Die Djurkovic und ihr Metzger. Thomas Raab. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Raab
Издательство: Bookwire
Серия: Der Metzger
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783709939277
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Nichts wird Alles

       10

       Thomas Raab

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       Impressum

      Falke: Hier Falke, kommen.

      Taube: Frage: Was ist los bei euch? Ihr rührt euch nicht. Muss ja ein Traum sein, zu zweit in der Kiste. Kommen.

      Falke: Hier Falke. Frage: Bist eifersüchtig? Besuch uns halt. Habicht freut sich. Würd sicher gern … Kommen.

      Taube: Trottel.

      Habicht: Dachs hat übrigens grad Bau 2 verlassen. Panisch. Kommen.

      Taube: Hier Taube. Frage: Warum? Kommen.

      Habicht: Hier Habicht. Der BMI. Er ist zu fett geworden. Vermutlich das Alter. Mit über 50 muss man aufpassen. Kommen.

      Falke: Du Vogel! Willst mich beleidigen?

      Habicht: Dann ist es eben seine Sauferei. Jedenfalls will er sich ein neues Fell zulegen.

      Taube: Wie, Fell? Kommen.

      Habicht: Hier Habicht. Na, Panier eben, Wäsch, Klamotten, Kleidung. Shoppen geht er.

      Taube: Nicht gut. Falke, häng dich dran. Neues Fell heißt, wir müssen ihm ein neues Ungeziefer verpassen.

      Falke: Hier Falke. Frage: Ich? Du kennst die Problematik, oder? Kommen.

      Taube: Dann lass dir was einfallen. Muss jetzt abbrechen, in Bau 1 tut sich was. Füchsin bekommt Besuch. Diesmal drei Mann. Bussard ist dabei. Ende.

      Vorhang auf.

      „Ja, Fleischhauer! So eine Überraschung!“

      Vorhang zu.

      Aber ruckzuck. Grad, dass ihm die Gardinenstange nicht um die Ohren fliegt, so energisch zieht Willibald Adrian Metzger den Stoff wieder retour. Entsprechend erbost auch seine Reaktion.

      „Was fällt Ihnen ein!“

      „Keine Sorge, Fleischhauer. Ich hab dich auch nicht gleich erkannt! Ich bin’s, der Heri!“

      „Ich heiß Metzger und kenn keinen Heri!“

      „Dann der Bertl.“

      „Was jetzt? Der Heri oder der Bertl!“

      „Geh, Fleischhauer! Denk nach! Wie kannst du mich vergessen haben? Oder traust du dich nicht raus, hehehe!“

      Und jetzt funkt es in des Metzgers Gehirnwindungen, drückt es in seiner Magengrube. Denn einzig die Tonhöhe dieses wie ein Husten herausgestoßenen hämischen Lachens scheint sich verändert zu haben, weil Stimmbruch, der Rest aber klingt wie eh und je. Immer noch sind es exakt drei Hes an der Zahl.

      Heimtücke, Herzlosigkeit, Herrschsucht.

      He-He-He.

      Es besteht also kein Zweifel: Weder der Heri steht da draußen vor dem Filz noch der Bertl, sondern beide: Heribert Senekowitsch. Das U-Hakerl. Als wäre dieser Morgen noch nicht übel genug. Oh Schicksal, du niederträchtiges Ungetüm! Wartest in Lauerstellung, und kaum ist der Moment endlich bestmöglich ungünstig, springst du aus deinem Versteck. Tamtam. Wie die Lungenentzündung als Draufgabe nach dem Herzinfarkt.

      „Oder hab ich mich geirrt, Fleischhauer, und du bist es gar nicht. Lass schauen!“

      Vorhang auf.

      „Na, und wie du das bist: die Senkfüße, die Wamp’n, der Rundrücken, alles da, dazu dein Zinken und die großen Ohrwascheln. Der fette Willi, wie er leibt und lebt. Williblad sozusagen, hehehe! Was machst du hier?“

      Eine dümmere Frage kann einem Menschen, der nur mit Rippleibchen, Unterhose und schwarzen Socken adjustiert in einer Umkleidekabine steht, wohl kaum gestellt werden!

      „Dreimal darfst du raten, Senekowitsch!“

      Vorhang zu.

      Jetzt ist der Metzger an sich ja weit entfernt von jedem Aberglauben, dennoch wäre es die reinste Realitätsverweigerung, in Anbetracht der an diesem Morgen bereits eingetretenen Ereignisse nicht von einer Anhäufung böser Omen zu sprechen:

      • Mit schwerer Migräne in seiner Werkstatt erwachen, und das, ohne am Vortag entsprechend ordentlich gesoffen zu haben! Jammerschad also um den Schmerz, zahlt sich in diesem Fall ja gar nicht aus.

      • Sich in seinen einzigen schwarzen, ewig nicht getragenen Anzug schmeißen wollen und erkennen müssen: Das Teil ist trotz Schattendasein von selber geschrumpft, mindestens um eine Kleidergröße. Also hinaus auf die Straße.

      • Direkt vor der Werkstatt durch den Park Richtung Innenstadt marschieren und – so wie die Tage zuvor – auf diesen seltsamen Kerl stoßen, der da auf einer Bank sitzt. Ein Monstrum, groß, breit, bärenstark, kahlköpfig. Fast täglich geht dieser Fleischberg an seiner Werkstatt vorbei und glotzt durch die Scheibe herab in den Gewölbekeller, als würde er sich nicht hereintrauen oder den Restaurator beobachten.

      • Die Herrenabteilung irgendeines x-beliebigen Modehauses erklimmen, mit den günstigsten Dreiteilern in die Garderobe verschwinden, auf engstem Raum keuchend ein paar Turnübungen absolvieren, Ausziehen-Anziehen, Ausziehen-Anziehen, und es ausgezogen mit einem Menschen zu tun bekommen, der bisher schöner vom Erdboden gar nicht verschluckt hätte sein können, egal ob tot oder lebendig.

      Wenn das nicht grausam ist, was dann?

      Vorhang auf.

      „Senekowitsch, verdammt! Lässt du jetzt gefälligst den Vorhang in Ruh, sonst geh ich mich beschweren und jag dir irgendein Bleichgesicht hier auf den Hals!“

      „Meine Güte, da sieht man sich nach so langer Zeit wieder, und woran erinnerst du dich zuerst? An das Indianerspielen?“

      Als ob sich der Metzger aussuchen könnte, woran er gerne denkt? Ungute Erinnerungen, die extra um Erlaubnis fragen, wann es denn gnädigerweise recht wäre, sich innerlich zu Wort melden zu dürfen, hat er jedenfalls noch keine erlebt.

      „Was bist du für ein nachtragender, verbohrter Mensch geworden, Fleischhauer. Wir waren Kinder, damals!“

      Das stimmt. Einerseits.

      Anderseits ist das natürlich weder eine Entschuldigung, noch lässt es automatisch auf eine sonderlich erfolgreiche intellektuelle Weiterentwicklung schließen.

      Und logisch fällt dem Metzger jetzt alles wieder ein. Die Schmerzen, Tränen, blutigen Schusswunden, und natürlich die Senekowitsch-Mama.

      „Wie lang haben wir uns aus den Augen verloren. Willi?“

      „Verloren?“

      „40 Jahre?“

      „Mindestens, Senekowitsch. Mindestens! Schad, dass es nicht mehr geworden sind!“

      Vorhang zu.

      Nein. Heribert Senekowitsch ist dem Metzger die letzten Jahrzehnte wirklich nicht abgegangen. Richtig froh war er, wie von einem Tag auf den anderen die Senekowitsch-Wohnung geräumt und keines der Familienmitglieder in Willibalds Grätzl jemals wiedergesehen wurde. Ertragen musste er ihn ja schließlich lang genug. Zuerst vom Kinderwagen aus, und bereits da war ihm klar, der Insasse im Buggy gegenüber wird sein Buddy wohl nicht werden.