„Und? Lohnt er sich?“
„Bis vor ein paar Wochen hätte ich noch zu hundert Prozent Ja gesagt. Mittlerweile weiß ich nicht recht!“
„Dann lassen Sie hören. Der herrliche Sessel hier und ich, wir haben Zeit!“
Schnee am Kangchendzönga
Wie ein Wink des Schicksals, fast ein kleines Hochzeitsgeschenk, erscheint dem Metzger nun dieser betagte Herr, dessen ruhige, friedfertige Ausstrahlung ihn sofort Vertrauen fassen lässt. Einmal noch seine Kümmernis loswerden dürfen, einem Fremden gegenüber, der mit alldem nichts zu tun hat, der nur zuhört, unvoreingenommen – und vielleicht die richtigen Worte findet.
Folglich nimmt er die Einladung an und erzählt.
Wie seine heutige bevorstehende Traumhochzeit ausgesehen hätte, ginge es nach ihm: Die Tür des Standesamtes öffnen; zu zweit hinein, frisch verheiratet wieder raus; sofort gemeinsam zum Würstelstand auf eine Käsekrainer mit Schwarzbrot, Pfefferoni, Senf und Kren, dazu ein Bier natürlich; sich danach wohlig beglückt und dezent ermüdet von der entsprechenden Straßenbahn bis zur Endstation kutschieren lassen, Hand in Hand; äußerst gemächlich den angepeilten Hügel samt Heurigem erklimmen; dort mit Blick über die Stadt die Zeit und jede kulinarische Zurückhaltung vergessen; ja, und wenn dann der Rausch, die Sterne und irgendwann das bestellte Taxi kommen, schließlich nach Hause! Hochzeitsnacht.
Verständnis unter Männern wäre nun fein, ein: „Ja, genau!“
Damit aber will Herr Andrejew nicht dienen.
„Vereinsamt vor einem fremden Standesbeamten heiraten und dann zu zweit auf ein Würstel? Sehr spezielle Wünsche haben Sie, mein Guter! Ich würde sagen, da verlangen eher Sie der Liebe viel ab als die Liebe Ihnen! Deshalb die Beziehungsprobleme? Ihr Vorschlag hat der Zukünftigen nicht gefallen, nehme ich an?“
„Nicht mehr gefallen! Sie wollte es zuerst genauso.“
Aber dann, von einem Tag auf den anderen, sah Danjela Djurkovic in einer Vermählung den Auftrag, ein großes Fest zu geben – inklusive Verköstigung, Blumentamtam, Tischkärtchen, der ganzen Kostümiererei.
„Hab ich mir anders überlegt. Weil heiratet man nur einmal!“, so das Argument und in ihrem verwitweten Fall natürlich eine Lüge. Obendrein wurde Gott und die Welt eingeladen. Ja, Gott:
„Was heißt, ein Priester wird uns trauen, Danjela?“
„Bekommst du nix gleich Herzinfarkt. Wird nix Hochamt. Feiern wir nur einfache Wortgottesdienst!“
„In unseren 13 Jahren Beziehung waren wir weder in dem einen noch dem anderen? Und Katholik bin ich auch keiner, das weißt du doch?“
„Schadet aber nix Gottes Segen, und dafür brauch ma nix Kirche! Stell ich mir wunderschön vor, Heiraten in Weinberg.“
„Nix gleich Herzinfarkt, nix Hochamt, nix Gottes Segen, nix Kirche!“, wiederholt Herr Andrejew verdutzt. „Heiraten Sie, weil da jemand die Staatsbürgerschaft braucht?“
„Nein!“, löst sich die Anspannung des Restaurators langsam, „meine Zukünftige spricht wirklich so schlecht Deutsch. Zum Glück, weil ich liebe ihren Akzent!“
Wie gut es tut, einfach nur zu reden.
„Ein Heuriger! Das klingt doch wunderbar. Wo ist jetzt Ihr Problem, Herr Metzger?“
„Kein Heuriger. Sondern der Dornhauer!“
„Wer?“
„Thaddeus Dornhauer! Sein Salettl.“
Nachdenklich das Gesicht des Alten. „Kenn ich nicht!“
„Das spricht für Sie, Herr Andrejew. Denn wer in die Gesellschaftsspalte jeder x-beliebigen Gratiszeitung schaut, wird mit Garantie dieses Watschen-Gesicht darin finden: Szene-Winzer Thaddeus Dornhauer.“
Ein stadtbekannter Gourmet, aber trotzdem gewaltiger Kotzbrocken. Keine Gelegenheit lässt er aus, um seine Visage aus der Seitenblickgesellschaft herauszustrecken. Seine Weine nennt er Dornhauers Angels. In Anlehnung an den Actionreißer und die gleichnamige Serie aus den 70er und 80er Jahren: „Drei Engel für Charly“. Nur sind es eben nicht nur drei Sorten namens Sabrina, Jill und Kelly, sondern ein paar mehr: Lucy, Mia, Texas ...
Die Etiketten zeigen allesamt verschiedenfarbige Schattenrisse vollbusiger Damen, mit dem entsprechenden weißen Namens-Schriftzug und Stöckelschuhen. Darunter die Marke: Dornhauers Angels. Hinten ein Doppelname, dafür Vornamen wie Pornostars. So gefällt ihm das, dem Dornhauer. Eine Flasche also, die seine derben Fantasien weiblicher Traummaße in Bouteillen füllt. Und obwohl oder gerade weil Thaddeus Dornhauer schon quer durch diverse Gazetten und soziale Medien gesteinigt wurde, läuft sein Geschäft wie geschmiert und ist sein Anwesen Treffpunkt der selbst ernannten Hautevolee.
Für Willibald Adrian Metzger der reinste Alptraum und derart außerirdisch, dagegen erscheinen ihm die Orks oder Klingonen direkt blutsverwandt. Allein der Gedanke daran, diese Adresse auf seiner Hochzeitseinladung zu wissen, trieb ihm folglich die Schamesröte ins Gesicht.
„Um Himmels willen, Danjela! Was denken die Leut!“
„Was interessiert dich plötzlich Denken von Leut? Ist wunderschön dort.“
„Stimmt, wer das bezahlen soll, interessiert mich eigentlich viel mehr.“
„Ist Freundschaftsdienst!“
Und natürlich wurde er stutzig, denn weder hat der Metzger solche Freunde, noch will er irgendein Dienstverhältnis mit solchen „Freunden“ eingehen!
„Freundschaftsdienst wofür?“
„Geht nix auf deine Kappe, sondern ist meine Kaffee!“
Deine Kappe? Mein Kaffee? Gibt eine zukünftige Ehefrau so auseinanderdividierende Antworten? Alles nur noch befremdend. Geschwiegen hat er also, der Metzger, gar nicht weiter nachgefragt, denn seine Holde duldete keinen Widerspruch, und was hätte da wohl anderes dabei herauskommen sollen als gleich der nächste Krach. Wie ein Statist ohne Einspruchsrecht kam er sich vor, der Metzger. Ein Waschlappen.
Und genau das sind eben die großen Fragen der Menschheit. Wie die Geschichte mit dem Huhn und dem Ei: Verwandeln sich Männer neben Matronen aus reinstem Selbstschutz zu Memmen? Oder verwandeln sich Frauen neben Memmen aus reinstem Selbstschutz zu Matronen?
Danjela Djurkovic jedenfalls wurde ob der Gesamtsituation zusehends unglücklicher. Weshalb schließlich kurzfristig räumlich getrennt wurde, was langfristig verbunden werden soll, auf dass den beiden vor der Eheschließung das Ausbrechen jener Eiszeit erspart bleibe, die nach der Eheschließung ja ohnedies irgendwann so sicher kommt wie der Schnee am Kangchendzönga. Zwei Wochen ist das jetzt her.
„Und darum wohnen Sie hier?“, zeigt sich Herr Andrejew verwundert. „Also Ihre Probleme will ich haben!“
Armer Willibald. Geht ihm diese Aussprache unter Männern also grad nach hinten los, denn von einem Gesinnungsgenossen kann keine Rede sein.
„Und mit welchem Argument wurden Sie delogiert?“
Kaum noch zu antworten getraut er sich, der Metzger: „Muss Ehemann zukünftige Ehefrau wieder ein bisserl sehen mit andere Augen. Und darf Spannung vor Hochzeit ruhig steigen. Aber positive!“
„Was bitte ist schlecht daran? Klingt nach einer klugen Frau.“
Allein die Art zu fragen und der Gesichtsausdruck des Herrn Andrejew, wie er da gleich einem Therapeuten gelassen in seinem zukünftigen Ohrensessel sitzt, vermag dem Metzger die ganze Aufregung zu nehmen. Im Grunde waren die letzten zwei Wochen ja gar nicht so schlecht, konnte sich Danjela ungehemmt ihren Hochzeitsvorbereitungen widmen, er in aller Ruhe seinen Möbeln. Ja, und jeder der beiden sich selbst.
„Ein