des Hyatt Park Hotels. Mit letzter Kraft schleppte ich mich zum Eingang. Keine fünf Minuten länger hätte ich in dieser Kälte ausgehalten. Mein Körper war wie betäubt, und als ich in die Wärme der Empfangshalle trat, fühlte es sich an, als würden tausend feine Nadeln auf mich einstechen. Mit wackeligen Füßen taumelte ich auf den entsetzt dreinblickenden jungen Mann zu, der die Nachtschicht an der Rezeption hatte. Sicher wog er gerade in Gedanken ab, ob er wegen mir die Polizei oder einen Krankenwagen herbeirufen sollte.

      „Guten Abend“, begrüßte ich den verwirrten Hotelmitarbeiter möglichst freundlich. „Ich hätte gerne die Zimmernummer von Herrn Benjamin Stevens. Er hatte mir gesagt, dass er heute Nacht in Ihrem Hotel untergekommen ist.“

      In meiner Aufregung konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr an die Zahl erinnern.

      „Oh, Gott, bitte lass´ ihn noch hier sein!“, betete ich in Gedanken. Der junge Mann presste unschlüssig die Lippen aufeinander. „Bitte verzeihen Sie, aber ich kann Ihnen nicht einfach die Zimmernummer eines unserer Gäste geben. Das fällt unter Datenschutz.“ Mitleidig zog er seine Stirn in Falten und machte eine entschuldigende Handbewegung.

      „Dann rufen Sie ihn an. Ganz einfach.“ Ich atmete tief ein und versuchte, Ruhe zu bewahren.

      „Es ist mitten in der Nacht. Um diese Uhrzeit stören wir unsere Gäste nicht mehr. Rufen Sie Ihren Bekannten doch einfach selber an und informieren Sie ihn über Ihren Besuch.“

      So langsam begann meine Geduld zu bröckeln.

      „Sehen Sie hier irgendwo ein Handy?“, fragte ich mit zitternder Stimme und zog dabei demonstrativ meine dünne Strickjacke aus, die völlig durchnässt über meinen Schultern gehangen hatte. Der junge Mann musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Anscheinend entging es ihm nicht, dass mein sündhaft teures Abendkleid nicht dem Kleidungsstil einer drogensüchtigen Prostituierten entsprach.

      „Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich habe meine Anweisungen und ich möchte nicht…“

      Entnervt ließ ich meine Jacke und die Pumps zu Boden fallen. „Wissen Sie“, japste ich mit letzter Kraft und stemmte meine Hände auf die Hüften, „entweder Sie rufen jetzt meinen Bruder an, oder ich schreie so laut, dass das ganze Hotel davon wach wird. Und dann können Sie mich gerne von der Polizei abholen lassen, aber der Vorfall wird sich herumsprechen, da können Sie Gift drauf nehmen!“

      Ich sah, wie der junge Mann schluckte und seine Augen sich erschrocken weiteten. Lieber ein verärgerter Gast als eine unschöne Schlagzeile in der Boulevardpresse. Mit einer beschwichtigenden Geste griff er zu seinem Telefon. Es schien endlos zu klingeln, doch dann holte der Hotelmitarbeiter tief Luft und stotterte verlegen in den Hörer.

      „Ja, Herr Stevens. Bitte entschuldigen Sie die späte Störung. Aber hier im Foyer steht eine junge Dame, die behauptet, Ihre Schwester zu sein, und die dringend mit Ihnen reden möchte. Sie scheint zu Fuß durch den Schnee gekommen zu sein… ja… genau… vielleicht würden Sie… Ja, das mache ich… Vielen Dank, Herr Stevens.“

      Wenn er mir jetzt mitteilte, dass Ben nicht mit mir sprechen wollte, dann würde ich sterben. Jetzt und hier. Vor Scham. Und vor Wut. Und vor Verzweiflung.

      Der junge Mann legte das Telefon zurück unter die Theke. „Es ist in Ordnung.“ Er nickte mir zu. „Herr Stevens wird gleich nach unten kommen. Er ist schon auf dem Weg.“

      27. März 1854

      Heute war es ungewöhnlich warm gewesen für einen Frühlingstag an der See. Matilda hatte zum ersten Mal in diesem Jahr ihre Schuhe und Strümpfe ausgezogen und war barfuß den Strand entlanggelaufen. Ihre Arbeit auf dem Gutshof ließ ihr nicht viel Zeit zum Müßiggang. Seit fünf Uhr morgens war sie auf den Beinen, hatte die Kühe gemolken und die Pferde zur Koppel geführt. Dann hatte sie das Frühstück für den Gutsherrn serviert, die Küche geputzt und der Köchin beim Zubereiten des Mittagessens geholfen. Weiter ging es mit Dielen schrubben, Wäsche waschen und zum Trocknen aufhängen. Am Abend führte sie zusammen mit dem Knecht die Pferde von der Koppel in den Stall, fütterte und striegelte sie, bis die Sonne schon fast das Meer berührte. Erst dann begab sie sich auf den Heimweg. Natürlich hätte sie den Weg durch die Dünen nehmen können, vorbei an den windschiefen Häusern im Dorf, deren weit heruntergezogene Dächer beinahe bis auf die Erde reichten – aber Matilda liebte das Meer, den Wind, die Weite und das Gefühl von Freiheit und zog es vor, den Umweg am Strand entlang zu nehmen. Während die Sonne am Horizont verschwand, raffte sie ihre Kleider hoch und ließ ihre schmerzenden Füße vom Salzwasser umspülen. Dann schloss sie die Augen, füllte ihre Lungen tief mit der salzigen Luft und ließ die Mühen des Tages langsam aus sich herausströmen, Atemzug für Atemzug. Das Rauschen des Meeres und das Krächzen der Möwen hüllte sie ein wie eine freundliche Umarmung. Langsam ließ sie ihre hochgerafften Kleider los und streckte die Arme gen Himmel. Sie war eins mit dem Meer. Sie war eins mit dem Wind. Sie war frei…

      Doch mit einem Mal schnellte etwas mit hoher Geschwindigkeit an ihr vorbei. Zu allen Seiten spritzte Wasser und durchnässte ihre Kleider und Haare. Erschrocken fuhr sie herum, geriet ins Taumeln, fing sich wieder und sah in einiger

      Entfernung ein schwarzes Pferd den Strand entlang galoppieren. Es gab nur einen Mann, der auf der kleinen, 230 Seelen zählenden Insel ein solches Pferd besaß – ihr Dienstherr und Gutshofbesitzer Martin Stevens.

      Eigentlich kannte sie ihn nur aus der Ferne. Kaum drei Sätze hatte sie bisher mit ihm gewechselt, denn Stevens sprach nicht viel und überließ die Anweisungen an das Personal seinem Verwalter. Zweifellos war er eine ganz besondere Erscheinung. Seine dunklen, von wenigen grauen Strähnen durchzogenen wilden Haare umrahmten sein scharf geschnittenes, stets ernst und unnahbar blickendes Gesicht. Die tiefe Falte zwischen seinen Augenbrauen schien wie eingemeißelt und ließ ihn härter wirken, als er tatsächlich war. Stevens war erst vor ein paar Jahren auf die Insel gekommen und pflegte keinen Kontakt zu den übrigen Insulanern. Die waren seit jeher ein stures Volk, das „Eindringlinge“ vom Festland misstrauisch beäugte. Doch ein halber Engländer, wie Stevens einer war, mit seinem aristokratischen Aussehen und seinem vielen Geld wurde erst recht gemieden. Nicht dass es dem Gutsbesitzer etwas auszumachen schien. Es war, als ob er sich die Abgeschiedenheit dieser Insel ganz bewusst ausgesucht hätte. Nie bekam er Besuch, niemals verreiste er selber - bis auf dieses eine Mal im vorletzten Sommer, als er mit seiner schönen, aber ebenso kühlen Ehefrau Rebecca heimkehrte. Rebecca Stevens war nicht viel älter als Matilda, aber sie regierte den Hof mit einer alles beobachtenden Strenge, so dass viele der Angestellten Angst vor ihr hatten. Ähnlich wie Martin Stevens sah man sie nie lächeln, aber dennoch strahlte sie deutlich mehr Härte aus als er. Anstatt der einsamen Melancholie, die ihren Mann umgab, wirkte ihr Blick kalt wie der schneidende Nordwind im Winter.

      Vielleicht – so hatte Matilda sie manchmal in Schutz genommen – lag ihre harte Art an den drei erfolglosen Schwangerschaften, die sie in den vergangenen eineinhalb Jahren durchgemacht hatte. Jedes Mal hatte sie nach wenigen Monaten starke Blutungen bekommen und das Kind, das in ihr heranwuchs, verloren. Die Unfähigkeit,